Auf der diesjährigen Berlinale gab es eine seltsame
Szene zu beobachten. Die Regisseure Dominik Graf und Johannes Sievert führten
im Anschluss an die Premiere ihres neuen Films „Verfluchte Liebe Deutscher
Film“ ein Zuschauergespräch. Es ging dabei um die Wahrnehmung von kommerziellen
Filmen in Deutschland. Graf sagte dazu: „Es gibt in Deutschland eine
unheimliche Arroganz gegenüber einem kommerziellen Kino.“ Er bekam donnernden
Applaus aus dem gut gefüllten Kinosaal, auch die Aussage, man könne „für einen
erfolgreichen Film keine gute Presse bekommen“, wurde ähnlich aufgenommen. Das
Absurde daran ist, dass sicherlich ein Großteil der Zuschauer genau mit diesen
Sätzen gemeint war.
Ein Filmfestival wird im Allgemeinen als eine
Möglichkeit gesehen das Kino zu feiern, Filme aus verschiedensten Ländern zu
sehen, Filme, die sonst überhaupt nicht in den deutschen Kinos laufen. Das ist
sicherlich nicht verkehrt. Und doch gibt es eine seltsame Haltung unter
Festivalzuschauern.
Man bekommt häufig den Eindruck vermittelt, dass der
Film nun auf jeden Fall besser sei, als das „Mainstream-Kino“ und somit ist
auch der Festivalzuschauer besser, als der „Mainstream-Zuschauer“. Der einzige
wirkliche Unterschied ist jedoch, dass anstelle von Trailern ein Intro vor dem
Film läuft und man eine mehr schlecht als recht vorbereitete Einleitung zum
Film bekommt. Danach läuft dort ein Film. Und jeder Film beginnt bei null. Er
kann dann schlecht oder gut werden, das bleibt dem Betrachter überlassen. Wenn
man nun aber sagen würde, dass bei z.B. bei den Nordischen Filmtagen in Lübeck
keine Actionfilme aus Hollywood laufen, dann ist das zunächst einmal eine
Tatsache, die mit der Programmorientierung des Festivals zusammenhängt. Daraus
aber zu schlussfolgern, das Programm sei automatisch besser, ist falsch. (An
dieser Stelle spielt sicherlich auch eine Form des Antiamerikanismus eine
Rolle, welche Hollywood als Wurzel des Bösen sieht.)
Die Berlinale hatte 2016 über 500.000 Zuschauer. Das
ist eine sehr hohe Zahl und sollte eigentlich erfreulich sein. Doch die
Berlinale wird zunehmend eine Veranstaltung, bei der sich eine Gruppe von
Leuten versucht, gegenüber „normalen“ Kinozuschauern abzuheben. Es wird von der
„besonderen Berlinale-Atmosphäre“ geschwärmt, man erzählt sich gegenseitig
Geschichten aus der Kinoschlange. Der Film wird dann zur Nebensache. Dieses
Phänomen kann man von Zeit zu Zeit auch in der Oper beobachten. Die Besucher
kommen zu einer Vorstellung, um gesehen zu werden und das besondere Gefühl zu
spüren. Und nicht etwa, weil sie ein seriöses Interesse an der Oper hegen. Der
Event-Charakter des Kinos ist nicht zu leugnen, aber ist man dadurch ein
besserer Zuschauer, als der Durchschnitts-Kinozuschauer? Ich glaube nicht.
Überhaupt ist bei einem Festival meist wenig anders,
als in der sonstigen Kinolandschaft. Die großen und bekannten Filme produzieren
ellenlange Schlangen und werden restlos ausverkauft. Es werden zusehends absurd
anmutende Preise bezahlt für Filme, die wenige Woche später regulär in die
Kinos kommen, Leute drängeln sich vor und prügeln sich beinahe, sobald jemand
einen falschen Schritt macht. Und es gibt die unbekannteren Filme, für die man
auch fünf Minuten vor Beginn noch Karten kaufen kann. So oder so ähnlich
stellen sich die Besucherzahlen in den Kinos sonst auch dar.
Kollege D. sagte vor einigen Monaten in einem Gespräch
zu mir: „Eigentlich sind Arthouse-Zuschauer nicht besser als
Mainstream-Zuschauer.“ Wenn man sich das einmal genau überlegt, dann hat er
vollkommen Recht. Beide Seiten sind eingeschränkt in ihren Sehgewohnheiten. Wer
pauschal den Unterhaltungsfilm verurteilt oder grundsätzlich kein
„Arthouse“-Kino schaut, der wird das Kino kaum richtig verstehen können. Graf
setzt sich bereits seit vielen Jahren dafür ein, dass der Unterhaltungsfilm
einen positiven Leumund in Deutschland bekommt. Solange aber geglaubt wird,
dass der Unterhaltungsfilm ein weniger kunstvolles Genre ist, wird sich daran
kaum etwas ändern.
Anders wird es jedoch, wenn der Fan des neuen „Mission
Impossible“-Films vorher fallen lässt, dass er ein Fan des Spätwerks von Godard
sei und jeden einzelnen Hitchcock gesehen habe. Sofort wird die Wahrnehmung
anders, dann wird der eigentliche Unterhaltungsfilm zu etwas Besonderem, weil der
Gegenüber die (scheinbare) Reputation hat, ihn zu etwas „Größerem“ zu erheben.
Was für ein Unsinn. Und überhaupt: Was ist eigentlich gegen Unterhaltung
einzuwenden? Wer glaubt, alles, was auf Festivals oder in Programmkinos läuft,
sei grundsätzlich wesentlich anspruchsvoller als das restliche Kinoprogramm,
versteht das Kino nicht.
Sind Filmfestivals also zu verurteilen, sollte man sie
gar abschaffen? Nein, natürlich nicht. Sie sind und bleiben eine schöne
Möglichkeit, viele verschiedene Filme zu sehen, seinen Horizont zu erweitern.
Sie sind und bleiben ein schöner Event, um viele Filme zu schauen, ob nun gut
oder schlecht. Was aber aufhören muss, ist die Arroganz seiner Zuschauer, sowie
das Mitbringen von Picknickkörben. Ein wirklich guter Kinozuschauer ist der,
der offen an alles herangeht, immer auf der Suche nach neuen Anregungen ist und
jeden Film danach bewertet, was der Film ist und nicht nach dem Drumherum. (Wobei
sich natürlich die Frage aufdrängt, was eigentlich ein guter Kinozuschauer sein
soll.)
Dieser Text wurde von Luca Schepers(@ArafatsSohn) verfasst.
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