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Sonntag, 22. Oktober 2017

Von einsamen Menschen erzählen-Notizen zum 31. Internationalen Filmfest Braunschweig

Der Trailer des 31. Internationalen Filmfest Braunschweig verrät, ob bewusst oder unbewusst sei mal dahingestellt, einiges über ein Thema, das in einigen Beiträgen offen zu Tage tritt. Man sieht gleich zu Beginn einzelne Personen aus verschiedenen Filmen, die alleine im Bild zu erkennen sind. Es sind Menschen oder Tiere, die alleine sind. Und so scheint mir eine Strömung des diesjährigen Festivals die Auseinandersetzung mit dem einsamen oder alleingelassenen Subjekt zu sein, das als Ausgangspunkt für weitere Entwicklungen fungiert.


PAST IMPERFECT beweist relativ schnell, dass dies nicht zwingend interessant sein muss. Eine Mutter hat ihr Kind verlassen und muss sich durch den Unfalltod des Vaters nun Jahre später wieder mit ihm auseinandersetzen. Sie scheint nicht in der Lage soziale Beziehungen zu pflegen. Dabei nimmt sich der Film nie die Ruhe, die die Geschichte benötigt, sondern löst die Ansätze eines wirklichen Konfliktes der Mutter mit sich selbst und ihrer Umwelt stets mit einem Schnitt zu einer vermeintlich lustigen (nicht alles, was Kinder machen ist witzig, obwohl es die Filmbeschreibung suggeriert) Handlung des sechsjährigen Jungen auf, die den Konflikt banalisiert. Die konventionelle Erzählweise und das mäßige Drehbuch fügen sich zu einer unausgereiften Inszenierung zusammen, der man anmerkt, dass hier eigentlich ein besserer Film möglich gewesen wäre

Mit seinem Ankündigungstext und seiner Anmoderation hat A DATE FOR MAD MARY glücklicherweise relativ wenig zu tun. Auch hier geht es um eine Person, die versucht mit einer an der Oberfläche nicht sichtbaren Einsamkeit umzugehen. Mary kommt aus dem Gefängnis und versucht ihr Leben zu sortieren und vor allem eine Begleitung für die Hochzeit ihrer Freundin zu finden. Läuft der Film im ersten Drittel noch Gefahr, eine ironische und belehrende Haltung zu vertreten, versteht er es danach, getrieben von der tollen Seana Kerslake, die Konventionen eines normativen Lebens zu dekonstruieren und festzustellen, dass eine bürgerliche Institution wie die Ehe oder ein Eigenheim wenig mit Erwachsenwerden, sondern viel eher mit einer neoliberalen Vorstellung von Glück zu tun haben. Die Reise von Mary wird dabei von einer Kamera und einer Regisseurin inszeniert, die immer versucht ganz nah an ihr dran zu sein und zu zeigen, wie einsam sie sich unter der Oberfläche doch fühlt. Dabei gibt der Film dem Zuschauer immer wieder Momente des Innehaltens, in denen er sich gemeinsam mit Mary von anstrengenden Partys erholen kann. Interessant auch, dass die sich andeutende homosexuelle Orientierung von Mary kein großes Thema ist, sondern sich viel mehr in die Inszenierung einer Person einfügt, die sich nirgendwo so richtig wohlfühlt, außer in den Momenten, in denen sie sich öffnen und sie selbst sein kann. Sie zeigt, dass Alleinsein keinesfalls Einsamkeit bedeutet, aber man sich unter vielen anderen sehr schnell einsam fühlen kann.

Um eine andere Form von Alleinsein geht es in Kim Ki-Duks THE NET, bei der ein nordkoreanischer Fischer durch einen unglücklichen Zufall an der südkoreanischen Grenze strandet und dort für einen Spion gehalten wird. In diesem Film wird der koreanische Konflikt sehr explizit und deutlich dargestellt. Es gibt eine Szene, in der die Hauptfigur durch Seoul fährt. Er möchte die Augen nicht öffnen, um nach seiner Rückkehr den eigenen Behörden nichts erzählen zu müssen. Bis zu diesem Zeitpunkt, zeigt uns der Film ebenfalls nur wenig von Südkorea. Doch mit ihm öffnet auch der Film seine Augen und begibt sich in die Tiefen von Seoul herein. Dabei wird sehr klassisch von der zufälligen Verstrickung des unschuldigen Subjekts in einen Konflikt erzählt. So wird von dieser kleinen Geschichte aus sehr viel über die Mechanismen dieser Auseinandersetzung erzählt. Es ist dem Film nachzusehen, dass er recht klar umrissene Figuren zeigt, die stellenweise etwas zu deutlich aussprechen, was die Bilder vorher schon gezeigt haben. Kim Ki-Duk nähert sich seinem Thema behutsam über seine Schauspieler, über die erzählende, ruhige Kamera und sein Auge für Gebäude und ihre Fassaden, durch die sehr klargemacht wird, wo eines der Probleme begraben liegt: „Freiheit garantiert kein Glück.“

Eine in gewisser Weise einsame Person ist auch Elaine, die Hauptfigur von THE LOVE WITCH, der sich von der ersten Sekunde an, als sehr selbstbewusstes Genre-Kino in Form einer Art Sexplotation-Films im Technicolor-Look auf 35mm gedreht präsentiert. Dabei verdient dieser Film das Gelächter des anwesenden Publikums nicht, ist dieser Film doch eine sehr konsequente, zu keinem Zeitpunkt auf bloßen Retro-Charme setzende Auseinandersetzung mit der Märchenfigur der Hexe, die hier in Form einer Frau dargestellt wird, die Männer stets nur sexuell begehren können und anschließend beim Versuch Gefühle zu entwickeln sterben. Damit wird auch etwas vom Feminismus und suggerierten Geschlechterrollen erzählt. Die faszinierende Ausstattung ist dabei kein bloßer Schauwert, sondern unterstützt die Neigung des Films, sich dem Eskapismus und dem Unsortierten hinzugeben.

Eine andere Art des isolierten Subjekts findet sich gegen Ende von THE KILLING OF A SACRED DEER von Yorgos Lanthimos. Collin Farrell steht zwischen drei Personen und muss sich entscheiden, wen er denn nun erschießen wird. Er erträgt es nicht, sich selbst zu entscheiden und setzt eine Maske auf, um den Zufall entscheiden zu lassen. Das Thema des Films ist sicherlich kein uninteressantes und bis zu einem gewissen Zeitpunkt weiß Lanthimos dies auch zu erzählen. Die Kamera bewegt sich ständig durch Räume hindurch, sie geht nahe an Menschen heran nur, um dann wieder von ihnen wegzugehen. Das unterkühlte und fast schon gekünstelt wirkende seiner Figuren geht aber nicht über einen bestimmten Konfliktpunkt hinaus. Es geht immer wieder um Sauberkeit, die Elternteile der Familie, deren Geschichte erzählt wird, sind Ärzte, sie sind stets klinisch und rein. Ständig geht es um die Hände eines Arztes, wie sauber und schön diese sein. Nachdem die Konfliktlinie mehr als deutlich geworden ist, wird die Inszenierung immer affirmativer und fokussiert den Zustand aller Figuren zwischen Leben und Tod. Dass dies nun mit ständigen Aufnahmen der Kinder in Krankenbetten symbolisiert werden muss, zeigt, dass die Wunden, die dieser Film wortwörtlich aufkratzen möchte, nur an der Oberfläche stark bluten und im Inneren sehr schnell wieder verheilen. 

Dieser Text wurde von Luca Schepers (@ArafatsSohn) verfasst.

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