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Freitag, 18. Juni 2021

Everynight Dreams- Notizen zu einigen frühen Filmen von Mikio Naruse


Flunky, Work Hard (1931)

Von sanfter Komik über Kinderwelten mit ungeahnten Brutalitäten zur Tragik im Krankenhaus. Schöne kleine Geschichte, sehr schön montiert, vor allem, als der Vater vom Unfall seines Sohnes erfährt und das Bild für einen Moment mit ihm gemeinsam zusammenbricht.

No Blood Relations (1932)

Ein Reißen zwischen zwei Müttern. Eine möchte verzweifelt ihre Vergangenheit ungeschehen machen und muss daran scheitern. Sie wird am Ende nicht mit ansehen können, was sie getan hat. Die andere geht auf vor Liebe zu ihrem Kind. Familie ist kein Konstrukt, sondern ein Zusammenhalten. Findet in der Großaufnahme und der leichten Kamerafahrt zu seinen Figuren. Wäre interessant, ihn mit Sirks „All I Desire“ zusammen zu sehen. In beiden Fällen geht es um Schauspielerinnen, die ihre Vergangenheit ändern wollen und erkennen, dass das nie möglich sein wird. Während es bei Sirk eine Kuss auf der Veranda gibt, lässt Naruse seine Figur Japan den Rücken kehren. Sie kann nicht mit ansehen was sie getan hat.

Apart From You (1933)

Eine sich nicht erfüllende Leidenschaft, die unter den familiären und gesellschaftlichen Zwängen leiden muss, aber nie zerbricht. Wenn beide am Ende am Bahngleis stehen und sich versichern, dass sie miteinander gehen würden, wenn nur nicht…, dann kommt das ganze Drama zusammen. Wieder unheimlich klar in seinen Bildern und seiner Erzählweise, die in die Tiefe der Menschen hineinblickt. Die Väter sind abwesend oder betrunken, die Männer brutal und kriminell. Die Frauen leben als Gemeinschaft, als Fundament der Gesellschaft. In der Hinsicht ist der Film auch sehr schonungslos, im Sinne eines ungetrübten Blicks auf seine Geschichte. Aus diesem Blick entsteht vielleicht auch erst die Tiefe der Emotionen zwischen den Figuren.

(Und wieder eine solch‘ schöne Musik.)

Everynight Dreams (1933)

Wieder ein Kind, das auf den ersten Blick passiv bleibt, aber doch das Zentrum allen Interesses ist. Die Mutter muss arbeiten, ist verdammt dazu, innere und äußere Seite zu trennen, um ihrem Job in der Hafenkneipe nachgehen zu können. Zwischendurch immer mal wieder mit sehr schönen ruhigen Momenten, die das Drama, was sich im ersten Blickaustausch zwischen Mutter und Vater bereits andeutet, noch viel schmerzhafter erscheinen lassen. Wieder sehr klare Bilder, mit unheimlichem Detailreichtum. Erzählungen im Kleinen, die nie versuchen, größer zu wirken als sie sind und dadurch erst zu wirklicher Größe kommen.

Street Without End (1934)

Dieses Mal in der Stadt, alles ist etwas größer, etwas weniger fokussiert. Tut dem Film an der ein oder anderen Stelle nicht so gut, weil die Detailfokussierung Naruses Filme erst richtig lebendig werden lässt. Trotzdem ein großes Drama, eine tragische Geschichte und in der tollen Krankenhause-Szene am Ende auch das Hadern mit der eigenen Entscheidung, gefangen zwischen Welten, die sich nicht berühren können.

The Actress and the Poet (1935)

Im besten Sinne eine leichte Komödie. Sehr lebhafter Film über Nachbarschaft und Beziehungen als Motor des Alltags, in dem einfach Sachen passieren und vor sich hin laufen. Sehr schön die Performanz der Übungsszenen und das leichte Verschwimmen mit der Filmhandlung, was hier aber nicht als Selbstreferenz gedacht werden soll, sondern als gleicher Modus des Geschehens (und auch der Beobachtung, wenn zwei Nachbarn den Streit des Paares beobachten). Auch das Haus als Ort familiärer Struktur, in dem der Mann der Herr ist, egal, wie die Umstände sind.

The Road I Travel with You (1936)

Erneut extrem präzise und unaufhaltsam auf dem Weg in den Tod. Bemerkenswert, wie konsequent Naruses Filme wirken, geprägt von klaren Linien, die sich bis zum letzten Bild durchziehen. Auf eine schöne Art sind das auch sehr ökonomisch erzählte Geschichte, nicht nur wegen der Länge, sondern weil sie sehr viel Ballast abwerfen und ihre Geschichten von vorne bis hinten durchdeklinieren, ohne dabei je schematisch zu wirken (hier ist es vor allem der Tod der Liebenden, der als einzige Konsequenz und als Ausbruch aus dem Teufelskreis der Ehe fungiert (vielleicht manchmal etwas zu befreit, etwas weniger detailliert als sonst).

A Woman’s Sorrow (1937)

Ein Film im Wandel, genau wie die Gesellschaft, die er zeigt. Vielleicht fiel es mir deshalb auch relativ lange schwer, in den Film hereinzukommen. Ästhetisch einer der unspektakuläreren Naruse-Filme, inhaltlich in sehr klaren Gegensatzpaaren operierend. Die langsame Verwandlung von Hiroki hin zum hoffnungsvollen Finale und die tragische Geschichte von Yoko kommen manchmal nicht ganz zusammen und der Film wird dann zu direkt (Bar-Szene), aber der Beobachtungsreichtum und die komplexen Verhältnisse sind trotzdem sehr schön anzusehen. Alles spielt sich in überfüllten Innenräumen ab, es geht stets um das Verhältnis von Körpern zueinander. Weniger eine Raumfrage in Bezug auf das Haus, sondern wie sich Figuren zueinander drehen, wie sie gerufen werden und wie sie aufeinander reagieren.

Avalanche (1937)

Anders als in einigen anderen Naruse-Filmen, gibt es hier keinen Ausweg für die Figuren. Niemand kann den Dilemma entfliehen. Die Frau, die ihren Mann liebt und deren Schmerz umso größer wird, weil sie diese Liebe nicht aufgeben kann und in sich drin aber weiß, dass sie unerwidert bleiben muss. Die Eltern, gefangen in ihren Traditionen und ihren Familien, mit schmerzlichen Konsequenzen. Der Mann, der die Frau liebt, die er nicht bekommen kann. Die Gedanken der Figuren werden in stillen Momenten leise ausgesprochen, bis hin zum vermeintlichen Selbstmord. Nichts in der Welt könnte ihn am Leben belassen, ihre Liebe ist so bedingungslos, dass sie auch sterben würde. Naruses unglaubliches Auge für Details kommt dem Film noch viel mehr zugute, weil die Liebe und die Sehnsüchten der Figuren hier alles einnehmen und nichts neben sich zulassen.

Learn from Experience (Part 1) (1937)

Naruses Filme bedürfen extrem präzise erzählter Geschichten, weil diese enorme Detailliertheit sonst seinen Fokus verliert. Vielleicht ist es in diesem Fall nicht mal so, dass die Erzählung zu wenig in Schwung kommt, sie harmoniert nur nicht so sehr mit den sonst genau beobachteten Szenerien. Schön erzählt bleibt er trotzdem, aber das Grundproblem, dass die Motive von Michoko relativ unklar bleiben, bleibt an den Texturen des Bildes hängen und will nicht ganz mit ihm interagieren. Vielleicht auch zu langsam, weil noch ein zweiter Teil folgt. Das Drama bleibt trotz allem erhalten und es ist groß und tragisch, weil diesmal nicht einmal das Geld reichen kann, weil es noch jemanden anders gibt, der reicher ist. Vielleicht ist sich Naruse dessen zum ersten Mal nicht so stark bewusst (wäre interessant zu wissen, wie die beiden Teile im Kino gelaufen sind).

Learn from Experience (Part 2) (1937)

Kommt nie so wirklich von der Stelle und die Geschichte hätte sich kürzer vermutlich besser erzählen lassen. Das wirkliche Drama ist aber eigentlich nicht die seltsame Dreiecksbeziehung, die sich auch schnell in Harmonie auflöst, sondern die Heimatlosigkeit von Toyomi. Dadurch, dass sie schon im ersten Teil des Films ihr Sein und ihre Heimat in der Liebe zu Shintaro gefunden hatte, kann sie im zweiten Teil nirgendwo mehr hin. Sie lebt nur noch für das Kind (ein gebrochenes Herz führt zu neuem Leben, wörtlich), aber selbst das gibt sie bereitwillig ab. Wäre viel interessanter gewesen, ihre Einsamkeit nicht auf das Fehlen der Liebe zurückzuführen, sondern den damit einhergehenden Zusammenbruch der eigenen Welt. So bleibt nur das sehr lineare Zulaufen auf den Höhepunkt, an dem sich Shintaro und Toyomi das erste Mal wiedersehen. Aber auch in ihrem gegenseitigem Schmerz ist nicht wirklich etwas zu spüren, die großen Gefühle, die im ersten Teil zumindest angedeutet wurden, bekommen hier keine Verstärkung mehr.

Tsuruhachi and Tsurujiro (1938)

Kommt nach der schönen ersten Hälfte nicht mehr so richtig in Fahrt und hat auch eine relativ fade Auflösung. Das größte Problem scheint mir, dass die Beziehung von Tsuruhachi und Tsurujiro seltsam uneindeutig bleibt. Es ist nicht wirklich klar, was sie aneinander finden. Nur in den musikalischen Momenten bilden sie eine fragile Einheit, die über technische Details hinter der Bühne wieder zerstört wird. Aber diese Rätselhaftigkeit bekommt Naruse in der zweiten Hälfte nicht wieder aufgesammelt, sondern arbeitet eher auf ein wenig interessantes Ende zu (vielleicht auch die schwächste Endszene bei Naruse bisher).

Sincerity (1939)

Sehr zurückgenommen erzählt, in dieser Zurückhaltung aber wie immer extrem detailliert in der Betrachtungsweise menschlichen Verhaltens. Zwischen den Erwachsenen bleibt bis zum letzten Bild alles bloße Andeutung, Blicke zwischen Menschen, eine Liebe, die immer noch nur zwischen den Zeilen existiert und nicht mehr zu ertragende Konflikte. Als Gegenpol die Kinder, die Eindeutigkeit und Verständnis einfordern und in ihren Gesprächen immer näher an die Wahrheit kommen. Diese beiden Pole formen den Film, der von etwas Vergangenem erzählt, was versucht sich zu aktualisieren, aber nie darüber hinwegkommt, dass es vergangen ist.


(Alle Notizen sind unmittelbar nach dem Anschauen des Films entstanden.)

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