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Donnerstag, 1. Dezember 2016

Das 30. Internationale Filmfest Braunschweig

DER TRAUMHAFTE WEG von Angela Schanelec, sicherlich der beste und aufregendste Film des diesjährigen Programms, wurde von der Hälfte des Publikums schon während des Films verlassen – alle anderen hatten die Möglichkeit sich von "The Lion Sleeps Tonight" bis zum Ende der Odysee rund um einen Drogenabhängigen und seine ehemalige Freundin fesseln zu lassen.

 Die wenigsten nahmen diese Möglichkeit wahr. Alle die bis zum Ende da blieben sahen einen der schönsten, interessantesten und widerständigsten Filme des Jahres. Schanelec erzählt weniger über Plotverstrickungen, sondern über Strömungen, vielleicht näher an Wong Kar-Wai oder Terrence Malick als am üblichen Programmkino-Arthausfilmeinerlei, der beim Braunschweiger Festival am liebsten gesehen wird, wie die Siegerfilme der letzten Jahre zeigen (von denen ich in den sechs Jahre, die ich das Festival nun schon besuche, noch nie einen gesehen habe, was mir bei den Ankündigungstexten auch retrospektiv als die richtige Wahl erscheint). Auch ANISHOARA, ein Abschlussfilm über eine moldawische Jugendliche, die in einem Dorf heranwächst, deutlich an den besseren Filmen der rumänischen neuen Welle geschult, kam beim Publikum gefühlt nicht so gut an, wie der Film es verdient hätte, gelingt es ihm doch tatsächlich, so einen abstrakten Vorgang  wie Heranwachsen fühlbar zu machen, ganz ohne Montagen zu zeitgenössischer Popmusik.

Zeitgenössische Popmusik gibt haufenweise in MY FIRST HIGHWAY zu hören, einer auf schlechten Art unangenehmen Coming-of-Age/Vergewaltigungsgeschichte um einen jungen Holländer, der in Spanien Urlaub macht, ein Vergewaltigungsopfer kennenlernt, ihren Peiniger erschießt und sie dann auch vergewaltigt. Der Film will ihn nichtsdestotrotz als Opfer darstellen, warum auch immer. Zum Regiegespräch bin ich dann nicht mehr geblieben. Mehr Freude hatte ich an Park Chan-Wooks neustem, THE HANDMAIDEN, eine Art Verfilmung eines (derangierten?) DePalma-Plots, sehr verspielt, leider auch manchmal etwas um Weirdness bemüht, nichtsdestotrotz gut gespielt und mit tollen Momenten – wenn auch etwas überlang. Leider konnte ich mich des Eindrucks nicht erwehren, dass etwas mehr Kenntnis über das historische Verhältnis zwischen Japan und Korea, welches wir uns erst nach dem Kinobesuch bei Wikipedia anlasen, für den Genuss des Films vonnöten gewesen wäre. Andererseits ist Parks neue Probierphase rund um pulpigere Plotkonstruktionen für jemanden wie mich, dem der Oldbody-Hype immer fremd geblieben ist, doch zumindest interessant.

CHILDHOOD OF A LEADER hingegen hat mich trotz formaler Ambitioniertheit und der tollen Musik (und Robert Pattinson) weitgehend kalt gelassen, nicht zuletzt wegen der hanekesten "Guckt mal, so kommt es zum Faschismus"-Haltung, die nicht nur etwas unangenehm didaktisches hat, sondern auch Dinge simplifiziert, die nicht simplifiziert werden sollten. Hinzu kam, dass die Projektion ohne Untertitel stattfand, sodass ich zumindest im französischen Teil der Dialoge weitgehend unverständig zusehen musste. Handwerklich vielversprechend für einen Debütfilm, inhaltlich allerdings in höchstem Maße vergessenswert. Im Prinzip eine Verfilmung der vielen debilen Thinkpieces zur Trump-Wahl, die während des Filmfests ihren Lauf nahm. Auf dieser Ebene vielleicht doch interessant (wenn auch unbeabsichtigt).
Streckenweise sehr gelangweilt habe ich mich auch bei BODY, einem Film aus der Reihe zum neuen polnischen Kino, welche alles in allem eher den Eindruck verstärkte, dass das rumänische Kino in seiner Qualität eine Ausnahme in Osteuropa darstellt. BODY besteht größtenteils aus dröger Psychologisierung von abgedroschenen Klischees, visuell recht hübsch aufbereitet, aber ebenso wie CHILDHOOD OF A LEADER sehr vergessenswert. Interessanter da ALL THESE SLEEPLESS NIGHTS, ebenfalls aus der polnischen Reihe, einer Art dokumentarischer Rausch über die Warschauer Partyszene, viele Club- und Tanzszenen, in seinen besten Momenten pulsierend, in seinen schwächsten der Beweis für die These, dass es zwar durchaus Spaß macht, betrunken zu sein, aber häufig wenig Spaß, anderen Leuten beim Betrunkensein zuzusehen. Das Gefühl des Nachhausekommens im Morgengrauen, eine Packung Zigaretten und eine Flasche Weißwein von der Tankstelle in der Hand, dazu irgendwelchen Ambient Electro hörend und schon mal ein wenig Leitungswasser gegen den drohenden Kater trinkend, das hat auch dieser Film nicht wirklich einfangen können.

Ordentlich blöd hingegen war HER COMPOSITION, ein Film über eine New Yorker Musikerin, die erst durch eine Tätigkeit als Escort zu Inspiration findet. Nicht nur ein etwas merkwürdiger Kunstbegriff, sondern auch eine unangenehme Mystifizierung von weiblicher Sexualität, wie bei solchen Filmen leider nicht besonders ungewöhnlich ist. MELLOW MUD aus Lettland, immerhin bei der Berlinale ausgezeichnet, gefiel mir auch nicht besonders, vielleicht habe ich in den letzten Jahren durch regelmäßige Besuche der Nordischen Filmtage in Lübeck aber auch einfach zu viele Filme über einsame junge Frauen aus dem Baltikum gesehen, um hier noch irgendwas neues entdecken zu können.


Mein Lieblingsfilm des diesjährigen Festivals war jedoch WOLF & SHEEP, ein afghanischer Film über eine Gruppe von Kindern in einem abgelegenen Dorf, der mit Elementen eines magischen Realismus arbeitet und subtil aufzeigt, was Religion im Alltag der Kinder bedeutet. Das klingt schrecklich, entwickelt im Verlauf des Films jedoch eine angenehme Hangout-Qualität, wenn man Kinder beim Spielen, Streiten und Lachen beobachtet. Bis die Taliban in das Dorf einfallen – bevor sie es jedoch erreichen, endet der Film. Am Ende kommen Terroristen und doch sind das interessanteste an diesem wunderbaren Film kleine Mädchen, die sich gegenseitig den Mund den verbieten wollen. "You shut up!" - "No, YOU shut up!".

Dieser Text wurde von David Schepers(@fantazeromane) verfasst.

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