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Samstag, 29. Dezember 2018

Als wärs der letzte Tag der Welt-Die Top 10 der besten Filme 2018

10. BLACKKKLANSMANN (Spike Lee)
Es ist eine seltsame Angewohnheit der Rezeption von vermeintlich politischen Filmen, diesen aufgrund ihres Inhaltes bereits einen politischen Aktivismus zuzuschreiben. Spike Lee widerspricht dieser simplen Vorstellung in seinem neuen Film auf radikale Art und Weise.
Er benutzt nicht nur eine auf wahren Geschehnissen beruhende Geschichte, sondern arbeitet sich an verschiedenen Radikalisierungsweisen des Bewegtbildes ab. Er kanalisiert dabei nicht nur seine Wut, sondern ist sich zugleich auch der Fragilität seiner Geschichte und seiner Bewegung bewusst. Dieses ambivalente Verhältnis durchzieht diesen besonderen Film, der seine Stärke aus dem Verhältnis zwischen Bildern zieht, die einander gegenübergestellt, miteinander verkettet oder voneinander getrennt werden.  In der stärksten Szene des Films schneidet Lee eine Ku-Klux-Klan-Versammlung, bei der BIRTH OF A NATION gezeigt wird, gegen eine Versammlung, bei der Henry Belafonte über die rassistische Geschichte der USA erzählt. Hier wird, fast schon zu offensichtlich, was man Lee in jedem Fall nachsehen kann, er nutzt dieses Mittel zu jeder Sekunde bewusst aus, etwas gegenübergestellt, eine Idee wird formuliert.

9. PHANTOM THREAD (Paul Thomas Anderson)
Der neue Film von Paul Thomas Anderson setzt sich auf verschiedenen Ebenen mit dem Thema Schönheit auseinander. Dabei gelingt es ihm vielen Fallstricken, die die Prämisse des Films auslegt, aus dem Weg zu gehen und eine sehr geradlinige Geschichte zu erzählen. Die sehr besondere Musik von Johnny Greenwood, welche wie zu besten Radiohead-Zeiten Fragilität mit Virtuosität verbindet, unterstützt genau diese oberflächliche Ruhe, die den Film durchzieht. Durch seine formal-ästhetische Brillanz gelingt es PHANTOM THREAD seine Figuren bis in Detail zu untersuchen, ohne sie dabei zu arg zu psychologisieren. Viel mehr findet seine Auseinandersetzung immer und überall im wunderbaren 4:3-Bild statt, er vergisst niemals, welche Kraft selbst kleinen Handlungen oder Blicken innewohnen kann, wenn man sie bloß auf einer Leinwand zeigt.

8. BIRDS OF PASSAGES (Christina Gallego)
BIRDS OF PASSAGES vermischt eine ethnographisch anmutende Untersuchung der Traditionen und Riten der Wayus mit einer Mafiageschichte, bevor es die kolumbianische Drogen-Mafia überhaupt in der heutigen Größe gab. Interessant ist dabei, dass der Film gleich zu Beginn diesen scheinbaren Gegensatz in seiner ganzen Komplexität aufzeigt und gleichzeitig bereits andeutet, was diese beiden Themen miteinander verknüpfen wird. Man sieht ein Ritual zur Erwachsenwerdung, sowie eine Bitte um Heirat, auf welche mit einer horrenden Forderung reagiert wird. Was danach folgt, ist nicht von simpler Kapitalismuskritik geprägt, sondern, und hier kommt dem Film seine ethnographische Perspektive zugute, eine Beschäftigung mit den Mechanismen, die von den Traditionen und dem Kapitalismus ausgehen, sei es das Brautgeld, die Bestechung von Polizisten oder der Zwiespalt zwischen den eigenen Freunden, dem Geschäft und der Tradition zu wählen. Dabei wird die wirklich große Gefahr nur am Rande und als laute Party-Gesellschaft angedeutet. BIRDS OF PASSAGE ist in der Lage, Bilder für seine Geschichte zu finden. Die Kamera filmt immer wieder nah die Gesichter der Figuren, lauscht ihren bedeutungsvollen Dialogen, wechselt dann aber immer wieder zu Bildern, auf denen eine unendliche Tiefe der Landschaft und des Bildes zu erkennen ist. Aus dieser Tiefe des Bildes zieht er seine Kraft, er nimmt sich die Zeit, das Kapital und das Traditionelle aufeinander zustürmen zu lassen, um dann schließlich im Epilog alles auseinandergehen zu lassen.

7. MISSION IMPOSSIBLE 6: FALLOUT (Christopher McQuarrie)
Die Mission-Impossible-Reihe produziert seit Jahren zuverlässig fast schon aus der Zeit gefallenes Blockbuster-Kino. Wo überall immer mehr Computeranimationen zu sehen sind, die dem Action-Kino häufig eher schlecht als recht zu Gesicht stehen, versucht sich auch der sechste Teil der Reihe weiter an handgemachter, häufig unperfekter Action, die die Dynamik und die Präsenz von Tom Cruise, dem wohl letzten großen Hollywood-Star, sehr harmonisch in ihre Erzählung einbetten. FALLOUT verfällt dabei aber nie in eine reine Cruise-Show, sondern begreift seine Geschichte immer auch als Team-Erzählung, was er in diesem Film sogar als inhaltlichen Konflikt thematisiert. McQuarrie gelingt hier der mit Abstand beste Blockbuster des Jahres, da er eine Eigenständigkeit und Eigenwilligkeit zu entwickeln weiß.

6. THREE FACES (Jafar Panahi)
Ebenfalls sehr gut gefallen hat mir der neue Film von Jafar Panahi. In THREE FACES wird der Film als Medium aus verschiedenen Richtungen betrachtet. Zum einen thematisieren die stets rätselumwoben Produktionsgeschichten von Panahis Filmen immer schon ihre reine Existenz, da diese bereits ein politisches Statement bedeuten, zum anderen geht es in diesem Film um die Reise zweier wichtiger iranischer Künstler auf der Suche nach einem vermeintlich toten Mädchen, die auch gerne Schauspielerin werden möchte. Anders als in TAXI nimmt Panahi sich öfter aus dem Bild, nicht zuletzt daher rührt auch der Verdacht, er habe dies alles nur für seinen neuen Film inszeniert. Das Dorf, in dem sich ein Großteil der Handlung abspielt, stellt ein Bild der iranischen Gesellschaft außerhalb der großen Stadt dar. Das Auto, welches den ganzen Film über im Bild präsent ist, ist das Zentrum dieser Erzählung. In ihm wird sich immer wieder versammelt, sich unterhalten, geschlafen und gegessen. Die grundsätzliche Sympathie und Leichtigkeit, die aus THREE FACES herausspricht, kommt ihm sehr zugute. Panahi vereint eine Reflexion dessen, was und unter welchen Bedingungen Kunst existieren kann, mit einem sehr gut geschriebenen Drehbuch und einer Kamera, der man bis zum Schluss eigentlich kaum Vertrauen entgegenbringen kann, da der Möglichkeitsraum der Kunst und des Kinos, und das ist vielleicht die schönste These des Films, so unendlich weit in die Wüste hineingehen kann.

5. CALL ME BY YOUR NAME (Luca Guadagnino)
Es gibt einen, zugegebenermaßen relativ schlimmen,Song von den Schröders, der den poetischen Titel „Als wärs der letzte Tag der Welt“ trägt. Das Gefühl, welches sich hinter diesem Titel versteckt, wurde wohl nur von zwei Filmen in diesem Jahr so gut auf die Leinwand gebracht. CALL ME BY YOUR NAME erzählt von der langsamen Entstehung einer zarten und gleichzeitig wildromantischen Sommerliebe. Die langsame Annäherung der beiden, während in der Umwelt alles immer sonnig und hell zu sein scheint, wird in sehr genauer und schöner Art und Weise erzählt. Es gelingt Guadagnino hier, die Körper der Liebenden nicht nur durch das häufige Erwähnen der Staturen Rodins zu thematisieren, sondern er gibt ihnen den Raum, ihr Körper-Sein auszuleben. Am Schluss muss man dann in einem sehr drastischen Schnitt feststellen, dass auch der schönste Sommer einmal vorbei sein muss. Es ist ein wunderbares Abschlussbild, wenn Elio am Ende minutenlang verloren in den Kamin schaut, draußen der Schnee zu fallen beginnt und er am Telefon eine Liebe verloren hat, die weder zu spät, noch zu früh kam, sondern einfach niemals sein konnte. Und deswegen auch so stark ist.

4. YOCHO (FOREBODING) (Kiyoshi Kurosawa)
Das große Talent von Kiyoshi Kurosawa ist es, Form und Inhalt miteinander in Verbindung zu bringen, obwohl sie manchmal in verschiedene Richtungen weisen. YOCHO ist ein sehr ruhig und genau erzählter Film, der die Tage vor einer von außerirdischem Leben initiierten Apokalypse behandelt. Dabei verbindet Kurosawa auf sehr vergnügliche Art und Weise sein Weltuntergangsszenario mit einer Reflexion von Geschlechterrollen, Menschlichkeit und menschlichte Verhaltensweisen. Das Pathos, das dem Film natürlich auch immer innewohnt ist nicht störend, da Kurosawa so genau mit Stimmungen und Figuren umzugehen weiß, dass die rettende Liebe als Element sehr harmonisch in den Film hineinpasst. Die kleine Geste des außerirdischen Wesens, immer jemanden mit einem Finger Emotionen entziehen zu können, fasst YOCHO sehr gut zusammen: Eine kleine Geste in einem ruhigen Bild, die die Welt verändern kann.

3. BLIND SPOT (Tuva Novotny)
Die wohl zufälligste Entdeckung in diesem Jahr habe ich bei den Filmtagen in Lübeck gemacht. Im Regiedebüt von Tuva Novotny geht es um den Selbstmord eines sehr jungen Mädchens. Dabei ist der Film in einer einzigen Einstellung gedreht, was angenehmerweise niemals zum Fetisch wird, sondern der konkreten Erzählidee dient, die Stimmung und die Ereignisse nach dem Sprung der Tochter festzuhalten. Dabei bleibt die Kamera viel im Hintergrund und nimmt vordergründig eine beobachtende Perspektive ein. BLIND SPOT gelingt es dabei, die starken Emotionen und Gefühle der beteiligten Personen zu zeigen, diese jedoch nicht als überwältigendes Zentrum zu betrachten, sondern gleichzeitig auch die Abläufe und die Routinen zu beobachten. Faszinierend ist zu sehen, wie in der fantastischen zweiten Hälfte ständig Leute durch Gänge im Krankenhaus gehen, mal schnell und mal langsam. Bis auf eine kleine Szene, wird auf jede Psychologisierung der Figuren verzichtet, sie werden als das gezeigt, was sie in diesem Moment sind, nämlich Menschen, die verschiedene Rollen übernehmen müssen. Am Ende verlässt der Film dann das Krankenhaus, er lässt uns im Unwissen, ob die Tochter überlebt und zeigt auch nicht, was die Mutter im Tagebuch ihrer Tochter liest. Er findet lieber einen letzten Moment des Trostes für seine Figuren. Wenn die Mutter sich an ihren Sohn klammert und beide zusammen im Bett der Tochter liegen, dann sehen wir eines der traurigsten und zugleich schönsten Bilder dieses Kinojahres.

2. GLÜCKLICH WIE LAZARRO (Alice Rohrwacher)
Alice Rohrwacher hat mit Lazarro wohl die faszinierendste Kinofigur des Jahres geschaffen. Sein Gesicht ist durchdrungen von Zärtlichkeit, Verletzlichkeit und gleichzeitig wohnt ihm ein eigentümlicher, heiliger Gestus inne. Die erste Hälfte des Films, die von einem Ausbeutungsszenario geprägt ist, deutet vieles nur an und zeigt in verschiedenen Konstellationen, dass Lazarro nicht in diese Welt hineinpasst. Als der Film dann jedoch mit einer wunderschönen Kamerafahrt den Weg in die Gegenwart (was ist das eigentlich?) findet, blüht diese Figur komplett auf. Poetik und Mystik fallen hier zusammen, es werden nicht nur gesellschaftliche, soziale und religiöse Fragen verhandelt, sondern Rohrwacher zeigt auch an Lazarro, dass sich viele Dinge nicht verändert haben und die Ausbeutung wohl nie ein Ende findet. In der schönsten Szene dieses Kinojahres, werden Lazarro und seine Freunde aus einer Kirche hinausgeworfen. Doch die Musik begleitet sie auf ihrem Weg in der kalten Dunkelheit. Hier solidarisiert sich das Kino komplett mit seinen Figuren. Eine Szene, wie der schöne Höhepunkt eines Gedichts, das die überquellenden Worte des Sturm und Drang in eine weltliche Form verpacken möchte. Rohrwacher hat einen im wahrsten Sinne des Wortes wundervollen Film gedreht.

1. TRANSIT (Christian Petzold)
In seinem neuen Film erzählt Christian Petzold ebenfalls von einer sich im Untergang befindlichen Welt. Er verwebt die Geschehnisse aus den 40er-Jahren mit der Gegenwart und schafft damit einen Raum, der eigentlich gar nicht existieren kann und sich auf dem Weg in den Abgrund befindet. Franz Rogowski (zum ersten Mal wirklich gut) und Paula Beer (wundervoll) befinden sich in Marseille und versuchen in die USA zu kommen. Marseille ist hier nicht nur ein Ort der Flucht, der Bewegung, sondern in die andere Richtung auch der Vorhof zur Hölle. Das vom Erzähler (mit toller Stimme: Matthias Brand) hervorgerufene Gefühl des Endes, welches sich immer näher auf die Stadt zubewegt, erfasst diesen ganzen Film, welcher sich aber zugleich auch immer wieder von diesem Gedanken löst und in vielen kleineren Szenen die Alltäglichkeit des Mensch-Seins betont. Die Geschichte rund um den Schriftsteller Georg Weidel zeigt das Spiel mit Identitäten, welches sich letztlich stets im eigenen Kopf abspielt und auf der Flucht auf einmal offen nach außen tritt. Und am Schluss wählt Petzold ein Ende, an dem Georg sich in dem Café, in dem sich so viel abgespielt hat, nach der sich öffenden Tür umdreht und dann die Leinwand schwarz wird. We’re on the road to nowhere.

Gedankenreste:
RONJA RÄUBERTOCHTER (Tage Danielsson): Nach bestimmt 15 Jahren zum ersten Mal im Kino wiedergesehen. Die Balance zwischen Humor und Ernsthaftigkeit, die bei Lindgrens Geschichten stets zu einem tiefen Verständnis für die kindliche Welt führt, ist der Anker einer sehr toll erzählten Geschichte. Vor allem der wunderbare, an manchen Stellen fast expressionistische Anfang bleibt als singuläres Erlebnis vor Beginn des Mensch-Seins stehen. Und wenn Ronja am Ende mit leiser Stimme sagt, dass sie niemals Räuberin werden könnte, weil die Menschen immer weinen, wenn ihnen etwas genommen wird, dann bleibt der Film und die Welt für einen kleinen Moment stehen.

KULENKAMPFFS SCHUHE: (Regina Schilling): Und sie werden nicht mehr frei, ein Leben lang.

THE POST (Steven Spielberg): Schönes Erzählkino, immer mit einem guten Schuss Pathos versehen, der aber nie unangenehm wirkt, da Spielberg sein Handwerk gerade in solchen Filmen besonders gut einzusetzen weiß.

THE SHAPE OF WATER (GUILLERMO DEL TORO): Leider wenig poetisches und sehr statisches Kino, das zu gewollt fantasievoll wirkt. (Ich gönne Del Toro seinen Erfolg trotzdem.)

BABYLON BERLIN (STAFFEL 1 und 2): Wenn es bei solchen Serien nicht immer den Impuls gäbe, sie sofort zum größten Meisterwerk aller Zeiten zu erklären, würde ich wahrscheinlich mehr dieser Sachen gucken. Die überzogene und schnelle Darstellung eines abstrusen Kriminalfalls empfand ich als vergnüglich und als gute Fernsehunterhaltung besser und unterhaltsamer als sich die Beschreibungen vieler Serien anhören (Ich bin sehr froh, mit diesem ganzen Quality-TV-Diskurs nichts zu tun zu haben, da mich wenig mehr anödet und nervt, als die derzeitige Auseinandersetzung mit Fernsehserien. Lieber schaue ich noch einmal Pretty Little Liars.)



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