Meine
Faszination für die sogenannte Neue Berliner Schule entspringt vor allem
daraus, dass sie sich im Gegensatz zu vielen anderen Filmbewegungen, so schwer
in eine klare Form bringen lässt. Weder gibt es ein Manifest, irgendwelche
eigentümlichen Regeln oder sonst welche Voraussetzungen. Man hat es eigentlich
mit einer Ansammlung von Filmemachern zutun, die sich in ihrer jeweiligen
ästhetischen Prägung sehr unterschiedlich und gleichzeitig sehr einig zu sein
scheinen.
Angela Schanelec sagte letztens in einem sehr lesenswerten Interview
in der Cargo #33 :
„(…) Also kann auch ich als Teil einer Schule gesehen werden. Und es ist
hilfreich, um einen Ansatzpunkt zu finden, über meine Filme zu sprechen und zu
schreiben. Bei Der traumhafte Weg war
das auch, wenn es auftauchte, immer nur der Anfang. Es hat sich aber dann immer
davon gelöst.“ Es scheint mir der richtige Ansatz zu sein, im Gegensatz zu dem der
ARTE-Dokumentation „Die Berliner Nouvelle Vague“, die sich bis zuletzt nicht
von diesem Label lösen kann.
Die
Filme von Angela Schnanelec bieten ein immersives Filmerlebnis, einen Sog der
Bilder. Entgegen der Annahme, ihr Stil sei distanziert und kühl, affizieren
ihre Filme den Zuschauer in einer sehr speziellen Weise. Man denke vor allem an
das Paar in ORLY, welches physisch zusammengehört, sich seelisch aber längst
voneinander entfernt und in den Menschenmassen des Flughafens langsam verliert.
Es ist kein agiler, ineinander übergehender Fluss von Bildern, sondern eine
Reihe von stillstehenden Beobachtungen. Inmitten der Massen-Bewegungen eines
Flughafens finden sich Horte der Ruhe, die mit Körpern gefüllt werden.
Faszinierend an ORLY ist außerdem die fragmentarische Erzählweise. Man sieht
zwei Menschen, die sich zufällig anfangen zu unterhalten, sich näherkommen und
dann wieder auseinandergehen. Den ganzen Film durchziehen Momente der
Zweisamkeit, die mit Großaufnahmen des Flughafens gepaart werden. Dabei ist er
freier und amüsanter als andere Schanelec-Filme und geht durch seine
dokumentarische Ausrichtung das sich durchziehende Thema Realismus direkter an.
Dazu trägt zudem bei, dass sich ein Großteil der Dialoge auf Französisch
abspielt.
Das
Ansehen eines Schanelec-Films ist stets ein Vorgang der Orientierung. Man muss
den Zugang in die langen Einstellungen und ihre Komposition finden und sich in
den Film hineindenken. MEIN LANGSAMES LEBEN erzählt die Geschichten von
verschiedenen Mittzwanzigern in Berlin, darunter auch die der Schriftstellerin
Valerie. Der Realismus und die Darstellung des Alltäglichen durch kunstvolle
Bilder entfaltet eine eigentümliche Kraft. Es sind nicht improvisierte Dialoge
und wackelnde Kameras, die genutzt werden, um den Alltag darzustellen. Es sind
die präzisen Dialoge, die klare Form und eine von Reinhold Vorschneider
geführte, die Position des Beobachters einnehmende, Kamera. Sie zeigt ein
Berlin, welches sich als melancholische Stadt, die aus einem Dämmerschlaf
erwacht, darstellt.
In der
ersten Szene des Films sitzt Valerie mit einer Freundin in einem Café, welches
dem Zuschauer einen Anhaltspunkt zur narrativen Orientierung gibt. Sie sprechen
darüber, was sie diesen Sommer tun werden. Minutenlang verharrt die Kamera
gegenüber von den beiden und lauscht ihrem Gespräch. Beeindruckend ist, wie
autonom die Kamera sich den Figuren gegenüber verhält. Sie bleibt einfach
stehen, während die Dinge außerhalb des filmischen Rahmens geschehen. Sie
müssen gar nicht gezeigt werden, der Film impliziert sie bereits und füllt die
Leere des Bildes dann scheinbar wieder auf. Ähnlich ist es in Valeries Leben.
Sie scheint vor sich hinzuleben, sich selten wirklich wohl in der Welt zu
fühlen. Die Welt um sie herum dreht sich, doch sie scheint sich nicht mitdrehen
zu wollen. Dies ist eine interessante Darstellung einer Depression, die den
Tagen die Luft abschnürt.
Geradezu
prädestiniert für diese Filme scheint Miriam Jakob zu sein. Im letzten
Schanelec-Film DER TRAUMHAFTE WEG ist es ein Vergnügen ihr dabei zuzusehen, wie
sie sich über Sprache und Körper artikulieren kann. Zugleich enthält der Filme
eine der schönsten Szenen der letzten Kinojahre: Eine Frau, Theres, holt ihren
Sohn von der Schule ab. Sie geht durch einen Wald und legt sich dort auf
den Boden. Es geht hier nicht um ein Phantasma einer Figur, sondern der Film
wird zu einer träumenden Phantasie. Überhaupt lassen diese Filme dem Zuschauer
unglaublich viel Raum zum Nachdenken und Reflektieren. Die häufig auftretende
Kritik lässt sich so vielleicht erklären. Womit man wieder bei der Orientierung
wäre.
Orientierungslos
ist auch die Fotografin Sophie in MARSEILLE. Von sich und der Welt enttäuscht reist sie für zehn Tage in die französische Küstenstadt. Wieder einmal ist die
Stadt ein Thema. Die sommerliche Schönheit von Marseille, die in einer
Großaufnahme zu erkennen ist, scheint der Figur der Sophie etwas Unbestimmtes
zu geben. Sie unterhält sich mit anderen Menschen, macht Fotos und geht tanzen.
Anders als in MEIN LANGSAMES LEBEN sind die Tanzszenen nicht wild und intensiv,
sondern gleichen eher einem lauen Sommerabend. Sie sind geschmeidig, entspannt
und wirken koordinierter. Und plötzlich gibt es wieder einen Orts- und
Zeitwechsel. Sophie ist wieder in Berlin, im einsamen Berlin, mit seinen
seltsamen S-Bahnen. Fast schon direkte visuelle Gegensätze sind zu erkennen. Wo
sich die Kamera in Frankreich noch bewegte, ist sie nun fast durchgehend still.
Und dann noch eine der Szenen, die diese Filme gut zusammenfasst. Sophie ist
wieder in Marseille und ist offensichtlich überfallen worden. Wir sehen nur sie, wie
sie der Polizei davon berichtet. Alles andere, bleibt uns überlassen. Hier löst
sich die Emotion von seinem Träger und wird unserer Phantasie überlassen. Am
Ende entfernt sich Sophia dann in einer wunderschönen Sequenz immer weiter von
der Kamera bis sie kaum mehr zu erkennen ist. Man sieht und hört nur den Strand
und das Meer, welche in dämmrigen Schein daliegen.
In
vielen Schanelec-Filmen hört man während des Abspanns die Geräusche des letzten
Bildes weiterlaufen. Sei es ein fußballspielendes Mädchen oder die leisen
Wellen am Strand von Marseille, eine schöner als die andere. Der Film hallt
nicht nur über den Abspann hinweg, sondern noch viel länger nach. Schanelec
erschließt in ihren Filmen stets neue Ebenen und Formen des Denkens. Sie
fordert den Zuschauer heraus, stimuliert sein Vorstellungsvermögen, ohne dabei
zu offensichtliche Lösungswege vorzugeben und lässt ihn auf besonderer Weise
als Subjekt am Film teilnehmen. Es gibt wenig besseres, was ein Film leisten
kann.
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