Es ist eine seltsame Angewohnheit der
Rezeption von vermeintlich politischen Filmen, diesen aufgrund ihres Inhaltes
bereits einen politischen Aktivismus zuzuschreiben. Spike Lee widerspricht
dieser simplen Vorstellung in seinem neuen Film auf radikale Art und Weise.
Er benutzt nicht nur eine auf wahren Geschehnissen beruhende Geschichte, sondern arbeitet sich an verschiedenen Radikalisierungsweisen des Bewegtbildes ab. Er kanalisiert dabei nicht nur seine Wut, sondern ist sich zugleich auch der Fragilität seiner Geschichte und seiner Bewegung bewusst. Dieses ambivalente Verhältnis durchzieht diesen besonderen Film, der seine Stärke aus dem Verhältnis zwischen Bildern zieht, die einander gegenübergestellt, miteinander verkettet oder voneinander getrennt werden. In der stärksten Szene des Films schneidet Lee eine Ku-Klux-Klan-Versammlung, bei der BIRTH OF A NATION gezeigt wird, gegen eine Versammlung, bei der Henry Belafonte über die rassistische Geschichte der USA erzählt. Hier wird, fast schon zu offensichtlich, was man Lee in jedem Fall nachsehen kann, er nutzt dieses Mittel zu jeder Sekunde bewusst aus, etwas gegenübergestellt, eine Idee wird formuliert.
Er benutzt nicht nur eine auf wahren Geschehnissen beruhende Geschichte, sondern arbeitet sich an verschiedenen Radikalisierungsweisen des Bewegtbildes ab. Er kanalisiert dabei nicht nur seine Wut, sondern ist sich zugleich auch der Fragilität seiner Geschichte und seiner Bewegung bewusst. Dieses ambivalente Verhältnis durchzieht diesen besonderen Film, der seine Stärke aus dem Verhältnis zwischen Bildern zieht, die einander gegenübergestellt, miteinander verkettet oder voneinander getrennt werden. In der stärksten Szene des Films schneidet Lee eine Ku-Klux-Klan-Versammlung, bei der BIRTH OF A NATION gezeigt wird, gegen eine Versammlung, bei der Henry Belafonte über die rassistische Geschichte der USA erzählt. Hier wird, fast schon zu offensichtlich, was man Lee in jedem Fall nachsehen kann, er nutzt dieses Mittel zu jeder Sekunde bewusst aus, etwas gegenübergestellt, eine Idee wird formuliert.
9. PHANTOM THREAD (Paul Thomas Anderson)
Der neue Film von Paul Thomas Anderson
setzt sich auf verschiedenen Ebenen mit dem Thema Schönheit auseinander. Dabei
gelingt es ihm vielen Fallstricken, die die Prämisse des Films auslegt, aus
dem Weg zu gehen und eine sehr geradlinige Geschichte zu erzählen. Die sehr
besondere Musik von Johnny Greenwood, welche wie zu besten Radiohead-Zeiten
Fragilität mit Virtuosität verbindet, unterstützt genau diese oberflächliche
Ruhe, die den Film durchzieht. Durch seine formal-ästhetische Brillanz gelingt
es PHANTOM THREAD seine Figuren bis in Detail zu untersuchen, ohne sie dabei zu
arg zu psychologisieren. Viel mehr findet seine Auseinandersetzung immer und
überall im wunderbaren 4:3-Bild statt, er vergisst niemals, welche Kraft selbst
kleinen Handlungen oder Blicken innewohnen kann, wenn man sie bloß auf einer
Leinwand zeigt.
8. BIRDS OF PASSAGES (Christina Gallego)
BIRDS OF PASSAGES
vermischt eine ethnographisch anmutende Untersuchung der Traditionen und Riten
der Wayus mit einer Mafiageschichte, bevor es die kolumbianische Drogen-Mafia
überhaupt in der heutigen Größe gab. Interessant ist dabei, dass der Film
gleich zu Beginn diesen scheinbaren Gegensatz in seiner ganzen Komplexität
aufzeigt und gleichzeitig bereits andeutet, was diese beiden Themen miteinander
verknüpfen wird. Man sieht ein Ritual zur Erwachsenwerdung, sowie eine Bitte um
Heirat, auf welche mit einer horrenden Forderung reagiert wird. Was danach
folgt, ist nicht von simpler Kapitalismuskritik geprägt, sondern, und hier
kommt dem Film seine ethnographische Perspektive zugute, eine Beschäftigung mit
den Mechanismen, die von den Traditionen und dem Kapitalismus ausgehen, sei es
das Brautgeld, die Bestechung von Polizisten oder der Zwiespalt zwischen den
eigenen Freunden, dem Geschäft und der Tradition zu wählen. Dabei wird die
wirklich große Gefahr nur am Rande und als laute Party-Gesellschaft angedeutet.
BIRDS OF PASSAGE ist in der Lage, Bilder für seine Geschichte zu finden. Die
Kamera filmt immer wieder nah die Gesichter der Figuren, lauscht ihren
bedeutungsvollen Dialogen, wechselt dann aber immer wieder zu Bildern, auf
denen eine unendliche Tiefe der Landschaft und des Bildes zu erkennen ist. Aus
dieser Tiefe des Bildes zieht er seine Kraft, er nimmt sich die Zeit, das
Kapital und das Traditionelle aufeinander zustürmen zu lassen, um dann
schließlich im Epilog alles auseinandergehen zu lassen.
7. MISSION IMPOSSIBLE 6: FALLOUT
(Christopher McQuarrie)
Die Mission-Impossible-Reihe produziert
seit Jahren zuverlässig fast schon aus der Zeit gefallenes Blockbuster-Kino. Wo
überall immer mehr Computeranimationen zu sehen sind, die dem Action-Kino
häufig eher schlecht als recht zu Gesicht stehen, versucht sich auch der
sechste Teil der Reihe weiter an handgemachter, häufig unperfekter Action, die
die Dynamik und die Präsenz von Tom Cruise, dem wohl letzten großen
Hollywood-Star, sehr harmonisch in ihre Erzählung einbetten. FALLOUT verfällt
dabei aber nie in eine reine Cruise-Show, sondern begreift seine Geschichte
immer auch als Team-Erzählung, was er in diesem Film sogar als inhaltlichen
Konflikt thematisiert. McQuarrie gelingt hier der mit Abstand beste Blockbuster
des Jahres, da er eine Eigenständigkeit und Eigenwilligkeit zu entwickeln weiß.
6. THREE FACES (Jafar Panahi)
Ebenfalls sehr gut gefallen hat mir der
neue Film von Jafar Panahi. In THREE FACES wird
der Film als Medium aus verschiedenen Richtungen betrachtet. Zum einen
thematisieren die stets rätselumwoben Produktionsgeschichten von Panahis Filmen
immer schon ihre reine Existenz, da diese bereits ein politisches Statement
bedeuten, zum anderen geht es in diesem Film um die Reise zweier wichtiger
iranischer Künstler auf der Suche nach einem vermeintlich toten Mädchen, die
auch gerne Schauspielerin werden möchte. Anders als in TAXI nimmt Panahi sich
öfter aus dem Bild, nicht zuletzt daher rührt auch der Verdacht, er habe dies
alles nur für seinen neuen Film inszeniert. Das Dorf, in dem sich ein Großteil
der Handlung abspielt, stellt ein Bild der iranischen Gesellschaft außerhalb
der großen Stadt dar. Das Auto, welches den ganzen Film über im Bild präsent
ist, ist das Zentrum dieser Erzählung. In ihm wird sich immer wieder
versammelt, sich unterhalten, geschlafen und gegessen. Die grundsätzliche Sympathie
und Leichtigkeit, die aus THREE FACES herausspricht, kommt ihm sehr zugute.
Panahi vereint eine Reflexion dessen, was und unter welchen Bedingungen Kunst
existieren kann, mit einem sehr gut geschriebenen Drehbuch und einer Kamera,
der man bis zum Schluss eigentlich kaum Vertrauen entgegenbringen kann, da der
Möglichkeitsraum der Kunst und des Kinos, und das ist vielleicht die schönste
These des Films, so unendlich weit in die Wüste hineingehen kann.
5. CALL ME BY YOUR NAME (Luca
Guadagnino)
Es gibt einen, zugegebenermaßen relativ
schlimmen,Song von den Schröders, der den poetischen Titel „Als wärs der
letzte Tag der Welt“ trägt. Das Gefühl, welches sich hinter diesem Titel versteckt,
wurde wohl nur von zwei Filmen in diesem Jahr so gut auf die Leinwand gebracht.
CALL ME BY YOUR NAME erzählt von der langsamen Entstehung einer zarten und
gleichzeitig wildromantischen Sommerliebe. Die langsame Annäherung der beiden,
während in der Umwelt alles immer sonnig und hell zu sein scheint, wird in sehr
genauer und schöner Art und Weise erzählt. Es gelingt Guadagnino hier, die
Körper der Liebenden nicht nur durch das häufige Erwähnen der Staturen Rodins zu
thematisieren, sondern er gibt ihnen den Raum, ihr Körper-Sein auszuleben. Am
Schluss muss man dann in einem sehr drastischen Schnitt feststellen, dass auch
der schönste Sommer einmal vorbei sein muss. Es ist ein wunderbares
Abschlussbild, wenn Elio am Ende minutenlang verloren in den Kamin schaut,
draußen der Schnee zu fallen beginnt und er am Telefon eine Liebe verloren hat,
die weder zu spät, noch zu früh kam, sondern einfach niemals sein konnte. Und
deswegen auch so stark ist.
4. YOCHO (FOREBODING) (Kiyoshi Kurosawa)
Das große Talent von Kiyoshi Kurosawa
ist es, Form und Inhalt miteinander in Verbindung zu bringen, obwohl sie
manchmal in verschiedene Richtungen weisen. YOCHO ist ein sehr ruhig und genau
erzählter Film, der die Tage vor einer von außerirdischem Leben initiierten
Apokalypse behandelt. Dabei verbindet Kurosawa auf sehr vergnügliche Art und
Weise sein Weltuntergangsszenario mit einer Reflexion von Geschlechterrollen,
Menschlichkeit und menschlichte Verhaltensweisen. Das Pathos, das dem Film natürlich auch
immer innewohnt ist nicht störend, da Kurosawa so genau mit Stimmungen und
Figuren umzugehen weiß, dass die rettende Liebe als Element sehr harmonisch in
den Film hineinpasst. Die kleine Geste des außerirdischen Wesens, immer
jemanden mit einem Finger Emotionen entziehen zu können, fasst YOCHO sehr gut zusammen:
Eine kleine Geste in einem ruhigen Bild, die die Welt verändern kann.
3. BLIND SPOT (Tuva Novotny)
Die wohl zufälligste Entdeckung in
diesem Jahr habe ich bei den Filmtagen in Lübeck gemacht. Im Regiedebüt von
Tuva Novotny geht es um den Selbstmord eines sehr jungen Mädchens. Dabei ist
der Film in einer einzigen Einstellung gedreht, was angenehmerweise niemals zum
Fetisch wird, sondern der konkreten Erzählidee dient, die Stimmung und die
Ereignisse nach dem Sprung der Tochter festzuhalten. Dabei bleibt die Kamera
viel im Hintergrund und nimmt vordergründig eine beobachtende Perspektive ein.
BLIND SPOT gelingt es dabei, die starken Emotionen und Gefühle der beteiligten
Personen zu zeigen, diese jedoch nicht als überwältigendes Zentrum zu
betrachten, sondern gleichzeitig auch die Abläufe und die Routinen zu
beobachten. Faszinierend ist zu sehen, wie in der fantastischen zweiten Hälfte
ständig Leute durch Gänge im Krankenhaus gehen, mal schnell und mal langsam.
Bis auf eine kleine Szene, wird auf jede Psychologisierung der Figuren
verzichtet, sie werden als das gezeigt, was sie in diesem Moment sind, nämlich
Menschen, die verschiedene Rollen übernehmen müssen. Am Ende verlässt der
Film dann das Krankenhaus, er lässt uns im Unwissen, ob die Tochter überlebt
und zeigt auch nicht, was die Mutter im Tagebuch ihrer Tochter liest. Er findet
lieber einen letzten Moment des Trostes für seine Figuren. Wenn die Mutter sich
an ihren Sohn klammert und beide zusammen im Bett der Tochter liegen, dann
sehen wir eines der traurigsten und zugleich schönsten Bilder dieses
Kinojahres.
2. GLÜCKLICH WIE LAZARRO (Alice
Rohrwacher)
Alice Rohrwacher hat mit Lazarro wohl
die faszinierendste Kinofigur des Jahres geschaffen. Sein Gesicht ist
durchdrungen von Zärtlichkeit, Verletzlichkeit und gleichzeitig wohnt ihm ein
eigentümlicher, heiliger Gestus inne. Die erste Hälfte des Films, die von einem
Ausbeutungsszenario geprägt ist, deutet vieles nur an und zeigt in
verschiedenen Konstellationen, dass Lazarro nicht in diese Welt hineinpasst.
Als der Film dann jedoch mit einer wunderschönen Kamerafahrt den Weg in die
Gegenwart (was ist das eigentlich?) findet, blüht diese Figur komplett auf.
Poetik und Mystik fallen hier zusammen, es werden nicht nur gesellschaftliche,
soziale und religiöse Fragen verhandelt, sondern Rohrwacher zeigt auch an
Lazarro, dass sich viele Dinge nicht verändert haben und die Ausbeutung wohl
nie ein Ende findet. In der schönsten Szene dieses Kinojahres, werden Lazarro
und seine Freunde aus einer Kirche hinausgeworfen. Doch die Musik begleitet sie
auf ihrem Weg in der kalten Dunkelheit. Hier solidarisiert sich das Kino
komplett mit seinen Figuren. Eine Szene, wie der
schöne Höhepunkt eines Gedichts, das die überquellenden Worte des Sturm und
Drang in eine weltliche Form verpacken möchte. Rohrwacher hat einen im wahrsten
Sinne des Wortes wundervollen Film gedreht.
1. TRANSIT (Christian Petzold)
In seinem neuen Film erzählt Christian
Petzold ebenfalls von einer sich im Untergang befindlichen Welt. Er verwebt die
Geschehnisse aus den 40er-Jahren mit der Gegenwart und schafft damit einen Raum, der eigentlich
gar nicht existieren kann und sich auf dem Weg in den Abgrund befindet. Franz
Rogowski (zum ersten Mal wirklich gut) und Paula Beer (wundervoll) befinden
sich in Marseille und versuchen in die USA zu kommen. Marseille ist hier nicht
nur ein Ort der Flucht, der Bewegung, sondern in die andere Richtung auch der
Vorhof zur Hölle. Das vom Erzähler (mit toller Stimme: Matthias Brand)
hervorgerufene Gefühl des Endes, welches sich immer näher auf die Stadt
zubewegt, erfasst diesen ganzen Film, welcher sich aber zugleich auch immer
wieder von diesem Gedanken löst und in vielen kleineren Szenen die
Alltäglichkeit des Mensch-Seins betont. Die Geschichte rund um den
Schriftsteller Georg Weidel zeigt das Spiel mit Identitäten, welches sich
letztlich stets im eigenen Kopf abspielt und auf der Flucht auf einmal offen
nach außen tritt. Und am Schluss wählt Petzold ein Ende, an dem Georg sich in
dem Café, in dem sich so viel abgespielt hat, nach der sich öffenden Tür umdreht und
dann die Leinwand schwarz wird. We’re on the road to nowhere.
Gedankenreste:
RONJA RÄUBERTOCHTER (Tage Danielsson):
Nach bestimmt 15 Jahren zum ersten Mal im Kino wiedergesehen. Die Balance
zwischen Humor und Ernsthaftigkeit, die bei Lindgrens Geschichten stets zu
einem tiefen Verständnis für die kindliche Welt führt, ist der Anker einer sehr
toll erzählten Geschichte. Vor allem der wunderbare, an manchen Stellen fast
expressionistische Anfang bleibt als singuläres Erlebnis vor Beginn des
Mensch-Seins stehen. Und wenn Ronja am Ende mit leiser Stimme sagt, dass sie niemals
Räuberin werden könnte, weil die Menschen immer weinen, wenn ihnen etwas
genommen wird, dann bleibt der Film und die Welt für einen kleinen Moment
stehen.
KULENKAMPFFS SCHUHE: (Regina Schilling):
Und sie werden nicht mehr frei, ein Leben lang.
THE POST (Steven Spielberg): Schönes
Erzählkino, immer mit einem guten Schuss Pathos versehen, der aber nie
unangenehm wirkt, da Spielberg sein Handwerk gerade in solchen Filmen besonders
gut einzusetzen weiß.
THE SHAPE OF WATER (GUILLERMO DEL TORO):
Leider wenig poetisches und sehr statisches Kino, das zu gewollt fantasievoll
wirkt. (Ich gönne Del Toro seinen Erfolg trotzdem.)
BABYLON BERLIN (STAFFEL 1 und 2): Wenn
es bei solchen Serien nicht immer den Impuls gäbe, sie sofort zum größten
Meisterwerk aller Zeiten zu erklären, würde ich wahrscheinlich mehr dieser
Sachen gucken. Die überzogene und schnelle Darstellung eines abstrusen
Kriminalfalls empfand ich als vergnüglich und als gute Fernsehunterhaltung
besser und unterhaltsamer als sich die Beschreibungen vieler Serien anhören
(Ich bin sehr froh, mit diesem ganzen Quality-TV-Diskurs nichts zu tun zu
haben, da mich wenig mehr anödet und nervt, als die derzeitige
Auseinandersetzung mit Fernsehserien. Lieber schaue ich noch einmal Pretty
Little Liars.)
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