Der Trailer des 31. Internationalen
Filmfest Braunschweig verrät, ob bewusst oder unbewusst sei mal dahingestellt, einiges über ein
Thema, das in einigen Beiträgen offen zu Tage tritt. Man sieht gleich zu Beginn
einzelne Personen aus verschiedenen Filmen, die alleine im Bild zu erkennen
sind. Es sind Menschen oder Tiere, die alleine sind. Und so scheint mir eine
Strömung des diesjährigen Festivals die Auseinandersetzung mit dem einsamen
oder alleingelassenen Subjekt zu sein, das als Ausgangspunkt für weitere
Entwicklungen fungiert.
PAST IMPERFECT beweist relativ schnell,
dass dies nicht zwingend interessant sein muss. Eine Mutter hat ihr Kind
verlassen und muss sich durch den Unfalltod des Vaters nun Jahre später wieder
mit ihm auseinandersetzen. Sie scheint nicht in der Lage soziale Beziehungen zu
pflegen. Dabei nimmt sich der Film nie die Ruhe, die die Geschichte benötigt,
sondern löst die Ansätze eines wirklichen Konfliktes der Mutter mit sich selbst
und ihrer Umwelt stets mit einem Schnitt zu einer vermeintlich lustigen (nicht
alles, was Kinder machen ist witzig, obwohl es die Filmbeschreibung suggeriert)
Handlung des sechsjährigen Jungen auf, die den Konflikt banalisiert. Die
konventionelle Erzählweise und das mäßige Drehbuch fügen sich zu einer
unausgereiften Inszenierung zusammen, der man anmerkt, dass hier eigentlich ein
besserer Film möglich gewesen wäre
Mit seinem Ankündigungstext und seiner
Anmoderation hat A DATE FOR MAD MARY glücklicherweise relativ wenig zu tun.
Auch hier geht es um eine Person, die versucht mit einer an der Oberfläche
nicht sichtbaren Einsamkeit umzugehen. Mary kommt aus dem Gefängnis und
versucht ihr Leben zu sortieren und vor allem eine Begleitung für die Hochzeit
ihrer Freundin zu finden. Läuft der Film im ersten Drittel noch Gefahr, eine
ironische und belehrende Haltung zu vertreten, versteht er es danach, getrieben
von der tollen Seana Kerslake, die Konventionen eines normativen Lebens zu
dekonstruieren und festzustellen, dass eine bürgerliche Institution wie die Ehe
oder ein Eigenheim wenig mit Erwachsenwerden, sondern viel eher mit einer
neoliberalen Vorstellung von Glück zu tun haben. Die Reise von Mary wird dabei von
einer Kamera und einer Regisseurin inszeniert, die immer versucht ganz nah an
ihr dran zu sein und zu zeigen, wie einsam sie sich unter der Oberfläche doch
fühlt. Dabei gibt der Film dem Zuschauer immer wieder Momente des Innehaltens, in
denen er sich gemeinsam mit Mary von anstrengenden Partys erholen kann. Interessant
auch, dass die sich andeutende homosexuelle Orientierung von Mary kein großes
Thema ist, sondern sich viel mehr in die Inszenierung einer Person einfügt, die
sich nirgendwo so richtig wohlfühlt, außer in den Momenten, in denen sie sich
öffnen und sie selbst sein kann. Sie zeigt, dass Alleinsein keinesfalls
Einsamkeit bedeutet, aber man sich unter vielen anderen sehr schnell einsam
fühlen kann.
Um eine andere Form von Alleinsein geht
es in Kim Ki-Duks THE NET, bei der ein nordkoreanischer Fischer durch einen
unglücklichen Zufall an der südkoreanischen Grenze strandet und dort für einen
Spion gehalten wird. In diesem Film wird der koreanische Konflikt sehr explizit
und deutlich dargestellt. Es gibt eine Szene, in der die Hauptfigur durch Seoul
fährt. Er möchte die Augen nicht öffnen, um nach seiner Rückkehr den eigenen
Behörden nichts erzählen zu müssen. Bis zu diesem Zeitpunkt, zeigt uns der Film
ebenfalls nur wenig von Südkorea. Doch mit ihm öffnet auch der Film seine Augen
und begibt sich in die Tiefen von Seoul herein. Dabei wird sehr klassisch von
der zufälligen Verstrickung des unschuldigen Subjekts in einen Konflikt erzählt.
So wird von dieser kleinen Geschichte aus sehr viel über die Mechanismen dieser
Auseinandersetzung erzählt. Es ist dem Film nachzusehen, dass er recht klar
umrissene Figuren zeigt, die stellenweise etwas zu deutlich aussprechen, was
die Bilder vorher schon gezeigt haben. Kim Ki-Duk nähert sich seinem Thema behutsam
über seine Schauspieler, über die erzählende, ruhige Kamera und sein Auge für
Gebäude und ihre Fassaden, durch die sehr klargemacht wird, wo eines der
Probleme begraben liegt: „Freiheit garantiert kein Glück.“
Eine in gewisser Weise einsame Person
ist auch Elaine, die Hauptfigur von THE LOVE WITCH, der sich von der ersten
Sekunde an, als sehr selbstbewusstes Genre-Kino in Form einer Art
Sexplotation-Films im Technicolor-Look auf 35mm gedreht präsentiert. Dabei
verdient dieser Film das Gelächter des anwesenden Publikums nicht, ist dieser
Film doch eine sehr konsequente, zu keinem Zeitpunkt auf bloßen Retro-Charme
setzende Auseinandersetzung mit der Märchenfigur der Hexe, die hier in Form
einer Frau dargestellt wird, die Männer stets nur sexuell begehren können und
anschließend beim Versuch Gefühle zu entwickeln sterben. Damit wird auch etwas
vom Feminismus und suggerierten Geschlechterrollen erzählt. Die faszinierende
Ausstattung ist dabei kein bloßer Schauwert, sondern unterstützt die Neigung
des Films, sich dem Eskapismus und dem Unsortierten hinzugeben.
Eine andere Art des isolierten Subjekts
findet sich gegen Ende von THE KILLING OF A SACRED DEER von Yorgos Lanthimos.
Collin Farrell steht zwischen drei Personen und muss sich entscheiden, wen er
denn nun erschießen wird. Er erträgt es nicht, sich selbst zu entscheiden und
setzt eine Maske auf, um den Zufall entscheiden zu lassen. Das Thema des Films
ist sicherlich kein uninteressantes und bis zu einem gewissen Zeitpunkt weiß
Lanthimos dies auch zu erzählen. Die Kamera bewegt sich ständig durch Räume
hindurch, sie geht nahe an Menschen heran nur, um dann wieder von ihnen
wegzugehen. Das unterkühlte und fast schon gekünstelt wirkende seiner Figuren
geht aber nicht über einen bestimmten Konfliktpunkt hinaus. Es geht immer
wieder um Sauberkeit, die Elternteile der Familie, deren Geschichte erzählt
wird, sind Ärzte, sie sind stets klinisch und rein. Ständig geht es um die
Hände eines Arztes, wie sauber und schön diese sein. Nachdem die Konfliktlinie
mehr als deutlich geworden ist, wird die Inszenierung immer affirmativer und fokussiert
den Zustand aller Figuren zwischen Leben und Tod. Dass dies nun mit ständigen
Aufnahmen der Kinder in Krankenbetten symbolisiert werden muss, zeigt, dass die
Wunden, die dieser Film wortwörtlich aufkratzen möchte, nur an der Oberfläche
stark bluten und im Inneren sehr schnell wieder verheilen.
Dieser Text wurde von Luca Schepers (@ArafatsSohn) verfasst.
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