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Samstag, 22. September 2018

Ein Wunder-Zu Alice Rohrwachers „Glücklich wie Lazzaro“


Alice Rohrwacher hat mit ihren neuen Film in vielerlei Hinsicht ein Wunder vollbracht. Sie erzählt zunächst von einer abgeschotteten, diktatorischen Ausbeutungsszenerie, inmitten derer sich Lazzaro, ein unbedarfter junger Mensch befindet. Man bekommt von Anfang an das Gefühl, dass er nicht in diese Welt hineinpasst, die vom Gegensatz von Arbeit und Herrschaft und von Arm und Reich geprägt ist, ein Ort, den diese Menschen nicht verlassen dürfen.
Sein Gesicht hat eine eigentümliche Zärtlichkeit, die mehr darstellt, als die reine Zärtlichkeit und Verletzlichkeit. Er ist nicht so ganz von dieser Welt und hat gleichzeitig das einfache Bedürfnis, bloß in dieser Welt sein zu können, egal, ob er dabei ausgenutzt wird oder sich unterordnen muss. Wunderbar ist dabei eine Szene gleich zu Beginn, in der er durch ein Feld hindurchgeht, aus welchem einige Kinder immer wieder seinen Namen rufen, doch er kann sie nicht sehen. Schließlich trifft er auf ein junges Pärchen, das sich gerade küsst. Er muss erst die Pflanzen zur Seite schieben, er muss seine Sicht befreien, um etwas sehen zu können.
Doch für ihn es das bloße Sehen, was wichtig ist. Weder versucht der Film ihm etwas beizubringen oder ihn in irgendeiner Art und Weise zu erziehen, denn das ist niemals möglich. Er wirkt in der Welt von Ausbeutung und Betrug fast schon wie ein Teil der Natur, so unberührt wirkt er, wie er durch den Film hindurchscheint. Doch ein solches Gegenwicht soll es nicht geben, er wirkt daher komisch, es wird über ihn gelacht, und in einer, zumindest auf einer Ebene der Zeichen, gedoppelten Szene wird er am Ende sogar schwer misshandelt, weil er in die komplexe Gegenwart des Finanzsystems nicht hineinpasst. Es sind dann Menschen, die ihn verprügeln, weil er noch weiter unter ihnen steht. Daher kann der Wolf auch nur auf die Straße fliehen und bis zum Abspann orientierungslos zwischen Autos hin- und herlaufen.
Auch spielt schon im ersten Teil des Films Licht, einer der diversen religiösen Bezüge, eine große Rolle, seien es Glühbirnen die des Nachts für Klarheit sorgen sollen, der am Himmel stehende Mond oder auch ein seltsames rotes Leuchten in der Nacht, welches als einzige Quelle neben dem hellen Mond steht. Und bis zum Ende wird es immer wieder darum gehen, wo etwas hell ist, wann es dunkel wird und welche Bedeutung dies hat. Rohrwacher sucht dabei nicht unbedingt nach einer extremen Körperlichkeit, sondern erzählt viel über die Gesichter ihrer Figuren, über das reine Schauen, welches bei allen außer Lazzaro, eine Positionierung innerhalb des Bildes bedeutet. Der Film gibt sich dabei Lazzaros Perspektive hin, verliert dabei aber nie seinen Blick für die Zustände der restlichen Welt.
Der zweite Teil des Films ist dann von einer Verbindung von Poetik und Mystik geprägt. Dies wird bereits im Übergang deutlich. Die Kamera fliegt über die bisher dagewesene Welt hinweg, zeigt ihre Schönheit und ihrer Vergänglichkeit und begibt sich an den Rand der Stadt. Auch hier sucht sich der Film keine direkten Gegensätze, sondern versucht seine Figuren dort wiederzufinden, wo sie sich logischerweise befinden; er begibt sich in die Gegenwart. Doch diese Gegenwart ist nicht die wirkliche, sondern die, die der Film produzieren und erzählen möchte. Die Verhältnisse haben sich dabei nicht wirklich geändert oder verbessert (man kann den Film hier auch als fragmentarische Geschichte der Ausbeutung betrachten), aber das Gefühl, welches durch kleine Szenen und Gesten zwischen den Menschen hergestellt wird, wurde bewahrt. Dabei passt es so sehr in diesem Film hinein, dass es kaum jemandem auffällt, dass Lazzaro keinen Tag gealtert ist.
Die wohl schönste Szene des Films zeigt gegen Ende, wie sich die Gruppe Menschen in eine Kirche hineinbegibt und schnell wieder vertrieben wird. Dabei folgt die Orgelmusik Lazzaro aus der Kirche hinaus. Hier zeigt sich das ganze Wesen des Films, sein immer im Hintergrund schwelender Bezug zum Religiösen, seine Solidarität mit den Menschen, denen er die Musik gibt, weil sie sonst nichts haben. Eine Szene, wie der schöne Höhepunkt eines Gedichts, das die überquellenden Worte des Sturm und Drang in eine weltliche Form verpacken möchte.
Alice Rohrwacher hat einen Film gedreht, der Zeitlichkeit, Zeit und Raum anders denkt, ohne dabei seine Ruhe und Genauigkeit zu verlieren. Er hat so viele Enden und doch kein wirkliches. Deshalb kann der Film auch nur in einer suchenden Bewegung enden, die einen Ton herstellt, der über den Abspann hinaus nachhallt.


Dieser Text wurde von Luca Schepers(@ArafatsSohn) verfasst.

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