Im
Rahmen der Berlinale 2018 konnte man u.a. eine Retrospektive zum Thema
„Weimarer Kino-Neu gesehen“ betrachten. Drei Filme dieser Reihe scheinen mir
auf eigentümliche Art und Weise nicht nur miteinander, sondern auch mit der
deutschen Filmgeschichte verbunden zu sein, nämlich mittels der Figur des
Vaters.
Da
wäre zunächst DIE UNEHELICHEN von Gerhard Lamprecht. Ein Film, der seine
Prämisse etwas zu lange vor sich herschiebt, dem es aber gelingt, ein Bild der
Gesellschaft zu zeichnen, deren grundsätzliche Probleme bis heute bestehen. Er
steht dabei in einer Reihe mit Filmen wie z.B. MUTTER KRAUSENS FAHRT INS GLÜCK.
Im Zentrum des Films steht dabei die Tatsache, dass drei Arbeiterkinder bei
einer Pflegefamilie aufwachsen und dort sehr kalt behandelt werden. In gewisser
Weise präsentiert uns Lamprecht hier drei Vaterfiguren: Zum einen den
Pflegevater, ein Trinker, der die Kinder schlägt und voller Hass auf sie und
ihre Herkunft ist, zum anderen den leiblichen Vater, der zwar erst gegen Ende des Films auftaucht und seinen
Sohn Peter zur Arbeit zwingen möchte, aber schon den ganzen Film wie ein
Damoklesschwert über dem Haupt seiner Kinder schwebt. Selbst die dritte
Vaterfigur, ein hilfsbereiter Nachbar, vermag den dreien zwar eine kurzfristige
Hilfe sein, doch eine langfristige Emanzipation der Kinder von Erwachsenen kann
auch er nicht herstellen. Genau hier steckt jedoch das Ziel des Films: Er lässt
eine Eigenständigkeit und Selbstermächtigung der Kinder zu, die
interessanterweise darin endet, dass Peter schließlich erst an einem Ort
Frieden kann, der völlig von Vätern befreit ist.
Am
Allerdeutlichsten ist die Rolle des autoritären Vaters, der die Emanzipation
seiner Kinder unterdrückt in FRÜHLINGSERWACHEN. Die Geschichte um sexuelle
Emanzipation, Loslösung von den Eltern und Ausbruch aus bürgerlichen
Konventionen, verarbeitet seine Themen in enorm vergnüglicher und gleichzeitig dramatisch
radikalen Art und Weise. Die wohl schönste Szene des Films stellt ein
sommerliches Essen und Bowle-Trinken dar, bei dem die Jugendlichen schließlich
wie verrückt zu tanzen beginnen, während die Eltern nur sitzen bleiben können.
Die Dynamik geht alleine von den Jüngeren aus. Und doch schlurfen und sitzen
überall Väter herum. Auch hier sind sie von einer allgegenwärtigen, aber
gleichzeitig ambivalenten Stimmung umgeben. Zum einen herrschen autoritäre und
brutale Erziehungsmethoden vor, vor allem ein Lehrer, der als pure Abstraktion
des über allem stehenden Vaters dient, sticht dabei heraus. Sein Chef jedoch
steht am Ende als Wegweiser in eine emanzipierte Zukunft, der einen
pathetischen Appell an seinen Schüler formuliert. Das Zentrum des Films stellen
die Schüler und ihre Tragödien dar, aber sie finden keinen Ausweg aus dem Kreis
der Väter. Fast schon ikonisch dafür steht eine Albtraum-Szene, in der die
Gebäude im Umfeld der Figur immer schiefer und unscharfer werden (nicht nur
hier erkennt man die Nähe zum expressionistischen Stummfilm der frühen 20er-Jahre). Immer wieder gibt es Bilder der Freiheit zu
sehen, die jedoch spätestens im zweiten Teil des Films völlig im Schatten des
übermächtig Anwesenden stehen. Die finale Erlösung bleibt ihnen in jeder
Hinsicht verwehrt, mehr noch, der Film gibt nicht dem Jugendlichen das Finale,
sondern der, trotz seiner positiver Konnotation, übermächtig wirkenden,
erwachsenen Figur.
Der
dem Post-NS-Kino am nächsten befindliche Film ist DIE ANDERE SEITE von Heinz
Paul. Ein Film, der seine Kraft vor allem aus seiner Grundprämisse und seinem
filmisch komprimierten Raum zieht. Wie Paul im nur durch Gespräche in
einem Offiziersbunker einen ganzen Krieg lebendig werden lässt, ihn verurteilt,
seine Figuren sich an ihm hochziehen und dann bis in den Tod hinunterfallen lässt,
hat etwas von Käutners SCHWARZER KIES. Hier sind alle Figuren auf ihre Art und
Weise am Ende, der eine Alkoholiker mit offenkundigen Todessehnsüchten, der
andere Offizier kommt frisch und motiviert aus der Schule und ist auf seine
eigene Art ebenfalls nicht mehr zu retten. Die Deutschen als Gegner bekommen
kein Gesicht, sie sind eine Abstraktion, die nur in Form von Bomben und
Kriegsflugzeugen existiert. Alle Figuren sind hier unglaublich zerbrechlich,
der Film gönnt ihnen keinerlei Ruhe. Paul erarbeitet aus den Erfahrungen des 1.
Weltkriegs die Deutschen als Symbol für Krieg und Gewalt. Interessant ist
hierbei vor allem, dass der Offizier Stanhope für alle Figuren die Abwesenheit
der Familie, die nur auf Fotos präsent ist, darstellt. Wieder ein Übervater. Doch dieser, und damit
ist dieser Film dem Adenauer-Kino sehr nahe, kann diese Rolle niemals erfüllen,
im Gegenteil, er scheitert geradezu brachial daran. Er ist zwar noch
überpräsent, doch seine Präsenz ist nur noch schemenhaft, und er beginnt sich langsam
aufzulösen, so wie es auch seine Wahrnehmung durch den Whiskey immer mehr
verschwindet. Den schwachen, väterlichen Offizier verwandelte das NS-Kino in
eine überdimensionierte Führerfigur, während das Adenauer-Kino die Vaterrolle
schließlich abstrahiert und er dort vor allem durch seine Abwesenheit anwesend gemacht
wird.
Dieser Text wurde von Luca Schepers(@ArafatsSohn) verfasst.
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