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Dienstag, 6. Februar 2018

Selbständige Kleider: Zu Paul Thomas Anderson „Phantom Thread"


Das An- und Ausziehen ist eine urfilmische Tätigkeit. In beinahe jedem Film finden sich Szenen, in denen Personen Klamotten anlegen, sei es ganz bewusst oder nur als nebensächlicher Rahmen eines Dialogs. Paul Thomas Anderson nähert sich dieser Technik in seinem neuen Film PHANTOM THREAD geradezu verdächtig langsam. Das stetige Berühren anderer Menschen spielt für den Schneider Reynolds Woodcock gerade zu Beginn des Films eine wichtige Rolle und wird von der Kamera mit ruhigen, fast kreisenden Bewegungen eingefangen. Dabei geht es keinesfalls um eine erotisch aufgeladene Berührung, sondern um die Bewegung, die dieser Film vollzieht, in dessen Zentrum am Anfang und am Ende das nicht enden wollende Abmessen von Körpern steht.

Im Haus des Schneiders, in dem sich ein Großteil des Films abspielt (was nicht die einzige Parallele zu Sofia Coppolas THE BEGUILED darstellt) herrscht eine gefährliche Ruhe, die vor allem dadurch hergestellt wird, dass Woodcock Geräusche nur schwer ertragen kann. Das Haus wird als filmischer Raum aktiviert, die Kamera scheint aus beinahe jedem Zimmer einmal zu filmen. Die geradezu stoische Präsenz der Schwester Cyril, sowie einer Gruppe von Schneiderin (ganz in weiß gekleidet), legen eine Ruhe über den Film, sodass dieser all das, was sich unter der Oberfläche verbirgt zunächst einmal nur andeutet. Vielleicht etwas zu überhastet löst Anderson diese Situation auf, indem er alle Menschen, bis auf die beiden Hauptfiguren aus dem Haus entfernt und diese dann einen halbgaren Streit führen lässt. Diese zwar eher seltsam gespielte Szene dient als Aufmacher für eine Umkehr der Machtverhältnisse innerhalb des Films. Konnte man zu Beginn noch den Eindruck haben, die Körperverhältnisse würde die Hauptrolle spielen, so werden sie hier durch Macht ergänzt. Spätestens in der letzten halben Stunde manifestiert sich das Spiel der beiden in einem Gift-und Krankheitswahn (auch hier kann man auf Coppola verweisen), der nur von einer eigentümlichen Silvester-Szene unterbrochen wird, in der sich das Gefühl einstellt, dass Anderson kurz vor Schluss noch einmal auf die, filmisch betrachtet, hermetische Abriegelung seiner Figuren hinweisen möchte und seine Figuren als Figuren der Isolation präsentieren möchte. Die Darstellung von Daniel Day-Lewis passt kaum in diesen Film hinein, sein Spiel ist zu routiniert, zu standardisiert. Unter anderen Umständen hätte er sicherlich funktionieren können, aber in dieser Erzählung, die sich immer wieder langsam an den Rand verschiebt, wirkt er seltsam deplatziert.
Anders als in Filmen wie etwas Refns THE NEON DEMON wird der Begriff Schönheit hier nicht ständig ins visuelle Zentrum gerückt. Die im Film gezeigten Kleider sind viel mehr Abstraktionen, die keiner expliziten Vorstellung von Schönheit folgen oder gar das Seelenleben ihrer Protagonisten darstellen. Viel mehr ermächtigen sie sich umgekehrt ihrer Figuren und fungieren als eigenständige Figuren. In dem Moment, in dem Reynolds auf das im Zentrum des Bildes (und des Interesses) stehende Hochzeitskleid fällt, es mit Schuhcreme beschmiert, wird die Vermittlerfunktion der Kleidung deutlich. Das klinisch reine Haus, das schon länger nicht mehr sauber schien, hat Schmutz abbekommen. Es bedarf für die Reparatur des Hochzeitskleides nur eine ganze Nacht, aber das letzte Bild des Films zeigt uns ganz deutlich: Der andere Fleck wird nicht mehr verschwinden.

Dieser Text wurde von Luca Schepers(@ArafatsSohn) verfasst.

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