Ein
gutes Kinojahr, zumindest für mich. Der Umzug in eine größere
Stadt, in der vage so etwas wie eine cinephile Szene zu erkennen ist.
Sehr geärgert darüber dass der neue Jia Zhangke nicht beim Filmfest
Hamburg lief (Burning zwar auch nicht, aber leichte Skepsis
spätestens seit Obama den gut findet).
Und
wie jedes Jahr die Frage, was eigentlich zu 2018 gehört. Zwei Filme,
die es mit Sicherheit auf diese Liste geschafft hätten, gehören
alleine aufgrund der Sehumstände nicht so richtig zu diesem Jahr.
Hong Sang Soos On The Beach at Night Alone und Claire Denis' Meine
schöne innere Sonne ergäben auch ein schönes Double Feature, denn
wann fühlt sich schonmal ein Hong-Film brutaler an als einer der
französischen Großmeisterin (und vermutlich besten lebenden
Regisseurin, give or take Hou Hsiao-Hsien)?
"Man
muss das deutsche Fernsehen auch mal loben" ist mitterweile
genauso sehr zum Klischee verkommen wie die ewig gleichen Klagen über
eben jenes Fernsehen, nichtsdestoweniger verdienen Regina Schillings
Dokumentation Kulenkampffs Schuhe und der schöne Schluss von
Christian Petzolds Polizeiruf-Trilogie sehr viel Begeisterung.
Kulenkampffs Schuhe hat so sehr für innerfamliären und
intergenerationellen Dialog gesorgt, wie es sonst nur Matthias Brandt
Lieblingsverein schafft.
Mein
Filmjahr, für uns Nicht-Berliner und Nicht-Hamburger immer vom
Kinojahr zu trennen, wurde sehr von Clint Eastwood und Jonathan Demme
geprägt. Zu Jonathan Demme hatte ich ein sehr schönes und
interessantes Seminar an der Universität, bei Clint Eastwood überkam
mich nach zufälligem Sehen einiger seiner späteren Filme (American
Sniper, Changeling und besonders der wunderbare A Perfect World) die
Neugier und Lust, mich seinen anderen Filmen mal chronologisch zu
widmen. Gebrochen habe ich diesen Vorsatz zur Chronologie nur für
The 15:17 to Paris, einen der merkwürdigsten Filme des Jahres,
dessen Widersprüche ich immer noch nicht in für mich
befriedigender Art auflösen konnte – was ihn umso faszinierender
macht.
Lobende
Erwähnungen soll es außerdem für Private Life von Tamara Jenkins,
Agnes Vardas Photographiereise Faces Places, Christopher McQuarries
Mission: Impossible – Fallout, Greta Gerwigs Lady Bird, Jaime
Collett-Serras certified banger The Commuter, Corneliu Poromboius
Infinite Football, Jean-Luc Godards The Image Book, Frederick
Wisemans Ex Libris – The New York Public Library und dem sehr
lustigen Under the Silver Lake von David Robert Mitchell geben.
- A Star Is Born – Bradley Cooper
Bradley
Coopers Version von A Star is Born war für mich die erste Begegnung
mit dem Stoff, das tragische Ende traf mich deswegen etwas
unvorbereitet, hatte ich doch schon lange nicht mehr so sehr mit zwei
Liebenden mitgelitten. Ein paar Monate nachdem ich A Star is Born sah
führte mich meine Eastwood-Reise zum ebenfalls ganz wundervollen
Honkytonk Man und Coopers Film erschien in einem neuen Licht, nämlich
als direkter Anschluss an eine Hollywood-Americana-Tradition, die
kein Heil mehr sucht, es aber trotzdem findet. Maybe it's time to let
the old ways die.
- Three Faces – Jafar Panahi
Panahi
begibt sich auf das Terrain des großen Meisters Abbas Kiarostami und
entwirft ein unheimlich klug gebautes Spiel aus Medienrealitäten und
Fragen nach Persönlichkeitsrealismus. Three Faces beginnt mit dem
Video eines (vermeintlichen) Selbstmords einer Schülerin mit
Schauspielerambitionen, unklar bleibt nur, wie dieses Video in die
Welt kam und vor allen Dingen: Was hat Jafar Panahi damit zu tun?
- Ready Player One – Steven Spielberg
Spielbergs
bester Film seit dem mittlerweile gar nicht mehr so unterschätzten
Meisterwerk Krieg der Welten wirft mehr Fragen auf als irgendein
anderer US-Blockbuster in diesem Jahr. Überwältigungskino kann eben
keiner so gut wie Spielberg und doch stellt sich der Film ständig
selbst in Frage, es scheint so als ob Spielberg die Geister die er
Mitte der 70er-Jahre gerufen hat, nicht mehr los wird. Am Ende steht
dann nicht mal eine Hinwendung, kein Aufbruch, sondern nur ein
Achselzucken und die Erkenntnis, dass es zu spät ist.
- Waldheims Walzer – Ruth Beckermann
In
einem politisch wahrlich nicht besonders erbaulichen Jahr ein toller
Film über Geschichtsbewusstsein, Faschismus und die Lüge von seinem
Ende. Die Entwicklungslinie, die vom Nationalsozialismus ins Heute
geführt hat, aufbereitet am Beispiel der Affäre Waldheim und am
persönlichen Aktivismus der Regisseurin, pointiert, unaufgeregt und
doch eindringlich. Es bleiben HC Strache, Sebastian Kurz und die
Hoffnung, dass jemand sich Ruth Beckermanns Filme ansieht.
- Monrovia, Indiana – Frederick Wiseman
Frederick
Wiseman besucht Heartland America und kommt zu ähnlichen Schlüssen
wie Clint Eastwood in The 15:17 to Paris. Eine der Szenen des Jahres:
Eine Freimaurerorganisation verleiht einem Mitglied eine hohe Ehre,
in einem tristen Behördenkonferenzimmer, vor einem Publikum, in dem
Wiseman und Eastwood das Durchschnittsalter zumindest etwas senken
würden. Das Damoklesschwert ist natürlich der amerikainsche
Präsident, Wiseman verfällt jedoch nie in den "Welcome to
Trumps America"-Modus, sondern seziert mit üblicher Präzision
Strukturen, ob nun finanzieller oder gesellschaftspolitischer Natur.
- An Elephant Sitting Still – Hu Bo
Die
Fluidität der langen Takes sucht die Beweglichkeit in der
Hoffnungslosigkeit der chinesischen Großstadt. Vielleicht reicht ein
Funke.
- Zama – Lucrecia Martel
Eine
Weltordnung siecht dahin, traumwandlerisch geht der Kolonialismus zu
Grunde. Ein möglicher Vergleichspunkt wäre der Tod des Absolutismus
in Albert Serras Ludwig-Film von vor ein paar Jahren, Zama wirkt
ähnlich entflohen und doch genau. Und nicht zuletzt ein Film über
das Warten, Warten auf etwas, was sowieso nicht kommen darf.
- The Week Of – Robert Smigel
Ein
Höhepunkt in der seit nun schon mindestens zehn Jahre andauerenden
Sandler-Hochphase, die nur von gelegentlichen Ausrutschern wie
Blended oder The Ridiculous Six unterbrochen wird. Gleichzeitig einer
der schönsten und lustigsten Filme des Jahres, bringt er sowohl das
immer leicht utopische Zusammengehörigkeitsgefühl (die
Küchenszenen!) als auch Steve Buscemi mit einer übergroßen
Toblerone in der Hand zusammen. Gab es in diesem Jahr überhaupt
einen schöneren Schluss als Adam Sandler und Chris Rock die nach
einer langen Nacht im Morgengrauen auf der Veranda sitzen und sich
gegenseitig immer noch auf den Arm nehmen, jetzt mit einem breiten
Grinsen auf den Lippen?
- I Do Not Care If We Go Down In History As Barbarians – Radu Jude
Radu
Judes neuer Film schafft es leider erst im nächsten Jahr in die
deutschen Kinos (aber immerhin!), gehört also für alle die noch
nicht das Glück hatten, ihn auf einem Festival zu sehen zum
Pflichtprogramm. Historisches Trauma verhandelt als Reenactment von
Verbrechen, gesellschaftliche Konstellationen als Ausprägungen
dieser Traumata und vor allen Dingen ein Film, dem noch an der
Gegenwart gelegen ist. Judes Film endet nicht mit der Diagnose.
- Transit – Christian Petzold
Transit
und I Do Not Care If We Go Down In History As Barbarians gehören
zusammen. Sie sind beide antifaschistische Filme, die sich nicht auf
Posen beschränken oder versuchen plumpe Parallelen zwischen
Vergangenheit und Gegenwart zu ziehen, sondern sie spüren Strukturen
nach und versuchen die Art und Weise, wie Geschichte und ihre
Traumata das Jetzt prägen nachzuvollziehen. Petzold war schon immer
(und wird es vermutlich auch immer bleiben) ein Regisseur von großen
Kinogesten, in Transit mehr denn je. Das explizit ahistorische des
Films dient als Fläche für solche Gesten. Die Dekonstruktion der
Idee des beendeten Faschismus. Migration ist humangeschichtliche
Normalität. Film als Fluchtbewegung. Ein Meisterwerk.
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