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Samstag, 30. Dezember 2017

Die Klassenbesten des Jahres 2017

  1. Okja – Bong Joon-Ho
Eine der stetig wiederkehrenden Diskussion des Filmjahres war der vermeintliche Widerspruch zwischen Streamingdiensten und Kino. Mich beschleicht jedoch das Gefühl, dass diese Diskussion in erster Linie von Bewohnern amerikanischer Groß- und europäischer Hauptstädte geführt wird, sodass ich mich an dieser Stelle an Neu-Kieler da etwas raushalten möchte, auch wenn Kiel nicht zu Unrecht von Einwohnern von Städtchen wie Itzehoe als das New York Schleswig-Holsteins bezeichnet wird.
Netflix hat wahrscheinlich viele der Leser dieses Textes dieses Jahr eine Stange Geld gekostet, eine Investition die sich nur bedingt rentiert haben dürfte, doch wenn es dieses Jahr einen Film gab, der zumindest einen Teil des Geldes gerechtfertig hat, dann Bong Joon-Hos rasant-spektakulärer Angriff auf den Spätkapitalismus.

  1. The Edge of Seventeen – Kelly Fremon Craig
Auch so eine Entdeckung des Jahres: Hailee Steinfeld, deren Popmusik mindestens zweifelhaft ist und die es vermutlich nicht zu einer ganz großen Schauspielerkarriere bringen wird, steht mit einer Obstschale in der Hand rum.

  1. Piazza Vittorio – Abel Ferrara
Piazza Vittorio bildet ein schönes Double Feature mit dem Platz 3 dieser Liste, denn beides sind dezidiert europäische Filme, die von der Zersetzung eines alten Europas erzählen, welches sich in seinen letzten Atemzügen nur noch in Ausländerfeindlichkeit und offenen Faschismus flüchtet und für Jugendliche, Migranten und arme Menschen nichts anderes als Verachtung übrig hat. Lieber zugrunde gehen als sich verändern.

  1. Billy Lynn's Long Halftime Walk – Ang Lee
Der schlimmste Tag deines Lebens, immer wieder.

  1. Der rote Schatten – Dominik Graf
Der rote Schatten ist vermutlich nicht einmal der beste Graf-Film in diesem Jahr, aber er hatte das, nunja, Glück, genau in der letzten Phase meiner Bachelorarbeit über die heimischen Fernsehbildschirme zu flimmern. Ohne zu viel mit universitär-akademischem langweilen zu wollen, lässt sich grob sagen, dass sowohl meine Arbeit als auch Grafs Film mit der Art, wie in Deutschland erinnert wird und wie Film erinnungspolitische Realitäten konstruieren, aber eben auch attackieren kann, beschäftigt sind. Ein Film der Zwischenräume, zwischen Realität und Verdrängung, Erinnerung und Gedenken, Aufarbeitung und Vertuschung, aber für mich eben auch zwischen Tür und Angel, Lüneburg und Kiel.

  1. Ghost in the Shell – Rupert Sanders
In einem Jahr, in dem progressives Kino im Blockbusterbereich entweder auf vermeintlich empowernde Herrenmenschenphantasien oder buzzfeedisierte Besetzungslisten um woke Ikonen für Live-Action-Verfilmungen von Klassikern aus dem Hause der Menschenfeinden beschränkt wurde, bildet Ghost in the Shell eine wohltuende Ausnahme, weil er den unbedingt zu führenden Diskurs rund um Identität im kapitalistischen System nicht nur behauptet, sondern tatsächlich annimmt und auf die mehr schlecht als recht konstruierten Vorwürfe rund um eine vermeintliche Whitewashing-Thematik der Hauptfigur mit einer besonnenen und ergebnisoffenen Diskursivität reagiert, die im Mainstreamkino selten (geworden?) ist. Der Vollständigkeit halber: Den Anime, das "source material" wie bekannte deutsche YouTube-Filmkritiker wohl sagen würden, habe ich dieses Jahr auch gesehen, aber als recht belanglos empfunden.

  1. Resident Evil: The Final Chapter – Paul W.S. Anderson
Serialität und die ewige Gefangenschaft in ihr war eines der Themen, welches sich wie ein roter Faden durch mein "Guckverhalten" gezogen hat, ich habe endlich Seinfeld und Frasier gesehen, auch die sich bisher wieder äußerst hervorragend anlassende finale Staffel von Pretty Little Liars beschäftigt sich nicht zuletzt mit der ewigen Wiederkehr. Resident Evil 6 entfernt sich von der formalen Experimentierfreudigkeit seiner Vorgänger, kehrt sprichtwörtlich zu den Wurzeln zurück und beginnt dann in gewissem Sinn von Neuem.

  1. Nocturama – Bertrand Bonello
Ein Film, der nach dem Ende spielt. Ein Versuch sich Individualität zurückzuerkämpfen und doch ein ewiges Zurückfallen. Zugleich derb und subtil. Ein Filmmoment des Jahres die Performance zu Shirley Basseys Coverversion von My Way. Und immer wieder das Unbehagen, solche Filme auf Netflix zu gucken.

  1. Song to Song – Terrence Malick
Es fällt schwer, etwas über die jüngeren Filme von Terrence Malick zu sagen, die Argumente sind ausgetauscht, deswegen vielleicht nur zwei Gedanken: 1. Der oft gehörte Prätentionsvorwurf wird von Film zu Film dümmer. 2. Es war das Jahr des Ryan Gosling, ob das positiv oder negativ gemeint ist, wird sich noch zeigen.

  1. Silence – Martin Scorsese
Wie es manchmal so ist im Leben, fiel mein Kinobesuch zu Silence auf einen anderen der denkwürdigsten Abende des Jahres, zumindest für den fußballinteressierten Mitmenschen, so musste ich mich doch zwischen der letzten Vorstellung des einwöchigen Kinoruns von Scorseses neuem Film und dem Achtelfinalrückspiel der Champions League zwischen Paris und Barcelona entscheiden. Angesichts des deutlichen 4-0-Erfolgs der Pariser Mannschaft im Hinspiel und der seit Jahren bröckelnden Qualität und Aura der spanischen Vertreter entschied ich mich für den Kinobesuch. Als ich im Kinosaal ankam, wurde mir bewusst, dass sich nur zwei andere Menschen für diese Option entschieden hatten. Silence sollte mich dann über Monate verfolgen, ich habe mir (auch im Zuge von Twin Peaks und mit Abstrichen Song to Song) öfter die arg thinkpiecige Frage gestelt, was denn einmal aus dem großen amerikanischen Kino werden soll, wenn diese Leute nicht mehr da sind. Wo die nächsten Scorseses, Lynchs, Malick, Spielbergs bleiben, werden die nächsten Jahre zeigen, die auch dieses Jahr nicht gerade wenigen peinlichen Imitationen der bekanntesten Filme der genannten lassen leider wenig Hoffnung zu. Da war es passend, dass ich, als ich beschwingt vom eindrucksvollen Kinobesuch nach Hause kam, das Internet anwarf und just in dem Moment den Internetstream einschaltete, als Sergi Roberto das Tor zum 6-1 für Barcelona erzielte, im vielleicht letzten großen Aufbäumen dieser unsterblichen Mannschaft um Messi, Iniesta und Xavi. Eine pathetische Parallele.

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