Flunky, Work Hard (1931)
Von sanfter Komik über Kinderwelten mit ungeahnten
Brutalitäten zur Tragik im Krankenhaus. Schöne kleine Geschichte, sehr schön
montiert, vor allem, als der Vater vom Unfall seines Sohnes erfährt und das
Bild für einen Moment mit ihm gemeinsam zusammenbricht.
No Blood Relations (1932)
Ein Reißen zwischen zwei Müttern. Eine möchte verzweifelt ihre Vergangenheit ungeschehen machen und muss daran scheitern. Sie wird am Ende nicht mit ansehen können, was sie getan hat. Die andere geht auf vor Liebe zu ihrem Kind. Familie ist kein Konstrukt, sondern ein Zusammenhalten. Findet in der Großaufnahme und der leichten Kamerafahrt zu seinen Figuren. Wäre interessant, ihn mit Sirks „All I Desire“ zusammen zu sehen. In beiden Fällen geht es um Schauspielerinnen, die ihre Vergangenheit ändern wollen und erkennen, dass das nie möglich sein wird. Während es bei Sirk eine Kuss auf der Veranda gibt, lässt Naruse seine Figur Japan den Rücken kehren. Sie kann nicht mit ansehen was sie getan hat.
Apart From You (1933)
Eine sich nicht erfüllende Leidenschaft, die unter den
familiären und gesellschaftlichen Zwängen leiden muss, aber nie zerbricht. Wenn
beide am Ende am Bahngleis stehen und sich versichern, dass sie miteinander
gehen würden, wenn nur nicht…, dann kommt das ganze Drama zusammen. Wieder
unheimlich klar in seinen Bildern und seiner Erzählweise, die in die Tiefe der
Menschen hineinblickt. Die Väter sind abwesend oder betrunken, die Männer
brutal und kriminell. Die Frauen leben als Gemeinschaft, als Fundament der
Gesellschaft. In der Hinsicht ist der Film auch sehr schonungslos, im Sinne
eines ungetrübten Blicks auf seine Geschichte. Aus diesem Blick entsteht
vielleicht auch erst die Tiefe der Emotionen zwischen den Figuren.
(Und wieder eine solch‘ schöne Musik.)
Everynight Dreams (1933)
Wieder ein Kind, das auf den ersten Blick passiv bleibt,
aber doch das Zentrum allen Interesses ist. Die Mutter muss arbeiten, ist
verdammt dazu, innere und äußere Seite zu trennen, um ihrem Job in der
Hafenkneipe nachgehen zu können. Zwischendurch immer mal wieder mit sehr
schönen ruhigen Momenten, die das Drama, was sich im ersten Blickaustausch
zwischen Mutter und Vater bereits andeutet, noch viel schmerzhafter erscheinen
lassen. Wieder sehr klare Bilder, mit unheimlichem Detailreichtum. Erzählungen
im Kleinen, die nie versuchen, größer zu wirken als sie sind und dadurch erst
zu wirklicher Größe kommen.
Street Without End (1934)
Dieses Mal in der Stadt, alles ist etwas größer, etwas weniger
fokussiert. Tut dem Film an der ein oder anderen Stelle nicht so gut, weil die
Detailfokussierung Naruses Filme erst richtig lebendig werden lässt. Trotzdem
ein großes Drama, eine tragische Geschichte und in der tollen
Krankenhause-Szene am Ende auch das Hadern mit der eigenen Entscheidung, gefangen
zwischen Welten, die sich nicht berühren können.
The Actress and the Poet (1935)
Im besten Sinne eine leichte Komödie. Sehr lebhafter Film
über Nachbarschaft und Beziehungen als Motor des Alltags, in dem einfach Sachen
passieren und vor sich hin laufen. Sehr schön die Performanz der Übungsszenen
und das leichte Verschwimmen mit der Filmhandlung, was hier aber nicht als
Selbstreferenz gedacht werden soll, sondern als gleicher Modus des Geschehens (und
auch der Beobachtung, wenn zwei Nachbarn den Streit des Paares beobachten).
Auch das Haus als Ort familiärer Struktur, in dem der Mann der Herr ist, egal,
wie die Umstände sind.
The Road I Travel with You (1936)
Erneut extrem präzise und unaufhaltsam auf dem Weg in den Tod. Bemerkenswert, wie konsequent Naruses Filme wirken, geprägt von klaren Linien, die sich bis zum letzten Bild durchziehen. Auf eine schöne Art sind das auch sehr ökonomisch erzählte Geschichte, nicht nur wegen der Länge, sondern weil sie sehr viel Ballast abwerfen und ihre Geschichten von vorne bis hinten durchdeklinieren, ohne dabei je schematisch zu wirken (hier ist es vor allem der Tod der Liebenden, der als einzige Konsequenz und als Ausbruch aus dem Teufelskreis der Ehe fungiert (vielleicht manchmal etwas zu befreit, etwas weniger detailliert als sonst).
A Woman’s Sorrow (1937)
Ein Film im Wandel, genau wie die Gesellschaft, die er
zeigt. Vielleicht fiel es mir deshalb auch relativ lange schwer, in den Film hereinzukommen.
Ästhetisch einer der unspektakuläreren Naruse-Filme, inhaltlich in sehr klaren
Gegensatzpaaren operierend. Die langsame Verwandlung von Hiroki hin zum
hoffnungsvollen Finale und die tragische Geschichte von Yoko kommen manchmal
nicht ganz zusammen und der Film wird dann zu direkt (Bar-Szene), aber der
Beobachtungsreichtum und die komplexen Verhältnisse sind trotzdem sehr schön
anzusehen. Alles spielt sich in überfüllten Innenräumen ab, es geht stets um
das Verhältnis von Körpern zueinander. Weniger eine Raumfrage in Bezug auf das
Haus, sondern wie sich Figuren zueinander drehen, wie sie gerufen werden und
wie sie aufeinander reagieren.
Avalanche (1937)
Anders als in einigen anderen Naruse-Filmen, gibt es hier
keinen Ausweg für die Figuren. Niemand kann den Dilemma entfliehen. Die Frau,
die ihren Mann liebt und deren Schmerz umso größer wird, weil sie diese Liebe
nicht aufgeben kann und in sich drin aber weiß, dass sie unerwidert bleiben
muss. Die Eltern, gefangen in ihren Traditionen und ihren Familien, mit
schmerzlichen Konsequenzen. Der Mann, der die Frau liebt, die er nicht bekommen
kann. Die Gedanken der Figuren werden in stillen Momenten leise ausgesprochen,
bis hin zum vermeintlichen Selbstmord. Nichts in der Welt könnte ihn am Leben
belassen, ihre Liebe ist so bedingungslos, dass sie auch sterben würde. Naruses
unglaubliches Auge für Details kommt dem Film noch viel mehr zugute, weil die
Liebe und die Sehnsüchten der Figuren hier alles einnehmen und nichts neben
sich zulassen.
Learn from Experience (Part 1) (1937)
Naruses Filme bedürfen extrem präzise erzählter
Geschichten, weil diese enorme Detailliertheit sonst seinen Fokus verliert.
Vielleicht ist es in diesem Fall nicht mal so, dass die Erzählung zu wenig in
Schwung kommt, sie harmoniert nur nicht so sehr mit den sonst genau
beobachteten Szenerien. Schön erzählt bleibt er trotzdem, aber das
Grundproblem, dass die Motive von Michoko relativ unklar bleiben, bleibt an den
Texturen des Bildes hängen und will nicht ganz mit ihm interagieren. Vielleicht
auch zu langsam, weil noch ein zweiter Teil folgt. Das Drama bleibt trotz allem
erhalten und es ist groß und tragisch, weil diesmal nicht einmal das Geld
reichen kann, weil es noch jemanden anders gibt, der reicher ist. Vielleicht
ist sich Naruse dessen zum ersten Mal nicht so stark bewusst (wäre interessant
zu wissen, wie die beiden Teile im Kino gelaufen sind).
Learn from Experience (Part 2) (1937)
Kommt nie so wirklich von der Stelle und die Geschichte
hätte sich kürzer vermutlich besser erzählen lassen. Das wirkliche Drama ist
aber eigentlich nicht die seltsame Dreiecksbeziehung, die sich auch schnell in
Harmonie auflöst, sondern die Heimatlosigkeit von Toyomi. Dadurch, dass sie
schon im ersten Teil des Films ihr Sein und ihre Heimat in der Liebe zu
Shintaro gefunden hatte, kann sie im zweiten Teil nirgendwo mehr hin. Sie lebt
nur noch für das Kind (ein gebrochenes Herz führt zu neuem Leben, wörtlich),
aber selbst das gibt sie bereitwillig ab. Wäre viel interessanter gewesen, ihre
Einsamkeit nicht auf das Fehlen der Liebe zurückzuführen, sondern den damit
einhergehenden Zusammenbruch der eigenen Welt. So bleibt nur das sehr lineare
Zulaufen auf den Höhepunkt, an dem sich Shintaro und Toyomi das erste Mal wiedersehen.
Aber auch in ihrem gegenseitigem Schmerz ist nicht wirklich etwas zu spüren,
die großen Gefühle, die im ersten Teil zumindest angedeutet wurden, bekommen
hier keine Verstärkung mehr.
Tsuruhachi and Tsurujiro (1938)
Kommt nach der schönen ersten Hälfte nicht mehr so
richtig in Fahrt und hat auch eine relativ fade Auflösung. Das größte Problem
scheint mir, dass die Beziehung von Tsuruhachi und Tsurujiro seltsam
uneindeutig bleibt. Es ist nicht wirklich klar, was sie aneinander finden. Nur
in den musikalischen Momenten bilden sie eine fragile Einheit, die über
technische Details hinter der Bühne wieder zerstört wird. Aber diese
Rätselhaftigkeit bekommt Naruse in der zweiten Hälfte nicht wieder
aufgesammelt, sondern arbeitet eher auf ein wenig interessantes Ende zu
(vielleicht auch die schwächste Endszene bei Naruse bisher).
Sincerity (1939)
Sehr zurückgenommen erzählt, in dieser Zurückhaltung aber
wie immer extrem detailliert in der Betrachtungsweise menschlichen Verhaltens.
Zwischen den Erwachsenen bleibt bis zum letzten Bild alles bloße Andeutung,
Blicke zwischen Menschen, eine Liebe, die immer noch nur zwischen den Zeilen
existiert und nicht mehr zu ertragende Konflikte. Als Gegenpol die Kinder, die
Eindeutigkeit und Verständnis einfordern und in ihren Gesprächen immer näher an
die Wahrheit kommen. Diese beiden Pole formen den Film, der von etwas
Vergangenem erzählt, was versucht sich zu aktualisieren, aber nie darüber
hinwegkommt, dass es vergangen ist.
(Alle Notizen sind unmittelbar nach dem Anschauen des Films entstanden.)
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