DER
TRAUMHAFTE WEG von Angela Schanelec, sicherlich der beste und aufregendste Film
des diesjährigen Programms, wurde von der Hälfte des Publikums schon während
des Films verlassen – alle anderen hatten die Möglichkeit sich von "The
Lion Sleeps Tonight" bis zum Ende der Odysee rund um einen
Drogenabhängigen und seine ehemalige Freundin fesseln zu lassen.
Die wenigsten nahmen diese Möglichkeit wahr. Alle die bis zum Ende da blieben sahen einen der schönsten, interessantesten und widerständigsten Filme des Jahres. Schanelec erzählt weniger über Plotverstrickungen, sondern über Strömungen, vielleicht näher an Wong Kar-Wai oder Terrence Malick als am üblichen Programmkino-Arthausfilmeinerlei, der beim Braunschweiger Festival am liebsten gesehen wird, wie die Siegerfilme der letzten Jahre zeigen (von denen ich in den sechs Jahre, die ich das Festival nun schon besuche, noch nie einen gesehen habe, was mir bei den Ankündigungstexten auch retrospektiv als die richtige Wahl erscheint). Auch ANISHOARA, ein Abschlussfilm über eine moldawische Jugendliche, die in einem Dorf heranwächst, deutlich an den besseren Filmen der rumänischen neuen Welle geschult, kam beim Publikum gefühlt nicht so gut an, wie der Film es verdient hätte, gelingt es ihm doch tatsächlich, so einen abstrakten Vorgang wie Heranwachsen fühlbar zu machen, ganz ohne Montagen zu zeitgenössischer Popmusik.
Die wenigsten nahmen diese Möglichkeit wahr. Alle die bis zum Ende da blieben sahen einen der schönsten, interessantesten und widerständigsten Filme des Jahres. Schanelec erzählt weniger über Plotverstrickungen, sondern über Strömungen, vielleicht näher an Wong Kar-Wai oder Terrence Malick als am üblichen Programmkino-Arthausfilmeinerlei, der beim Braunschweiger Festival am liebsten gesehen wird, wie die Siegerfilme der letzten Jahre zeigen (von denen ich in den sechs Jahre, die ich das Festival nun schon besuche, noch nie einen gesehen habe, was mir bei den Ankündigungstexten auch retrospektiv als die richtige Wahl erscheint). Auch ANISHOARA, ein Abschlussfilm über eine moldawische Jugendliche, die in einem Dorf heranwächst, deutlich an den besseren Filmen der rumänischen neuen Welle geschult, kam beim Publikum gefühlt nicht so gut an, wie der Film es verdient hätte, gelingt es ihm doch tatsächlich, so einen abstrakten Vorgang wie Heranwachsen fühlbar zu machen, ganz ohne Montagen zu zeitgenössischer Popmusik.
Zeitgenössische
Popmusik gibt haufenweise in MY FIRST HIGHWAY zu hören, einer auf schlechten
Art unangenehmen Coming-of-Age/Vergewaltigungsgeschichte um einen jungen
Holländer, der in Spanien Urlaub macht, ein Vergewaltigungsopfer kennenlernt,
ihren Peiniger erschießt und sie dann auch vergewaltigt. Der Film will ihn
nichtsdestotrotz als Opfer darstellen, warum auch immer. Zum Regiegespräch bin
ich dann nicht mehr geblieben. Mehr Freude hatte ich an Park Chan-Wooks
neustem, THE HANDMAIDEN, eine Art Verfilmung eines (derangierten?)
DePalma-Plots, sehr verspielt, leider auch manchmal etwas um Weirdness bemüht,
nichtsdestotrotz gut gespielt und mit tollen Momenten – wenn auch etwas
überlang. Leider konnte ich mich des Eindrucks nicht erwehren, dass etwas mehr
Kenntnis über das historische Verhältnis zwischen Japan und Korea, welches wir
uns erst nach dem Kinobesuch bei Wikipedia anlasen, für den Genuss des Films
vonnöten gewesen wäre. Andererseits ist Parks neue Probierphase rund um
pulpigere Plotkonstruktionen für jemanden wie mich, dem der Oldbody-Hype immer
fremd geblieben ist, doch zumindest interessant.
CHILDHOOD OF
A LEADER hingegen hat mich trotz formaler Ambitioniertheit und der tollen Musik
(und Robert Pattinson) weitgehend kalt gelassen, nicht zuletzt wegen der
hanekesten "Guckt mal, so kommt es zum Faschismus"-Haltung, die nicht
nur etwas unangenehm didaktisches hat, sondern auch Dinge simplifiziert, die
nicht simplifiziert werden sollten. Hinzu kam, dass die Projektion ohne
Untertitel stattfand, sodass ich zumindest im französischen Teil der Dialoge
weitgehend unverständig zusehen musste. Handwerklich vielversprechend für einen
Debütfilm, inhaltlich allerdings in höchstem Maße vergessenswert. Im Prinzip
eine Verfilmung der vielen debilen Thinkpieces zur Trump-Wahl, die während des
Filmfests ihren Lauf nahm. Auf dieser Ebene vielleicht doch interessant (wenn
auch unbeabsichtigt).
Streckenweise
sehr gelangweilt habe ich mich auch bei BODY, einem Film aus der Reihe zum
neuen polnischen Kino, welche alles in allem eher den Eindruck verstärkte, dass
das rumänische Kino in seiner Qualität eine Ausnahme in Osteuropa darstellt.
BODY besteht größtenteils aus dröger Psychologisierung von abgedroschenen
Klischees, visuell recht hübsch aufbereitet, aber ebenso wie CHILDHOOD OF A
LEADER sehr vergessenswert. Interessanter da ALL THESE SLEEPLESS NIGHTS,
ebenfalls aus der polnischen Reihe, einer Art dokumentarischer Rausch über die
Warschauer Partyszene, viele Club- und Tanzszenen, in seinen besten Momenten
pulsierend, in seinen schwächsten der Beweis für die These, dass es zwar
durchaus Spaß macht, betrunken zu sein, aber häufig wenig Spaß, anderen Leuten
beim Betrunkensein zuzusehen. Das Gefühl des Nachhausekommens im Morgengrauen,
eine Packung Zigaretten und eine Flasche Weißwein von der Tankstelle in der
Hand, dazu irgendwelchen Ambient Electro hörend und schon mal ein wenig
Leitungswasser gegen den drohenden Kater trinkend, das hat auch dieser Film
nicht wirklich einfangen können.
Ordentlich
blöd hingegen war HER COMPOSITION, ein Film über eine New Yorker Musikerin, die
erst durch eine Tätigkeit als Escort zu Inspiration findet. Nicht nur ein etwas
merkwürdiger Kunstbegriff, sondern auch eine unangenehme Mystifizierung von
weiblicher Sexualität, wie bei solchen Filmen leider nicht besonders
ungewöhnlich ist. MELLOW MUD aus Lettland, immerhin bei der Berlinale
ausgezeichnet, gefiel mir auch nicht besonders, vielleicht habe ich in den
letzten Jahren durch regelmäßige Besuche der Nordischen Filmtage in Lübeck aber
auch einfach zu viele Filme über einsame junge Frauen aus dem Baltikum gesehen,
um hier noch irgendwas neues entdecken zu können.
Mein
Lieblingsfilm des diesjährigen Festivals war jedoch WOLF & SHEEP, ein
afghanischer Film über eine Gruppe von Kindern in einem abgelegenen Dorf, der
mit Elementen eines magischen Realismus arbeitet und subtil aufzeigt, was
Religion im Alltag der Kinder bedeutet. Das klingt schrecklich, entwickelt im
Verlauf des Films jedoch eine angenehme Hangout-Qualität, wenn man Kinder beim
Spielen, Streiten und Lachen beobachtet. Bis die Taliban in das Dorf einfallen
– bevor sie es jedoch erreichen, endet der Film. Am Ende kommen Terroristen und
doch sind das interessanteste an diesem wunderbaren Film kleine Mädchen, die
sich gegenseitig den Mund den verbieten wollen. "You shut up!" -
"No, YOU shut up!".
Dieser Text wurde von David Schepers(@fantazeromane) verfasst.
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