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Sonntag, 11. November 2018

Aus der Tiefe des Bildes-Notizen zum 32. Internationalen Filmfest Braunschweig

Es ist eine eigentümliche Eigenschaft des Filmfestivals in Braunschweig, dass das Programm auf eine sympathische Art und Weise unsortiert wirkt. Dies bietet nicht nur ein gewisses Überraschungspotential, sondern lässt einen auch dort Zusammenhänge und Verbindungen suchen, wo eigentlich keine zu sein scheinen. Dabei lässt sich erkennen, in wie viele verschiedene Richtungen sich das Bewegtbild orientieren kann, welche Formatierungen es durchlebt.

In THREE FACES, dem neuen Jafar-Panahi-Film, wird der Film als Medium aus verschiedenen Richtungen betrachtet. Zum einen thematisieren die stets rätselumwoben Produktionsgeschichten von Panahis Filmen immer schon ihre reine Existenz, da diese bereits ein politisches Statement bedeuten, zum anderen geht es in diesem Film um die Reise zweier wichtiger iranischer Künstler auf der Suche nach einem vermeintlich toten Mädchen, die auch gerne Schauspielerin werden möchte. Anders als in TAXI nimmt Panahi sich öfter aus dem Bild, nicht zuletzt daher rührt auch der Verdacht, er habe dies alles nur für seinen neuen Film inszeniert. Das Dorf, in dem sich ein Großteil der Handlung abspielt, stellt ein Bild der iranischen Gesellschaft außerhalb der großen Stadt dar. Das Auto, welches den ganzen Film über im Bild präsent ist, ist das Zentrum dieser Erzählung. In ihm wird sich immer wieder versammelt, sich unterhalten, geschlafen und gegessen. Die grundsätzliche Sympathie und Leichtigkeit, die aus THREE FACES herausspricht, kommt ihm sehr zugute. Panahi vereint eine Reflexion dessen, was und unter welchen Bedingungen Kunst existieren kann, mit einem sehr gut geschriebenen Drehbuch und einer Kamera, der man bis zum Schluss eigentlich kaum Vertrauen entgegenbringen kann, da der Möglichkeitsraum der Kunst und des Kinos, und das ist vielleicht die schönste These des Films, so unendlich weit in die Wüste hineingehen kann.

Unendliche Weiten und Blicke in die Tiefe des Bildes und des Abgrunds lassen sich auch in BIRDS OF PASSAGES finden. Die in vier Akten erzählte Geschichte des Untergangs einer Familie der Wayus mitten im Nirgendwo im Kolumbien der 1970er-Jahre, ist ein Film, der sich weder scheut, große Gesten zu zeigen, noch seine epochale Größe zu präsentieren. Der Film vermischt eine ethnographisch anmutende Untersuchung der Traditionen und Riten der Wayus mit einer Mafiageschichte, bevor es die kolumbianische Drogen-Mafia überhaupt in der heutigen Größe gab. Interessant ist dabei, dass der Film gleich zu Beginn diesen scheinbaren Gegensatz in seiner ganzen Komplexität aufzeigt und gleichzeitig bereits andeutet, was diese beiden Themen miteinander verknüpfen wird. Man sieht ein Ritual zur Erwachsenwerdung, sowie eine Bitte um Heirat, auf welche mit einer horrenden Forderung reagiert wird. Was danach folgt, ist nicht von simpler Kapitalismuskritik geprägt, sondern, und hier kommt dem Film seine ethnographische Perspektive zugute, eine Beschäftigung mit den Mechanismen, die von den Traditionen und dem Kapitalismus ausgehen, sei es das Brautgeld, die Bestechung von Polizisten oder der Zwiespalt zwischen den eigenen Freunden, dem Geschäft und der Tradition zu wählen. Dabei wird die wirklich große Gefahr nur am Rande und als laute Party-Gesellschaft angedeutet. Das wohl einprägsamste und in diesem sehr klassisch erzählten Film auch merkwürdig platzierte Bild ist die immer wieder als Zufluchtsort genutzte Villa, die mitten im Nirgendwo ohne andere Häuser drumherum zu stehen scheint. Sie symbolisiert alle Gegensätze und Konflikte, die der Filme aufmacht. BIRDS OF PASSAGE ist in der Lage, Bilder für seine Geschichte zu finden. Die Kamera filmt immer wieder nah die Gesichter der Figuren, lauscht ihren bedeutungsvollen Dialogen, wechselt dann aber immer wieder zu Bildern, auf denen eine unendliche Tiefe der Landschaft und des Bildes zu erkennen ist. Aus dieser Tiefe des Bildes zieht er seine Kraft, er nimmt sich die Zeit, das Kapital und das Traditionelle aufeinander zustürmen zu lassen, um dann schließlich im Epilog alles auseinandergehen zu lassen.

Um das Kapital und seine Wirkung geht es auch in Stepahne Brizés AT WAR. Hier wird die Geschichte einer streikenden Belegschaft gezeigt, in deren Zentrum sich Eric befindet, welcher das Sprachrohr der Verhandlungen mit dem bestreikten Unternehmen ist. Die Form des Films, der zu einem großen Teil in Besprechungen mit der Geschäftsleitung, im Plenum oder beim Demonstrieren spielt, gibt eigentlich die Stoßrichtung vor. Der fast schon dokumentarische Blick der Kamera, die eine Beobachterrolle einnimmt und sich die Richtung von Eric vorgeben lässt, bietet die Möglichkeit, eine sehr genaue Untersuchung der Strukturen und Vorgänge innerhalb einer Gewerkschaft oder auch generell innerhalb einer solchen Situation. Statt sich aber über das Kollektive, welches im Gegensatz von Kapital und Arbeit immer schon mitgedachten werden sollte, Gedanken zu machen, folgt der Film einer einzelnen Figur. Die Kamera ist immer dort, wo Eric auch ist, wenn er spricht, dann hören alle zu. Dazu kommt noch eine überflüssige Personalisierung der Hauptfigur hinzu. In die beobachtende Ästhetik des Film will es nicht so recht hineinpassen, dass es auf einmal wichtig ist, welche Motivation eine einzelne Figur hat. Die Bilder, die dieser Film zeigt und das, was in ihnen geschieht, stehen in einem sehr merkwürdigen Gegensatz zueinander. Doch diesen Gegensatz will Brizé nicht untersuchen, er verlässt sich eher auf seine aktivistische Ästhetik, die zwar gut anzusehen ist und für interessante Bilder sorgt, im Gesamtkontext des Films jedoch eher deplatziert wirkt.

Für einen eher uninteressanten Beitrag sorgte das Regiedebüt von Paul Dano, WILDLIFE. Ein sehr typischer Sundance-Film, dem einzig und allein Carey Mulligan etwas Farbe verleihen kann. Das Kernproblem dieses Film ist, dass er eine scheinbar komplexe und dramatische Geschichte von einer sich entzweienden Ehe und dem Sohn, der dazwischen steht, erzählen möchte, dabei aber niemals über die Grundzutaten jedes Sundance-Lieblings hinwegkommt: Eine Kleinstadt in den USA, eine vermeintlich interessante Familiengeschichte, Indie-Pop im Hintergrund und am Ende ist dann doch alles irgendwie gut. Dabei bleibt der Film jedoch hängen, er hat keine Idee, die darüber hinausgeht. Jake Gyllenhall spielt die Figur des Mannes ziemlich uninspiriert, Mulligan scheint nur selten aus dem Korsett des Drehbuches aussteigen zu können. Es sind bei ihr eher die kleinen Momente, die eine Idee davon geben, mit welcher Zärtlichkeit und Kraft diese Geschichte erzählt werden müsste. Denn das sind die dominierenden Eigenschaften aller Figuren, die aber nur an den Rändern immer mal wieder aufscheinen.

Einen sehr komplexen Film hat Ulrich Köhler mit IN MY ROOM gedreht. Als Armin morgens aufwacht, sind auf einmal alle Menschen von der Welt verschwunden. Er lebt von nun allein auf der Erde und zieht sich in die Natur zurück. Interessant ist zunächst einmal, dass sich Armin allein wesentlich wohler zu fühlen scheint, als mit anderen Menschen zusammen. Die Welt davor ist eine, die ihm sauer aufstieß, in der er sich nicht wohlfühlte. Es steckt einiges von der Berliner Schule in diesem Anfang, die ruhige Kamera und die Dialoge machen den Einbruch des Rauen in Form der Dystopie, die als erstes einen Hund umbringt, noch deutlicher. Köhler nimmt sich alle Zeit, um in Ruhe Armins Vorstellungen von Männlichkeit und seinen Weg zurück in den Urzustand des Menschen zu dekonstruieren. „Also, ich mag diese Welt“, sagt Armin an einer Stelle zur einzigen Person, die ebenfalls noch auf der Erde lebt. Er scheint das Gefühl zu haben, sich in dieser untergegangen Welt wieder artikulieren zu können, denn dies kann er vor allem über seinen Körper. Bisweilen ist der Film in seiner Untersuchung dabei etwas redundant und schafft es nicht immer, sich von der Ästhetik und seiner Kritik an selbiger ganz lösen zu können. Es sind auch immer wieder Szenen der Dopplung zu erkennen, wie z.B. die Szene, in der Armin im Scheinwerferlicht vor einer Tankstelle zu tanzen beginnt. Das Wesen des Subjekts ändert sich auch im menschenleeren Bild kaum, es tritt nur, und das scheint mit Köhler These zu sein, wesentlich offener zutage und lässt einen in den tiefen Abgrund eines Menschen hineinblicken.

Um das Wesen eines Menschen geht es auch in Lukas Dhonts GIRL, welcher sich mit der Geschichte der 15-jährigen Lara auseinandersetzt, die, im Körper eines Jungen geboren, gerne ein Mädchen sein möchte und gleichzeitig beginnt, auf eine der beste Ballettschulen des Landes zu gehen. GIRL befindet sich in einem Spannungsfeld von verschiedenen Kräften. Zum einen möchte die Geschichte eines Menschen erzählen, der sich im eigenen Körper nicht wohlfühlt. Auf der anderen Seite, und das zeigt der Film auch immer wieder in gut inszenierten Szenen, möchte Lara Ballerina werden, eine Kunstform, die im höchsten Maße Körperkontrolle und -sicherheit erfordert. Ein Dilemma, welches der Film zwar zeigt, aber doch mehr Interesse an den Bewegungen des Balletttanzes und seinen Nebenwirkungen zeigt. Die Familie steht komplett hinter Lara, sie wird kaum angefeindet, der Film richtet sein Augenmerk voll und ganz auf seine Protagonistin und ihren Körper. Dabei ist der Vorwurf des Voyeurismus aus einer ästhetischen Perspektive ein zwiespältiger: Zum einen ist klar, dass die Kamera dem gemeinsamen Blick in den Spiegel selten widerstehen kann. Andererseits passt diese Szenerie in das Konzept der völligen Offenlegung einer Figur, wie es z.B. bei den vielen Arztgesprächen auch geschieht, in welchen Details einer Hormontherapie und einer Geschlechts-OP erläutert werden. Dabei verliert sich GIRL im Laufe der Zeit immer mehr und wählt einen zwar sehr drastischen und heftigen Schlussmoment, der jedoch viel von dem ruhigen und fast liebevollen Charakter des Films verloren gehen lässt.  Über die gesamte Laufzeit wehrt sich der Film dagegen, ein Vorbild sein zu wollen, an einer Stelle sagt Lara selbst, dass sie kein Vorbild, sondern nur ein Mädchen sein möchte. Doch so ganz lässt es die Bilder nicht los, in ihnen steckt etwas, was doch zu sehr an die Oberfläche dringen will, was sich nicht unterdrücken lässt.

Dieser Text wurde von Luca Schepers(@ArafatsSohn) verfasst.

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