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Freitag, 30. Dezember 2016

Fragmente des Jahres 2016: Die Top 10 der besten Filme 2016 (Luca)

2016 war kein gutes Filmjahr. Dennoch gab es natürlich auch in diesem Jahr einige lohnenswerte Dinge im Kino zu sehen.

10.TONI ERDMANN - Maren Ade
Man kam 2016 nicht an diesem Film vorbei und ja, „Toni Erdmann“ ist ein guter Film. Über fast drei Stunden bereitet er ein interessantes Vergnügen.
Sandra Hüller ist eine wunderbare Darstellerin, das Drehbuch ist gut, die Kamera fängt interessante Bilder ein, die uns etwas über das moderne Europa erzählen (Auch interessant, aber mit einem anderen Blick auf Rumänien: "Die Zielfahnder-Flucht in die Kaparten" von Dominik Graf). Der spannende Blick auf den modernen Kapitalismus gerät nur an wenigen Stellen an seine Grenzen und fügt sich harmonisch in das Gesamtbild des Films ein. „Toni Erdmann“ ist nicht der deutsche Film, dem ich diesen Hype wünschen würde. Zu gönnen ist es Maren Ade jedoch allemal.
9. DIE MITTE DER WELT - Jakob M. Erwa
Es ist bekannt, dass es wenig Sinn ergibt, Bücher mit Filmen zu vergleichen, doch in diesem Fall stellt man dabei erstaunliches fest. Der Film schafft es, den Geist der Romanvorlage von Andreas Steinhöfel in filmische Bilder umzusetzen und das geschriebene Wort auf der Leinwand zu transformieren. Die Bilder befinden sich im ständigen Wandel, genauso wie das Leben des Jugendlichen Phil. Eine überdrehte, sehr ehrliche Inszenierung, die es, ähnlich wie die Bibi und Tina-Verfilmungen, schafft, eine bestimmte Stimmung zu erschaffen, die den Zuschauer mit den Figuren verbindet. „Die Mitte der Welt“ ist ein Liebesfilm, der in jeder Sekunde genau das sein will, eine Romanze, wie sie ehrlicher nicht sein könnte. Zumal der Film, ebenso wie das Buch, das Thema Homosexualität hervorragend verarbeitet, indem es zu keiner Sekunde thematisiert wird. Niemand interessiert sich dafür, welche Sexualität die Figuren ausleben. In „Die Mitte der Welt“ geht es nicht um eine Beschreibung der Realität. Es soll eine Traumbeschreibung sein, der Wunsch nach einem bestimmten Zustand.
8. WILD - Nicolette Krebitz
Gegenüber „Wild“ war ich zunächst doch recht skeptisch. Dies hörte sich zunächst nach einem sehr schwachsinnigen Film an. Doch als ich dann im Kino saß, wandelte sich dies rasch. Hier ist ein mutiger Film zu sehen, der diesen Mut in filmische Bilder umwandelt ohne seine Prämisse vor sich herzutragen und darzulegen, wie brillant doch die Grundidee sei. Eine Frau sieht einen Wolf und nimmt diesen mit nach Hause. Sie gibt ihre vorherige, langweilige Existenz auf. Glücklicherweise verkommt „Wild“ nicht zu einem langweiligen Plädoyer für das Leben in der Natur, sondern stellt lieber die Frage, was der zivilisierten Gesellschaft fehlt und wie diese auf eine radikale, (scheinbar) unvernünftige Veränderung reagiert. Krebitz begibt sich auf die Suche nach etwas Durchgedrehtem, nach einem physischen und radikalen Moment im Film. Sie beendet ihre Suche nicht, getreu dem Motto der Romantik geht es immer weiter nach vorne, die Reise ist niemals vorbei.
(Ich kann diesen Film bei Weitem nicht so gut beschreiben, wie Ekkehard Knörer dies in CARGO #29 getan hat.)
7. THE HANDMAIDEN - Chan-wook Park
Park Chan-wook konnte sich dieses Jahr mit einem wahnsinnigen Kostümfilm in mein Herz schleichen. In seiner fast zweieinhalbstündigen Erzählung einer Kriminalgeschichte, die ursprünglich im Viktorianischen Zeitalter angesiedelt ist und hier in das Korea der 30er-Jahre verschoben wird, schafft er es mit Humor, mit fantastischen Kostümen und einer vor Erfindungsgeist nur so sprühende Inszenierung, dass man seinen Spaß dabei hat. Die Geschichte ist verworren und so ist auch der Film. Sein Plot ist zwar das Hauptaugenmerk, letztlich nutzt er diesen aber nur als Ausgangspunkt zu einer Reihe von wilden, traurigen und brutalen Szenerien. Es gelingt ihm vor allem, dem Zuschauer seine Idee, seine Vorstellung der Welt nahezubringen. Am Ende ist es vor allem ein sehr pulpiger, aufgedrehter Film, der zu keiner Sekunde Ruhe gibt, da man sonst in Fahrwasser des Desinteresses geraten könnte.
6. POLIZEIRUF 110: WÖLFE - Christian Petzold
Dass Barbara Auer und Matthias Brandt das schönste Duo des deutschen Krimis sind, dürfte mittlerweile bekannt sein. Es gibt niemanden, der diese beiden besser inszenieren könnte, als Christian Petzold. Seine Wolfsgeschichte hat etwas mystisches, seine Figuren sind das Abbild dieses Falles in der Realität. Eine Alkoholikerin, die sich in den Bergen von ihrer Sucht befreien möchte. Man bekommt den Eindruck, dass sich alle Figuren ihres Ballasts nicht mal mehr entledigen wollen. Sie leben einfach nur noch vor sich hin, sie existieren in einer rauchverhangenen Welt, in der man Zigarettenstummel aufhebt, weil nirgendwo ein Zigarettenautomat zu finden ist. Und ist die Vorstellung nicht schön, dass die beiden an einem dunklen, wolkenverhangenen Wochenende vor dem Fernseher sitzen und gemeinsam Filme schauen?
5. VERFLUCHTE LIEBE DEUTSCHER FILM - Dominik Graf und Johannes Sievert
Der deutsche Film, er beschäftigt Dominik Graf schon seit vielen Jahren. U.a. in seinem brillanten Essay-Film „Das Wispern im Berg der Dinge“ hat er sich bereits mit dem deutschen Nachkriegskino auseinandergesetzt. Mit „Verfluchte Liebe Deutscher Film“ geht er nun ein paar Jahre weiter und stellt die Frage, ob es abgesehen vom Neuen Deutschen Film nicht auch noch andere Filmemacher gab, die eine ganze andere Vorstellung von Kino haben. In Interviews erzählt der Kreis von Leuten, der immer in Graf-Dokumentationen vorkommt, Dreh-Anekdoten und Geschichten aus dieser Zeit (Highlights: Klaus Lemke bezeichnet Ulrike Meinhoff als „dumme Schlampe“ und Mario Adorfs Geschichte zum Dreh von „Deadlock“ mit Roland Klick.) Dabei setzt sich aus all diesen Einzelteilen ein Bild dieser fast vergessenen Generation von Filmemachern, wie Roger Fritz, Roland Klick, Klaus Lemke etc. zusammen, die eine radikalere, dem US-Genrekino angenäherten Kinobegriff vertraten. Auch wenn der gegenwärtige deutsche Film nicht einmal erwähnt wird, so ist er doch ständig präsent. Vieles, was damals schiefgelaufen ist, wirkt bis heute nach, sei es die Reform der Filmförderung oder die ersten Projekte von Bernd Eichinger. Am Ende geht es darum, wie sehr einen doch diese Liebe zum deutschen Film antreibt und Graf immer wieder versucht, anderen Menschen, aber auch sich selbst, seine Faszination und Begeisterung für den deutschen Film nahezubringen.
4. THE HATEFUL 8 - Quentin Tarantino
Quentin Tarantino wird sehr häufig auf „coole“ Sprüche und Gewalt reduziert. In seinen Filmen scheint sehr häufig durch, wie viele Filme er in seinem Leben gesehen hat, wie sehr er Filme liebt. Dadurch gerät er in einen postmodernen Kreisel der Selbstferenzialität, der seine Werke zunehmend anstrengend machen. Doch in „The Hateful 8“ ist dies anders. Es ist ein ernster Film, ein wirklicher Western, ein politischer Film. Tarantino versammelt den derzeitigen Zustand der USA in einer Hütte im Schnee mit acht verschiedenen Charakteren, anhand derer er sein Panorama ausweitet. Der Vorwurf der überharten Gewaltdarstellung ist in diesem Film fehlgeleitet. Es braucht diese Szenen, um die Radikalität darzulegen, um die sich über fast drei Stunden entstehende Spannung mit einer riesigen Explosion aufzulösen. Immer präsent ist dabei, die fabelhafte Musik von Ennio Morricone, der die meisten aktuellen Filmkomponisten mit links übertrifft und somit diesen wichtigen und tollen Film abrundet.
3. THE ASSASIN - Hsaio-hsien Hou
„Es ist das Flüstern, das wir hören können. Es sind die Radiowellen.
Es sind die Schatten, die wir deuten können“. So heißt es auf „Abalonia“ von Turbostaat, einem der besten Musikalben 2016. Ähnlich wie dieses Album ist auch
„The Assasin“ mit Worten eigentlich nicht zu beschreiben. Ein Film, wie er nicht mehr Film sein könnte. Er setzt komplett auf die ihm einzigartigen Eigenschaften der visuellen Komposition. Er hat kein Interesse daran, einfach seine Geschichte zu erzählen, er versucht einen fließenden Fluss der filmischen Bilder zu schaffen, die in verschiedenste Richtungen laufen, sich an Wendepunkten wieder zusammenfinden und am Ende ein wunderschönes Schlussbild ergeben. Ein immersiver Film, der seine eigene Sprachlichkeit und Stimmlichkeit entwickelt.
2. DER TRAUMHAFTE WEG - Angela Schanelec
Angela Schanelec ist in vielerlei Hinsicht eine ungewöhnliche Filmemacherin. In ihrem neuen Film stellt sie ihre ganz eigene Vorstellung von Narration und Erzählweise aus. Alleine der Beginn ist bereits ganz wunderbar. Zwei junge, liebende Menschen sitzen an einem Hafen im sommerlichen Griechenland der 80er-Jahre, spielen Gitarre und singen „The Lion Sleeps Tonight“. Diese unglaubliche Anfangssequenz zieht mich sofort in den Film hinein. Schanelec wird immer wieder vorgeworfen, ihr Stil sei kühl und distanziert, dabei ist es genau anders herum. Der ganze Film ist auf Gefühlen und Stimmungen der Figuren und der Umwelt aufgebaut. 30 Jahre nach dieser Zeit in Griechenland, leben alle Protagonisten unabhängig voneinander in Berlin nebeneinanderher, niemand weiß mehr, wo der andere ist, ob er überhaupt noch lebt. Und doch spürt man die innere Verbundenheit der Figuren, der diesen ganzen Film durchzieht. Aus einer oberflächlich betrachtet fragmentarischen Erzählung, setzt sich eine einmalige hochgradig rythmische Harmonie zusammen.
1. ALLES WAS KOMMT - Mia Hansen-Løve,
Das absolute Meisterstück dieses Jahres zeigen jedoch Mia Hansen-Løve,und Isabelle Huppert. In „Alles was kommt“ gelingt ihnen alles, die beiden Damen retten das Kinojahr 2016 im Alleingang. Eine Philosophieprofessorin muss feststellen, dass die Zeit sich verändert hat und sie nicht mehr die Ideale aus ihrer Jugend vertreten kann. Sie muss feststellen, dass die Welt eine andere geworden ist. All das beobachtet der Film mit einer elegischen Ruhe, mit einer wunderbaren Kamera und formidablen Darstellern. Es gelingt hier, Philosophie, sei es nun Adorno oder Schoppenhauer, nicht nur zu erwähnen, um zu beweisen, wie belesen man sei. Hier wird Philosophie in eine filmische Welt übertragen, ganz unmerklich werden verschiedene Ansätze dargestellt. Im brillanten Schlussbild sieht man schließlich minutenlang die gleiche Einstellung, die auf die Zukunft hinweist. „Alles was kommt“ verkörpert Vergangenes, Gegenwärtiges und Zukünftiges, setzt eine der derzeit besten Darstellerinnen fantastisch in Szene und ist dabei niemals ein postmodernes Spiel, das nur auf sich selbst verweist.
Ein Meisterwerk voller Schönheit und Intelligenz. 

1 Kommentar:

  1. Wir teilen uns die Nummer eins, schön! (eigentlich täten wir es alle drei, aber Davids Liste ist ja sehr undemokratisch, was ich nur dir sage, er liest hier sicherlich nicht mit)

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