Dieses Blog durchsuchen

Freitag, 31. Dezember 2021

Auftauchen um Luft zu holen - Die beste Filme 2021

 

Auftauchen um Luft zu holen – Die besten Filme 2021


Brüche von Kontinuitäten:

Werder Bremen stirbt nach Jahren des Dahinsiechens den Heldentod und steigt das erste Mal seit der Carter-Administration in die zweite Liga ab, unterdessen ziehe ich auf die böse Seite des Kieler Südfriedhofs um.


Abends zum Kulturprogramm:

Die definierende Fernsehserie meines Jahres mit Sicherheit Treme von David Simon – am Ende war dann sogar mein ansonsten recht öder Spotify-Jahresrückblick von New Orleans Jazz als Topgenre gekrönt (gefolgt von Chicago-Rap, bei dem ich allerdings nicht genau weiß was das ist). Gute aktuelle Filme habe ich aus diversen Gründen weniger als in den letzten Jahren gesehen, ungünstig gelegene Erkrankungen, Kinoschließungen, etc. etc. Zwiespältige Erwähnungen dennoch für den ziemlich langweiligen Dune-Film, der mir aber dann doch Lust auf die Romane gemacht hat und Zack Snyders Justice-League-Version, der zwar die wahrscheinlich beste Art und Weise ist einen zeitgenössischen amerikanischen Superheldenfilm zu drehen – aber ich habe dieses Jahr auch das erste Mal Johnnie Tos The Heroic Trio gesehen und mal ehrlich: ab und an muss man schon darauf achten, dass die eigenen Maßstäbe im Lot bleiben. Drei schöne Double Features: Peking Opera Blues von Tsui Hark & Goodbye Dragon Inn von Tsai Ming-Liang, The World von Jia Zhangke & My Mother's Smile des großen Marco Bellocchio, We All Loved Each Other So Much von Ettore Scola und The Golden Coach von Jean Renoir.


10. Evil Dies Tonight:

Freaky – Christopher Landon & Halloween Kills – David Gordon Green & New Nightmare – Wes Craven

Alleine wären mir sowohl der sympathische Freaky als auch der brutale Halloween Kills vermutlich nicht genug für eine Jahresendliste gewesen, im Triple mit Wes Craven Meisterwerk und vielleicht stärkstem Film New Nightmare langt es allemal. Wie bei einigen Filmen in diesem Jahr waren die (twitterigen) politischen Lesarten von Halloween Kills bestenfalls uninteressant, aber die schlichte Gewalttätigkeit des Films hat einiges für sich.


9. Auf der Suche?

Innocent Sorcerers – Andrzej Wajda & Blood of My Blood – Marco Bellocchio

Zwei Filme über Suchende, in Wajdas Film die polnische Jugend auf der Suche nach dem Moment des Glücks, ob auf dem Boden von Schnapsgläsern, in der Musik oder im versoffen zubereiteten Rührei, in Blood Of My Blood der beste Regisseur Marco Bellocchio auf der Suche nach dem Sinn, auch so ein Film der Offenheit, aber auch der verschlungenen Pfade. Er ist eben der Größte.


8. Sing Hallelujah

Mektoub My Love: Canto Uno – Abdellatif Kechiche & Friday Night – Claire Denis

2021 habe ich keinen frischeren "aktuellen" Film als Mektoub My Love: Canto Uno gesehen. In der Art wie sich Körper bei Kechiche bewegen dringt der kaum zu überschätzende Einfluss durch, den Claire Denis und Agnes Godard auf die aktuelle Generation europäischer Autorenfilmer genommen haben. Das kann man gerne ausführlich und akademisch erklären und irgendjemand sollte das unbedingt mal tun, aber was bleibt ist eine fast haptische Nähe. Und die schwimmenden Grenzen zwischen Sexualisierung von Figuren und Figuren die sich sexualisieren.


7. Benedetta – Paul Verhoeven

Glaube früher oder später kommt jeder Mensch an den Punkt, an dem er oder sie sich eingesteht, dass Verhoeven in Europa um Welten größer, lustiger, klüger, besser und schöner als Verhoeven in Amerika ist.


6. Bergman Island – Mia Hansen-Love

Natürlich grandios, wahrscheinlich der am besten geschnittene und "gemachte" Film des Jahres, mit viel diebischer Freude daran sich selbst den Teppich unter den Füßen wegzuziehen. Tim Roth ist so ein wunderbarer Schauspieler. Wahrscheinlich nicht mal einer der besten drei Filme von MHL, aber trotzdem so verflucht gut.


5. Herr Bachmann und seine Klasse – Maria Speth

Auf jeden Fall der Film des Jahres über den die Damen und Herren von der Presse, wie sie Dagobert Duck bekanntlich zu nennen pflegt, den größten Kakao erzählt haben. Herr Bachmann und seine Klasse ist keine "Auseinandersetzung mit dem Schulsystem" und die cinephile Welt kann sich glücklich schätzen, dass der Film didaktische Aspekte zugunsten einer emotionalen und sehr dringlichen Betrachtungsweise des Mikrokosmos Schulklasse vernachlässigt. Eine Schülerin, die die versammelte Klasse zusammenfaltet, weil sie ihrer referierenden besten Freundin nicht die angemessene Aufmerksamkeit zukommen lässt ist eben immer interessanter als der etwas andere Lehrer.


4. Fabian oder der Gang vor die Hunde – Dominik Graf

Die Lüge die wir Zukunft nennen – Grafs Berlin-Film ist die einzige der vielen Zwischenkriegszeitgroßproduktionen aus den letzten Jahren, die sich nicht zwanghaft an Fassbinders Version von Berlin Alexanderplatz abarbeitet (im Moment relativ unerträglich zu sehen in der Degeto-Serie El Dorado KaDeWe), sondern eine Liebesgeschichte in den Vordergrund stellt. Saskia Rosendahls Performance ist schlicht kaum in Worte zu fassen, eine schon im Buch eher undankbare Rolle verwandelt sie alleine durch ihre körperliche Präsenz, ihre Intonation und nicht zuletzt durch ihre Augen in die komplexe Hauptfigur des Films. Fabian verschwindet, Saskia Rosendahl bleibt.


3. Limbo – Soi Cheang

Neue Strukturen schaffen, Klischees so entwickeln als ob es das erste Mal wäre. Müll und ein Moment der Stille.


2. Die gute Mutter – Hafsia Herzi

Hafsia Herzi ist sowohl als Filmemacherin als auch als Schauspielerin in Mektoub My Love eine meiner Entdeckungen des Jahres. Obschon der Modus von Die gute Mutter und You Deserve A Lover (dem anderen tollen Film, der auch in dieser Liste hätte landen können) sich ähnelt, gelingt Herzi in beiden Filmen sehr unterschiedliches. You Deserve A Lover dreht sich eigentlich ausschließlich um die sexuellen Bedürfnisse und Eskapaden seiner Hauptfigur, Die gute Mutter erweitert den Blick auf das Wohl und Wehe einer ganzen Familie. Auf sehr anrührende Art und Weise nah, ohne das Gefühl für Strukturen zu verlieren. Der anschließende Abend in der Hamburger Ratsherrenklause war auch nett, das soll nicht unerwähnt bleiben.


1. West Side Story – Steven Spielberg

Wie jeder Cineinternetheini habe ich ein gespaltenes Verhältnis zu Steven Spielberg, ich mag seine neueren Filme lieber als seine älteren ProSieben-Klassiker, meine diesjährige Abschlussarbeit drehte sich zumindest teilweise um Ready Player One, so weit, so uninteressant. Zu West Side Story als Film, seiner Beziehung zum Original, seiner inszenatorischen Klasse habe ich nicht besonders viel anzumerken, was an anderer Stelle (besonders im auch 2021 verlässlich großartigsten Filmpodcast Wollmilchcast) nicht schon gesagt wurde. Aber interessant fand ich doch, wie sehr besonders online Konversationen über Rollen von besonders Frauen von Drehbuchkonzeptionen geprägt sind, ohne die Performance der Schauspielerin in die geschlechterpolitische Analyse einzubeziehen. Dies gilt für West Side Story in besonders beeindruckender Art und Weise, so spielen doch Ariana DeBose und Rita Moreno in tendenziell recht öden und eindimensional konzipierten Rollen so bemerkenswert auf, DeBose durch ihre ungeheuere Frische und Dominanz des Bildes, Rita Moreno durch ihre Augen und Schultern, die in einzelnen Bewegungen ein ganzes Leben erschaffen. So wie das im Kino ja auch sein soll, zumindest manchmal.




Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen