10. BLIND &
HÄSSLICH-Tom Laas
Der
Mumbelcore-Film ist mir in diesem Jahr ans Herz gewachsen. Ich mag die Art und Weise,
wie frei und spielerisch ihre Filme sind und dadurch die Möglichkeit bekommen,
ganz eigene Ästhetiken zu entwickeln. In diesem Film gelingt es Tom Laas seinem
Film einen eigentümlich, tatsächlichen Humor zu geben, ohne dabei den Fokus auf
seine Figuren zu verlieren.
Hier sieht man einen Film voller Menschen, die sich
so viel anderes von der Welt erwarten, als das Gegenwärtige, dies aber nicht so
richtig bekommen. Er lässt diese Figuren aufeinandertreffen und sie in einem
sehr vergnüglichen Setting einen gemeinsam Faden finden: „Ich möchte, dass die
Sonne wieder scheint.“
9. A DATE FOR MAD
MARY-Darren Thornton
Man
findet im zeitgenössischen Kino viel zu selten Coming-of-Age-Geschichten, die
sich wirklich ernsthaft mit ihren Figuren auseinandersetzen möchten. Mit A DATE
FOR MAD MARY gab es in diesem Jahr einen unverhofften Glücksfall. Der Film ist
so sehr aus der Perspektive von Mary erzählt, dass sich dies sogar in der
Ästhetik wiederschlägt. Ihre Melancholie, ihre Zerbrechlichkeit im Angesicht
dessen, was ihr widerfährt, interagieren mit der ansonsten etwas
konventionellen Narration. In diesem Film geschieht immer etwas, ständig
wechselt die Stimmung von Mary, von ihrem tief verwurzelten Gefühl der
Einsamkeit, über Ignoranz bis hin zu völligen Ausbrüchen. Der Film begleitet
dies, ohne je moralisierend oder beurteilend zu sein. Ein Kino, das sich mit
seiner Hauptfigur gemein macht und ihr das gibt, was sie so selten bekommt:
Zuneigung.
8. DETROIT-Kathryn Bigelow
Politische
Zusammenhänge in Filmen darzustellen, endet nur allzu häufig in einem
ziemlichen Ärgernis. Vielen Filmen (lookin‘ at you, Ken Loach) scheint es zu
genügen, auf einer inhaltlichen Ebene ein politisches Thema zu verhandeln. In
DETROIT gelingt es Bigelow ihr dezidiert politisches Programm in eine
vielschichtige Ästhetik umzusetzen. Die Unruhen in Detroit im Jahr 1967 dienen
als Vorlage für einen fast schon Actionfilm über Polizeigewalt. Bereits in der
ersten Szene wird das Flirrende und Körperliche dieses Films eingeführt. Man
verliert schnell den Überblick, doch das ist gewollt. Interessanterweise sind
es nicht die sich hoffnungslos in der Gewalt eines brutalen Polizisten
befindenden Figuren, von denen der Film eine Selbstermächtigung verlangt,
sondern der Zuschauer. Er muss das ihm dargebotene und geradezu physisch
erfahrbar gemachte beurteilen und seine eigenen Schlüsse daraus ziehen.
7. DIE ANDERE SEITE DER
HOFFNUNG-Aki Kaurismäki
Aki
Kaurismäki gelang es, mich mit diesem Film sehr zu überraschen. In der für ihn
sehr typischen Ästhetik, in der Begriffe wie Fremder und Bekannter eigentliche
überhaupt keine Rolle spielen, schickt er einen Asylbewerber hinein. Eine
zweite, realere Welt, die der ersten nicht unähnlich ist, macht er in einer
Asylbehörde auf. Dort findet sich das wieder, was die Bilder im Restaurant „Zum
Goldenen Krug“ bereits andeuten, final expliziert. Das Wechselspiel dieser
beiden Räume, sowie der Humor, mit dem so manche Vorstellung hier dekonstruiert
und dann liegengelassen wird, machen DIE ANDERE SEITE DER HOFFNUNG nicht zu
einem Film über die sogenannte „Flüchtlingskrise“ werden, sondern zu einer
Reflexion über die Ästhetiken der Begegnung zwischen solch‘ verschiedenen
Menschen, die „trotz allem Mensch sind“.
6.
NOCTURAMA-Bertrand Bonello
Das französische Kino hat in diesem Jahr
einiges an interessanten Filmen geboten und mit NOCTURAMA einen der tollsten.
Bonello sucht in diesem Film etwas, was sich weit weg von konkreten politischen
Aussagen oder ästhetischen Klarheiten befindet. Er entwirft in seinem Film die
Architektur eines Terroranschlags. Alleine der Anfang des Films, in dem man an
verschiedenen Orten in Paris einzelne Personen sieht, die bestimmte Dinge tun,
ist schon faszinierend. Hier wird ein Rhythmus etabliert, ein filmischer
Zusammenhalt einzelner Subjekte, die sich durch eine fast schon harmlos
wirkende Stadt bewegen. Vieles bleibt auf der auditiven Ebene sprachlos, wird
aber in seinen filmischen Bildern zum Leben erweckt. Dabei befindet sich der
Film immer in einem Schwebezustand und simplifiziert niemals seine Thematik.
Vielleicht steckt die größte Macht des Kinos genau darin, den Zuschauer in das
Medium hineinzuholen und ihm durch die ureigenste Kraft des Kinos darin
zurückzulassen: Das Bild.
5.
CERTAIN WOMEN-Kelly Reichardt
Kelly Reichardt ist eine wunderbare
Filmemacherin. Auch in ihrem neuen Film CERTAIN WOMEN gelingt es ihr wieder,
einen Film über ein gegenwärtiges Amerika zu machen, ohne dabei in
Allgemeinplätze abzudriften. Sie inszeniert ihre Figuren so genau und
feinfühlig, dass bereits zu Beginn jeder der drei Episoden so viel über die
Figuren erzählt wird, z.B. der Moment, in dem Michelle Williams aus ihrem Auto
steigt und ihr Mann seiner Tochter sagt, sie sollten heute freundlich zu ihrer
Mutter sein. In wunderschönen Aufnahmen der Natur Montanas, erzählt sie von
gesellschaftlichen Zuständen, persönlichen Schicksalen und
Geschlechterverhältnisse. Dabei ist dies niemals aufdringlich, sondern
funktioniert dies stets über kleine Gesten und Momente. Die vier
Hauptdarstellerinnen sind allesamt herausragend. Reichardt gibt ihnen den Raum,
ihre Figuren entwickeln zu können, ohne dafür eine ganz große Szene schaffe zu
müssen. Ein Film wie ein schöner Frühlingsabend, an dem man durch die Dämmerung
nach Hause geht
4.
HELLE NÄCHTE-Thomas Arslan
HELLE NÄCHTE ist in vielerlei Hinsicht
ein eigentümlicher Film. Er behandelt zum einen eine Vater-Sohn-Beziehung in
all ihren Facetten und Dialogen (bzw. Nicht-Dialogen). Zum anderen ist es aber
auch ein Film, der sich sehr über seine Bildsprache definiert. Die Beziehung zwischen
Vater Michael und seinem Sohn Luis ist kaputt, da ist kein Riss mehr, den man
noch kitten könnte, sondern sie sind an einem Punkt der völligen Entfremdung.
Arslan zeigt uns dies sehr unaufdringlich und genau, in dem er die beiden in
die Einsamkeit Norwegens schickt. Dabei verliert er seine Figuren nie aus dem
Blick, sondern ist immer ganz nah bei den beiden, die sich so fern fühlen. Und
so wird dieses Gefühl, das den Film durchzieht in einer letzten, großartigen,
mehrminütigen Kamerafahrt mit einem Auto durch eine nebelverhangene Straße,
zusammengefasst.
3.
SONG TO SONG-Terrence Malick
Der neue Film von Terrence Malick hat
mich einmal mehr mitgenommen. Natürlich ähneln sich seine Filme in seinen
Ästhetiken sehr und manchmal können einem die Natur-Szenen etwas zu viel
vorkommen. Aber auch in diesem Film kümmerte mich das wenig, war es doch viel
schöner, sich diesen Bildern hinzugeben, die trotz der Leichtigkeit, die sie
und die Figuren ausstrahlen, eine Zerbrechlichkeit offenbaren, wie es sie in den
Vorgängerfilmen noch nicht gegeben hatte. Es geht zu keiner Sekunde darum, ein
Kino zu erschaffen, dass irgendwelche Realitäten abbildet, sondern darum, sich
ganz seiner Fantasie hinzugeben. Vor allem Rooney Maras Darstellung wird
geradezu perfekt eingefangen. Mit SONG TO SONG und dem Leitmotiv der Musik
kommt Malick vielleicht dem am nächsten, was sein Kino ausmacht: Eine
melodischer, gefühlsmäßig-assoziativer Bilderrausch.
2.
REPARER LES VIVANTS- Katell
Quillévéré
REPARER LES VIVANTS enthält die schönste
Szene des Kinojahres. Zwei junge Menschen gehen durch eine sonnendurchflutete
Straße auf die Métro-Station zu. Sie verabschieden sich, der Junge fährt rasch
mit seinem Fahrrad an die nächste Station, um sie dort zu empfangen. Sie küssen
sich. Einige Monate später stirbt dieser Junge bei einem Autounfall und sein
Herz soll einer todkranken Frau eingepflanzt werden. Den ganzen Film
durchziehen unglaublich schöne und dabei ganz ruhige Szenen, in denen
Verbindungen zwischen Menschen gezeigt werden, die auf den ersten Blick
unsichtbar scheinen. Es sind kleine Gesten, die vom Kranksein, von sowohl
seelisch als auch physisch nie geheilten Wunden und vom Sterben erzählen. Der
Film etabliert gleich zu Beginn eine Ästhetik, die so vielschichtig ist, dass
er sich von Beginn an auf einer ganz anderen Eben befindet. Das flimmernde
Herz, welches immer wieder ein Motiv ist, stellt die Verbindungen aller
Menschen dar. Es gelingt Quillévéré, die
verschiedenen Personengruppen, die in diesem Film vorkommen, durch eine
geradezu ungreifbare Macht zusammenzuhalten und ihnen eine verbindende Ästhetik
zu implementieren. Vielleicht
zeigt dieser Film in der Symmetrie, die er an beide Handlungsstränge anlegt,
vor allem, dass sich all seine Figuren letztlich nach dem Gleichen sehnen. We found
love in a hopeless place.
1. PERSONAL SHOPPER-Olivier Assayas
Das absolute
Meisterstück des Jahres liefert jedoch Olivier Assayas ab. Mit einer Kristen
Stewart, die wohl die beste Leistung ihrer ruhmreichen Karriere zeigt und ihrer
ohnehin schon sehr spannenden Figur der Maureen noch sehr viel mehr Facetten
hinzufügt. Nie macht sie eine Bewegung oder einen Gesichtsausdruck, den ihre
Figur nicht auch machen würde. Sie bewegt sich so zerbrechlich und gleichzeitig
selbstbewusst im Raum, wie es ihre Figur verlangt. Assayas inszeniert in
brillanten Bildern eine auf besondere Art realistische Welt um sie herum, in
der sie sich sowohl als Medium als auch als Einkäuferin beweisen muss. Wenn ihr
dabei immer wieder von einer unbekannten Person Nachrichten auf das Handy
gesendet werden, dann ist dies wahrscheinlich das erste Mal, dass dieses Objekt
im Kino als dezidiert kinematographisches Objekt betrachtet werden kann. Der
Geist in diesem Film ist nicht nur das auftauchende Ektoplasma, sondern auch
Maureens Familiengeschichte, ihre persönliche Geschichte. In PERSONAL SHOPPER
wird auf jeder Ebene, in jeder Szene etwas erzählt, ob es nun laut oder leise,
hell oder dunkel, warm oder kalt ist. Der Film fängt moderne Technologien als
etwas ein, dass in der Realität existent ist. Und das ist nur ein Bruchteil
dessen, was man über diesen besten Film des Jahres sagen könnte.
Gedankenreste:
-Twin
Peaks: The Return (David Lynch): Kein
Anfang, kein Ende, kein Himmel, keine Hölle. Ein einziger, unendlicher
Bilderstrom. Konstruktion, Dekonstruktion. Eine Wunde, die niemals heilen wird,
aber das Bild arrangiert sich damit. Ein Finale, das alles auflöst, was das
Medium ausmacht und es wortlos im Dunkeln stehenlässt. Mehr bewegt hat mich in
diesem Jahr nichts.
-In
the Mood for Love (Wong Kar-Wai): Ein
Film darüber, dass man Liebe niemals nachempfinden kann, sondern immer nur
selbst erleben kann.
-Dunkirk
(Christopher Nolan): Sicherlich
einer der interessanteren Nolan-Filme der letzten Jahre, wirklich gefallen hat
er mir trotz allem nicht. In seiner visuellen Gestaltung ist sehr schnell klar,
was er uns erzählen möchte, in seinem gewollt unordentlichen Panorama steckt am
Ende dann doch etwas zu viel Kalkül.
-Juste
la fin du monde (Xavier Dolan): Schrecklich
selbstverliebtes Kino, das den Schmerz seiner Figuren ausschließlich in
Großaufnahmen darstellen kann. Ein Kino der Simplifizierung, das ganz
daraufsetzt, dass dem Zuschauer alles sowieso schon bekannt ist und er dem
nichts mehr hinzuzufügen braucht.
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