- Okja – Bong Joon-Ho
Eine
der stetig wiederkehrenden Diskussion des Filmjahres war der
vermeintliche Widerspruch zwischen Streamingdiensten und Kino. Mich
beschleicht jedoch das Gefühl, dass diese Diskussion in erster Linie
von Bewohnern amerikanischer Groß- und europäischer Hauptstädte
geführt wird, sodass ich mich an dieser Stelle an Neu-Kieler da
etwas raushalten möchte, auch wenn Kiel nicht zu Unrecht von
Einwohnern von Städtchen wie Itzehoe als das New York
Schleswig-Holsteins bezeichnet wird.
Netflix hat wahrscheinlich viele der Leser dieses Textes dieses Jahr eine Stange Geld gekostet, eine Investition die sich nur bedingt rentiert haben dürfte, doch wenn es dieses Jahr einen Film gab, der zumindest einen Teil des Geldes gerechtfertig hat, dann Bong Joon-Hos rasant-spektakulärer Angriff auf den Spätkapitalismus.
Netflix hat wahrscheinlich viele der Leser dieses Textes dieses Jahr eine Stange Geld gekostet, eine Investition die sich nur bedingt rentiert haben dürfte, doch wenn es dieses Jahr einen Film gab, der zumindest einen Teil des Geldes gerechtfertig hat, dann Bong Joon-Hos rasant-spektakulärer Angriff auf den Spätkapitalismus.
- The Edge of Seventeen – Kelly Fremon Craig
Auch
so eine Entdeckung des Jahres: Hailee Steinfeld, deren Popmusik
mindestens zweifelhaft ist und die es vermutlich nicht zu einer ganz
großen Schauspielerkarriere bringen wird, steht mit einer Obstschale
in der Hand rum.
- Piazza Vittorio – Abel Ferrara
Piazza
Vittorio bildet ein schönes Double Feature mit dem Platz 3 dieser
Liste, denn beides sind dezidiert europäische Filme, die von der
Zersetzung eines alten Europas erzählen, welches sich in seinen
letzten Atemzügen nur noch in Ausländerfeindlichkeit und offenen
Faschismus flüchtet und für Jugendliche, Migranten und arme
Menschen nichts anderes als Verachtung übrig hat. Lieber zugrunde
gehen als sich verändern.
- Billy Lynn's Long Halftime Walk – Ang Lee
Der
schlimmste Tag deines Lebens, immer wieder.
- Der rote Schatten – Dominik Graf
Der
rote Schatten ist vermutlich nicht einmal der beste Graf-Film in
diesem Jahr, aber er hatte das, nunja, Glück, genau in der letzten
Phase meiner Bachelorarbeit über die heimischen Fernsehbildschirme
zu flimmern. Ohne zu viel mit universitär-akademischem langweilen zu
wollen, lässt sich grob sagen, dass sowohl meine Arbeit als auch
Grafs Film mit der Art, wie in Deutschland erinnert wird und wie Film
erinnungspolitische Realitäten konstruieren, aber eben auch
attackieren kann, beschäftigt sind. Ein Film der Zwischenräume,
zwischen Realität und Verdrängung, Erinnerung und Gedenken,
Aufarbeitung und Vertuschung, aber für mich eben auch zwischen Tür
und Angel, Lüneburg und Kiel.
- Ghost in the Shell – Rupert Sanders
In
einem Jahr, in dem progressives Kino im Blockbusterbereich entweder
auf vermeintlich empowernde Herrenmenschenphantasien oder
buzzfeedisierte Besetzungslisten um woke Ikonen für
Live-Action-Verfilmungen von Klassikern aus dem Hause der
Menschenfeinden beschränkt wurde, bildet Ghost in the Shell eine
wohltuende Ausnahme, weil er den unbedingt zu führenden Diskurs rund
um Identität im kapitalistischen System nicht nur behauptet, sondern
tatsächlich annimmt und auf die mehr schlecht als recht
konstruierten Vorwürfe rund um eine vermeintliche
Whitewashing-Thematik der Hauptfigur mit einer besonnenen und
ergebnisoffenen Diskursivität reagiert, die im Mainstreamkino selten
(geworden?) ist. Der Vollständigkeit halber: Den Anime, das "source
material" wie bekannte deutsche YouTube-Filmkritiker wohl sagen
würden, habe ich dieses Jahr auch gesehen, aber als recht belanglos
empfunden.
- Resident Evil: The Final Chapter – Paul W.S. Anderson
Serialität
und die ewige Gefangenschaft in ihr war eines der Themen, welches
sich wie ein roter Faden durch mein "Guckverhalten" gezogen
hat, ich habe endlich Seinfeld und Frasier gesehen, auch die sich
bisher wieder äußerst hervorragend anlassende finale Staffel von
Pretty Little Liars beschäftigt sich nicht zuletzt mit der ewigen
Wiederkehr. Resident Evil 6 entfernt sich von der formalen
Experimentierfreudigkeit seiner Vorgänger, kehrt sprichtwörtlich zu
den Wurzeln zurück und beginnt dann in gewissem Sinn von Neuem.
- Nocturama – Bertrand Bonello
Ein
Film, der nach dem Ende spielt. Ein Versuch sich Individualität
zurückzuerkämpfen und doch ein ewiges Zurückfallen. Zugleich derb
und subtil. Ein Filmmoment des Jahres die Performance zu Shirley
Basseys Coverversion von My Way. Und immer wieder das Unbehagen,
solche Filme auf Netflix zu gucken.
- Song to Song – Terrence Malick
Es
fällt schwer, etwas über die jüngeren Filme von Terrence Malick zu
sagen, die Argumente sind ausgetauscht, deswegen vielleicht nur zwei
Gedanken: 1. Der oft gehörte Prätentionsvorwurf wird von Film zu
Film dümmer. 2. Es war das Jahr des Ryan Gosling, ob das positiv
oder negativ gemeint ist, wird sich noch zeigen.
- Silence – Martin Scorsese
Wie
es manchmal so ist im Leben, fiel mein Kinobesuch zu Silence auf
einen anderen der denkwürdigsten Abende des Jahres, zumindest für
den fußballinteressierten Mitmenschen, so musste ich mich doch
zwischen der letzten Vorstellung des einwöchigen Kinoruns von
Scorseses neuem Film und dem Achtelfinalrückspiel der Champions
League zwischen Paris und Barcelona entscheiden. Angesichts des
deutlichen 4-0-Erfolgs der Pariser Mannschaft im Hinspiel und der
seit Jahren bröckelnden Qualität und Aura der spanischen Vertreter
entschied ich mich für den Kinobesuch. Als ich im Kinosaal ankam,
wurde mir bewusst, dass sich nur zwei andere Menschen für diese
Option entschieden hatten. Silence sollte mich dann über Monate
verfolgen, ich habe mir (auch im Zuge von Twin Peaks und mit
Abstrichen Song to Song) öfter die arg thinkpiecige Frage gestelt,
was denn einmal aus dem großen amerikanischen Kino werden soll, wenn
diese Leute nicht mehr da sind. Wo die nächsten Scorseses, Lynchs,
Malick, Spielbergs bleiben, werden die nächsten Jahre zeigen, die
auch dieses Jahr nicht gerade wenigen peinlichen Imitationen der
bekanntesten Filme der genannten lassen leider wenig Hoffnung zu. Da
war es passend, dass ich, als ich beschwingt vom eindrucksvollen
Kinobesuch nach Hause kam, das Internet anwarf und just in dem Moment
den Internetstream einschaltete, als Sergi Roberto das Tor zum 6-1
für Barcelona erzielte, im vielleicht letzten großen Aufbäumen
dieser unsterblichen Mannschaft um Messi, Iniesta und Xavi. Eine
pathetische Parallele.
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