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Donnerstag, 29. Juni 2017

"Il est cinq heures, Berlin s’eveille“-Gedanken über das Kino von Angela Schanelec

Meine Faszination für die sogenannte Neue Berliner Schule entspringt vor allem daraus, dass sie sich im Gegensatz zu vielen anderen Filmbewegungen, so schwer in eine klare Form bringen lässt. Weder gibt es ein Manifest, irgendwelche eigentümlichen Regeln oder sonst welche Voraussetzungen. Man hat es eigentlich mit einer Ansammlung von Filmemachern zutun, die sich in ihrer jeweiligen ästhetischen Prägung sehr unterschiedlich und gleichzeitig sehr einig zu sein scheinen.
Angela Schanelec sagte letztens in einem sehr lesenswerten Interview in der Cargo #33 : „(…) Also kann auch ich als Teil einer Schule gesehen werden. Und es ist hilfreich, um einen Ansatzpunkt zu finden, über meine Filme zu sprechen und zu schreiben. Bei Der traumhafte Weg war das auch, wenn es auftauchte, immer nur der Anfang. Es hat sich aber dann immer davon gelöst.“ Es scheint mir der richtige Ansatz zu sein, im Gegensatz zu dem der ARTE-Dokumentation „Die Berliner Nouvelle Vague“, die sich bis zuletzt nicht von diesem Label lösen kann.
Die Filme von Angela Schnanelec bieten ein immersives Filmerlebnis, einen Sog der Bilder. Entgegen der Annahme, ihr Stil sei distanziert und kühl, affizieren ihre Filme den Zuschauer in einer sehr speziellen Weise. Man denke vor allem an das Paar in ORLY, welches physisch zusammengehört, sich seelisch aber längst voneinander entfernt und in den Menschenmassen des Flughafens langsam verliert. Es ist kein agiler, ineinander übergehender Fluss von Bildern, sondern eine Reihe von stillstehenden Beobachtungen. Inmitten der Massen-Bewegungen eines Flughafens finden sich Horte der Ruhe, die mit Körpern gefüllt werden. Faszinierend an ORLY ist außerdem die fragmentarische Erzählweise. Man sieht zwei Menschen, die sich zufällig anfangen zu unterhalten, sich näherkommen und dann wieder auseinandergehen. Den ganzen Film durchziehen Momente der Zweisamkeit, die mit Großaufnahmen des Flughafens gepaart werden. Dabei ist er freier und amüsanter als andere Schanelec-Filme und geht durch seine dokumentarische Ausrichtung das sich durchziehende Thema Realismus direkter an. Dazu trägt zudem bei, dass sich ein Großteil der Dialoge auf Französisch abspielt.

Das Ansehen eines Schanelec-Films ist stets ein Vorgang der Orientierung. Man muss den Zugang in die langen Einstellungen und ihre Komposition finden und sich in den Film hineindenken. MEIN LANGSAMES LEBEN erzählt die Geschichten von verschiedenen Mittzwanzigern in Berlin, darunter auch die der Schriftstellerin Valerie. Der Realismus und die Darstellung des Alltäglichen durch kunstvolle Bilder entfaltet eine eigentümliche Kraft. Es sind nicht improvisierte Dialoge und wackelnde Kameras, die genutzt werden, um den Alltag darzustellen. Es sind die präzisen Dialoge, die klare Form und eine von Reinhold Vorschneider geführte, die Position des Beobachters einnehmende, Kamera. Sie zeigt ein Berlin, welches sich als melancholische Stadt, die aus einem Dämmerschlaf erwacht, darstellt.
In der ersten Szene des Films sitzt Valerie mit einer Freundin in einem Café, welches dem Zuschauer einen Anhaltspunkt zur narrativen Orientierung gibt. Sie sprechen darüber, was sie diesen Sommer tun werden. Minutenlang verharrt die Kamera gegenüber von den beiden und lauscht ihrem Gespräch. Beeindruckend ist, wie autonom die Kamera sich den Figuren gegenüber verhält. Sie bleibt einfach stehen, während die Dinge außerhalb des filmischen Rahmens geschehen. Sie müssen gar nicht gezeigt werden, der Film impliziert sie bereits und füllt die Leere des Bildes dann scheinbar wieder auf. Ähnlich ist es in Valeries Leben. Sie scheint vor sich hinzuleben, sich selten wirklich wohl in der Welt zu fühlen. Die Welt um sie herum dreht sich, doch sie scheint sich nicht mitdrehen zu wollen. Dies ist eine interessante Darstellung einer Depression, die den Tagen die Luft abschnürt.

Geradezu prädestiniert für diese Filme scheint Miriam Jakob zu sein. Im letzten Schanelec-Film DER TRAUMHAFTE WEG ist es ein Vergnügen ihr dabei zuzusehen, wie sie sich über Sprache und Körper artikulieren kann. Zugleich enthält der Filme eine der schönsten Szenen der letzten Kinojahre: Eine Frau, Theres, holt ihren Sohn von der Schule ab. Sie geht durch einen Wald und legt sich dort auf den Boden. Es geht hier nicht um ein Phantasma einer Figur, sondern der Film wird zu einer träumenden Phantasie. Überhaupt lassen diese Filme dem Zuschauer unglaublich viel Raum zum Nachdenken und Reflektieren. Die häufig auftretende Kritik lässt sich so vielleicht erklären. Womit man wieder bei der Orientierung wäre.
Orientierungslos ist auch die Fotografin Sophie in MARSEILLE. Von sich und der Welt enttäuscht reist sie für zehn Tage in die französische Küstenstadt. Wieder einmal ist die Stadt ein Thema. Die sommerliche Schönheit von Marseille, die in einer Großaufnahme zu erkennen ist, scheint der Figur der Sophie etwas Unbestimmtes zu geben. Sie unterhält sich mit anderen Menschen, macht Fotos und geht tanzen. Anders als in MEIN LANGSAMES LEBEN sind die Tanzszenen nicht wild und intensiv, sondern gleichen eher einem lauen Sommerabend. Sie sind geschmeidig, entspannt und wirken koordinierter. Und plötzlich gibt es wieder einen Orts- und Zeitwechsel. Sophie ist wieder in Berlin, im einsamen Berlin, mit seinen seltsamen S-Bahnen. Fast schon direkte visuelle Gegensätze sind zu erkennen. Wo sich die Kamera in Frankreich noch bewegte, ist sie nun fast durchgehend still. Und dann noch eine der Szenen, die diese Filme gut zusammenfasst. Sophie ist wieder in Marseille und ist offensichtlich überfallen worden. Wir sehen nur sie, wie sie der Polizei davon berichtet. Alles andere, bleibt uns überlassen. Hier löst sich die Emotion von seinem Träger und wird unserer Phantasie überlassen. Am Ende entfernt sich Sophia dann in einer wunderschönen Sequenz immer weiter von der Kamera bis sie kaum mehr zu erkennen ist. Man sieht und hört nur den Strand und das Meer, welche in dämmrigen Schein daliegen.

In vielen Schanelec-Filmen hört man während des Abspanns die Geräusche des letzten Bildes weiterlaufen. Sei es ein fußballspielendes Mädchen oder die leisen Wellen am Strand von Marseille, eine schöner als die andere. Der Film hallt nicht nur über den Abspann hinweg, sondern noch viel länger nach. Schanelec erschließt in ihren Filmen stets neue Ebenen und Formen des Denkens. Sie fordert den Zuschauer heraus, stimuliert sein Vorstellungsvermögen, ohne dabei zu offensichtliche Lösungswege vorzugeben und lässt ihn auf besonderer Weise als Subjekt am Film teilnehmen. Es gibt wenig besseres, was ein Film leisten kann. 

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