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Samstag, 10. Dezember 2016

Fragmente des Jahres 2016: Zu Bela Tarrs The Man from London

„The Man from London“ erzählt im Kern eine sehr einfache Geschichte. Der Leuchtturmwärter Maloin beobachtet im Hafen einen tödlich endenden Kampf zwischen zwei Männern. Dabei fällt der Tote mit seinem Koffer ins Hafenbecken. Maloin fischt den Koffer aus dem Hafenbecken und findet eine große Menge Geld darin. Als ein Inspektor in die Stadt kommt, verdächtigt dieser einen anderen Mann, das Geld gestohlen zu haben.
Maloin stellt sich nun die Frage, ob er die Wahrheit sagen soll.
Charakteristisch für diesen Film ist das sehr konsequente Aufrechterhalten der schwarz-weiß Optik. Durch dieses Vermeiden von Farben und die häufig vorherrschende Dunkelheit im Film, sind die Figuren selten klar und deutlich zu erkennen. Dies ist jedoch nicht nur auf der visuellen Ebene der Fall, sondern auch auf der inhaltlichen. Man erfährt wenig über die Figuren, alles scheint aus dem Nichts zu kommen. Um den Inhalt der Geschichte geht es in diesem Film auch nur nebensächlich. Viel mehr versucht Béla Tarr eine emotionale Erfahrung zu schaffen. Geradezu hypnotisch wirkt die von Beginn an sehr präsente Musik. Sie legt einen unheimlichen Schleier über alles, was geschieht. Der Zuschauer wird förmlich in das Bild hineingezogen.
Außerdem besteht der Film beinahe ausschließlich aus langen, ruhigen Plansequenzen, die den einzelnen Bildern eine fast schon gemäldehafte Strukturgeben. Sehr auffällig ist dabei vor allem die häufig genutzte Tiefe des Bildes. Es ist im Vordergrund kaum etwas zu sehen und der Hintergrund ist relevanter. Oder Personen, die in den Hintergrund weggehen. Die Kamera bleibt dabei stillstehen.
Sowieso ist die sehr freie und ruhige Kamerabewegung ein sehr interessantes Merkmal. Sie ist oft sehr nah an den Protagonisten, filmt häufig über ihre Schulter oder geht sehr nah an ihr Gesicht heran. Hier wird eine Ambivalenz klar, die sich durch den ganzen Film zieht. Man scheint den Figuren sehr nah zu sein und doch sind sie dem Zuschauer so rätselhaft und so fern. Eine emotionale Verbindung zu den Figuren aufzubauen, ist vom ersten Moment an schwierig. Viel mehr ist das Ziel, eine emotionale Verbindung zu den Bildern aufzubauen und sich in die Stimmung des Films hineinzufühlen. Ein weiterer Aspekt des Films ist das spezielle Sounddesign. Hierbei sind einige immer wiederkehrende Motive zu hören. Zunächst ist es das einfache, hypnotische Motiv, welches in Hafenszenen vorkommt. In der Kneipe, in der sich Maloin öfter aufhält, spielt stets ein Akkordeon im Hintergrund (sicherlich meine Lieblingsfilmszene, die ich in diesem Jahr gesehen habe.) Ansonsten hört man sehr oft das Plätschern des Meeres. Diese Töne haben anfangs eine beruhigende Funktion. Später jedoch, werden sie die Unruhe, die alle Figuren verfolgt, darstellen.

Die Welt, in der sich die Handlung abspielt, ist kaum greifbar. Alles scheint egal zu sein, niemand weiß genau, warum Dinge geschehen. Das wird durch die dunkle Schwere verdeutlicht, die über dem Film liegt. Und als dann doch so etwas Ähnliches, wie eine moralisch vertretbare Handlung geschieht, nämlich das Geständnis von Maloin, wird diese sofort negiert, da der Kommissar nun das Geld an sich nimmt. Sollte es für diese Figuren einen kurzen Moment der Hoffnung auf Erlösung gegeben haben, wird hiermit alles beendet. Zwischendurch hatte sogar die Tochter von Maloin Hoffnung geschöpft. Doch mit dem sehr langen Anhalten auf dem Gesicht der Frau des gestorbenen Mannes aus London in der letzten Szene wird deutlich, dass keinerlei Hoffnung mehr besteht. Dann wird das Bild weiß und der Film endet dort, wo er begonnen hat: Im Nichts.

Dieser Text wurde von Luca Schepers(@ArafatsSohn) verfasst.

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