Alice Rohrwacher hat mit ihren neuen
Film in vielerlei Hinsicht ein Wunder vollbracht. Sie erzählt zunächst von
einer abgeschotteten, diktatorischen Ausbeutungsszenerie, inmitten derer sich
Lazzaro, ein unbedarfter junger Mensch befindet. Man bekommt von Anfang an das
Gefühl, dass er nicht in diese Welt hineinpasst, die vom Gegensatz von Arbeit
und Herrschaft und von Arm und Reich geprägt ist, ein Ort, den diese Menschen
nicht verlassen dürfen.
Sein Gesicht hat eine eigentümliche Zärtlichkeit, die
mehr darstellt, als die reine Zärtlichkeit und Verletzlichkeit. Er ist nicht so
ganz von dieser Welt und hat gleichzeitig das einfache Bedürfnis, bloß in
dieser Welt sein zu können, egal, ob er dabei ausgenutzt wird oder sich
unterordnen muss. Wunderbar ist dabei eine Szene gleich zu Beginn, in der er
durch ein Feld hindurchgeht, aus welchem einige Kinder immer wieder seinen Namen
rufen, doch er kann sie nicht sehen. Schließlich trifft er auf ein junges
Pärchen, das sich gerade küsst. Er muss erst die Pflanzen zur Seite schieben,
er muss seine Sicht befreien, um etwas sehen zu können.
Doch für ihn es das
bloße Sehen, was wichtig ist. Weder versucht der Film ihm etwas beizubringen
oder ihn in irgendeiner Art und Weise zu erziehen, denn das ist niemals
möglich. Er wirkt in der Welt von Ausbeutung und Betrug fast schon wie ein Teil
der Natur, so unberührt wirkt er, wie er durch den Film hindurchscheint. Doch
ein solches Gegenwicht soll es nicht geben, er wirkt daher komisch, es wird
über ihn gelacht, und in einer, zumindest auf einer Ebene der Zeichen,
gedoppelten Szene wird er am Ende sogar schwer misshandelt, weil er in die
komplexe Gegenwart des Finanzsystems nicht hineinpasst. Es sind dann Menschen,
die ihn verprügeln, weil er noch weiter unter ihnen steht. Daher kann der Wolf
auch nur auf die Straße fliehen und bis zum Abspann orientierungslos zwischen
Autos hin- und herlaufen.
Auch spielt schon im ersten Teil des
Films Licht, einer der diversen religiösen Bezüge, eine große Rolle, seien es
Glühbirnen die des Nachts für Klarheit sorgen sollen, der am Himmel stehende
Mond oder auch ein seltsames rotes Leuchten in der Nacht, welches als einzige
Quelle neben dem hellen Mond steht. Und bis zum Ende wird es immer wieder darum
gehen, wo etwas hell ist, wann es dunkel wird und welche Bedeutung dies hat.
Rohrwacher sucht dabei nicht unbedingt nach einer extremen Körperlichkeit,
sondern erzählt viel über die Gesichter ihrer Figuren, über das reine Schauen,
welches bei allen außer Lazzaro, eine Positionierung innerhalb des Bildes
bedeutet. Der Film gibt sich dabei Lazzaros Perspektive hin, verliert dabei
aber nie seinen Blick für die Zustände der restlichen Welt.
Der zweite Teil des Films ist dann von
einer Verbindung von Poetik und Mystik geprägt. Dies wird bereits im Übergang
deutlich. Die Kamera fliegt über die bisher dagewesene Welt hinweg, zeigt ihre
Schönheit und ihrer Vergänglichkeit und begibt sich an den Rand der Stadt. Auch
hier sucht sich der Film keine direkten Gegensätze, sondern versucht seine
Figuren dort wiederzufinden, wo sie sich logischerweise befinden; er begibt
sich in die Gegenwart. Doch diese Gegenwart ist nicht die wirkliche, sondern
die, die der Film produzieren und erzählen möchte. Die Verhältnisse haben sich
dabei nicht wirklich geändert oder verbessert (man kann den Film hier auch als
fragmentarische Geschichte der Ausbeutung betrachten), aber das Gefühl, welches
durch kleine Szenen und Gesten zwischen den Menschen hergestellt wird, wurde
bewahrt. Dabei passt es so sehr in diesem Film hinein, dass es kaum jemandem
auffällt, dass Lazzaro keinen Tag gealtert ist.
Die wohl schönste Szene des Films zeigt
gegen Ende, wie sich die Gruppe Menschen in eine Kirche hineinbegibt und
schnell wieder vertrieben wird. Dabei folgt die Orgelmusik Lazzaro aus der
Kirche hinaus. Hier zeigt sich das ganze Wesen des Films, sein immer im
Hintergrund schwelender Bezug zum Religiösen, seine Solidarität mit den
Menschen, denen er die Musik gibt, weil sie sonst nichts haben. Eine Szene, wie
der schöne Höhepunkt eines Gedichts, das die überquellenden Worte des Sturm und
Drang in eine weltliche Form verpacken möchte.
Alice Rohrwacher hat einen Film gedreht,
der Zeitlichkeit, Zeit und Raum anders denkt, ohne dabei seine Ruhe und
Genauigkeit zu verlieren. Er hat so viele Enden und doch kein wirkliches.
Deshalb kann der Film auch nur in einer suchenden Bewegung enden, die einen Ton
herstellt, der über den Abspann hinaus nachhallt.
Dieser Text wurde von Luca Schepers(@ArafatsSohn) verfasst.
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