„Rio Corgo“(Maya Kosa)
„Werd'
ich zum Augenblicke sagen:
Verweile doch! du bist so schön!
Dann magst du mich in Fesseln schlagen,
Dann will ich gern zugrunde gehn!“
Verweile doch! du bist so schön!
Dann magst du mich in Fesseln schlagen,
Dann will ich gern zugrunde gehn!“
(Faust
I, Studierzimmer II)
Die schönste Szene in „Rio Corgo“
von Maya Kosa ist der Moment, in dem der alte Silva das Dorf, in dem der größte
Teil des Films spielt, verlässt. Die Kamera fährt in einer langsamen Fahrt
durch das ganze Dorf hindurch und verschwindet schließlich hinter der Kurve auf
der Straße, durch die Silva zu Beginn gekommen ist. An dieser Stelle hätte der
Film ein in sich schlüssiges Ende bekommen. Aber es geht weiter.
Die Geschichte von Silva, einem
älteren Herrn, der in einem kleinen portugiesischen Dorf seinen Seelenfrieden
sucht, dort aber nur von einem jungen Mädchen akzeptiert, bzw. beachtet wird,
funktioniert nicht über klassische Erzählweisen, sondern versucht durch seine
Bildsprache, eine unabhängige narrative Instanz zu schaffen. Wirkt dies am
Anfang eher hölzern und ungeschickt, gelingt es dem Film im zweiten Drittel,
sich komplett in sich selbst zu verlieren.
Die Freiheit der filmischen
Bewegung wird hier für ca. 30 schöne Minuten zum obersten Prinzip. Die
verschiedenen Perspektiven auf den filmischen Raum “Dorf“ werden interessant
untersucht, man selbst verliert sich in diesem Ort. Die nicht sonderlich
ausgeprägten schauspielerischen Fähigkeiten Silvas werden dadurch irrelevant.
Er ist bloß eine puppenartige Figur in der ästhetischen Welt des Films. Seine
freundschaftlich anmutende Beziehung zu dem jungen Mädchen ist nur temporär,
alles zieht an ihm vorüber. Er kommt zu Beginn des Films aus dem Nichts, und
(eigentlich) verschwindet er auch wieder im Nichts. Wäre da nicht der
verzweifelte Wunsch des Films, doch noch irgendetwas zu schaffen, was man
rational erklären kann. Stimmungslose und merkwürdig inszenierte Szenen, die
einen religiösen Aspekt in den Film einbringen wollen, treten auf einmal auf.
Nach einem eher
schleppenden Beginn entsteht für einen Moment eine geradezu magische Stimmung
und mit der eingangs beschriebenen Kamerafahrt hätte diese Stimmung auch
erhalten werden können. Doch Kosa entscheidet sich anders, Silva wacht in einem
Krankenhaus auf und mit einem Mal bricht alles zusammen. Die Magie verschwindet
- als hätte sich herausgestellt, dass der Zauberer in Wirklich bloß ein
Scharlatan ist.
Es siegt die simple Erklärung über
die Assoziation, eine genuin rationale Denkweise bleibt letztlich dann doch das
beherrschende Prinzip, die Schönheit des Fabulierens wird im Film nur
angedeutet.
„Die Kommune“(Thomas Vinterberg)
Thomas Vinterberg hat in den
letzten Jahren eine durchaus überraschende Entwicklung genommen. Als jüngster
Absolvent der Danske Filmskole in Kopenhagen war er 1995 Mitbegründer der bis
heute umstrittenen Dogma 95-Bewegung und erschuf mit „Das Fest“ den ersten
Dogma-Film. Nach 2005 und der damit einhergehenden Lockerung der Dogma-Regeln,
geriet Vinterberg ein wenig in Vergessenheit und seinen Filmen war kein großer Erfolg
vergönnt. Endgültig ändern tat sich das 2012 mit „Die Jagd“ und 2015 mit „Am
grünen Rand der Welt“, über den wir uns an anderer Stelle
bereits ausgelassen haben. Er hat sich nun eine gute Stellung unter den
europäischen Filmemachern erarbeitet und seine Filme sind bzw. waren weit
weniger umstritten, als z.B: die eines Lars von Trier. Sein neuer Film „Die
Kommune“ erzählt die Geschichte des Akademiker-Ehepaars Anna und Erik im
Dänemark der 70er-Jahre. Anna langweilt ihre Ehe und die beiden beschließen
gemeinsam mit einigen Freunden eine Kommune in ihrem großen Haus zu gründen.
Die Kommune,
eigentlich ein klassisches Bild einer antibürgerlichen Lebensform, hat hierbei
nur im Ansatz etwas mit seiner ursprünglichen Grundidee zu tun. Viel zu bürgerlich
und “normal“ sind ihre Bewohner mittlerweile.
Möchte man diesen
Film nun sehr einfach runterbrechen, dann geht es hierbei um eine simple
Liebesgeschichte. Erik verliebt sich in eine seiner Studentinnen und diese
zieht dann ebenfalls in die Kommune ein. Doch die Konflikte, die in diesem Film
verhandelt werden, sind wesentlich tiefschürfender und weitreichender, als es
so mancher Zuschauer im Kino wahrhaben wollte. Schon zu Beginn des Films wird
eine seltsame Stimmung erzeugt. Auf den ersten Blick scheinen die beiden
zusammen mit ihrer Tochter Freya eine einigermaßen glückliche Familie zu
bilden. Schaut man genauer hin, erkennt man bereits in den ersten Szenen in dem
großen Haus, das Erik geerbt hat, dass hier etwas Grundlegendes nicht stimmt.
Wenige Minuten später wird diese Annahme bestätigt. Anna langweilt sich in
ihrer Beziehung und strebt nach einem aufregenderen Leben. Widerwillig stimmt
Erik zu, eine Kommune zu gründen. Die dadurch entstehende Enge und die viele
Zeit, die die Bewohner miteinander verbringen, beschleunigt einige
unausweichliche Vorgänge.
Im Laufe des Films
verschiebt sich der Fokus von Erik auf Anna. Diese versucht verzweifelt ihre
sehr idealistische Vorstellung vom Zusammenleben vor sich und der Welt zu
verteidigen, indem sie vorschlägt, dass die neue Freundin von Erik in die
Kommune einzieht. Natürlich muss dies scheitern, doch für Anna ist es ein
langer Weg bis zu der finalen Erkenntnis, dass sie nicht damit leben kann. An
dieser Stelle zeigt sich auch, auf welch wackligen Steinen, das soziale Gerüst
der Wohngemeinschaft gebaut ist. Für negative Gefühle oder gar offen
ausgetragene Konflikte ist kein Platz im Bild dieser Leute, ihre
Konfliktfähigkeit reicht gerade einmal so weit, einen Streit um einen Kasten
Bier auszutragen. Gerade dieses Aussprechen wird aber dringend benötigt.
Die filmische Situation des am Anfang sehr großen wirkenden Hauses, wird durch
sehr geschickt gefilmte Einstellungen auf eine sich langsam breitmachende Enge
reduziert. Jeder, der bereits bei Regen einige Wochen mit Bekannten im Urlaub
verbracht hat, kann sich genau diese Situation sehr gut vorstellen. Vinterberg
vermeidet, ähnlich wie in „Die Jagd“ große ästhetische Experimente, er ist ganz
bei seinen Figuren und ihren Handlungen. Nichtsdestotrotz kommen Erinnerungen
an “Das Fest“ auf.
Die Bewohner dieser Kommune, größtenteils alte Freunde der beiden, eint, dass sie einer Zeit nachtrauern, die für sie schon längst vorbei ist. Sie betrinken sich zusammen und führen sich so auf, als könnten sie nicht akzeptieren, dass sie mittlerweile erwachsen sind. So muten auch die Sitzungen der Kommune geradezu grotesk an. Wenn jeder gefragt wird, wie er sich fühle, versichern sich alle gegenseitig, dass es ihnen gut geht, dass sie alle genau das richtige tun. Sie führen Abstimmungen durch, die einen basisdemokratischen Anschein haben, im entscheidenden Moment, als es darum geht eine wirklich wichtige Entscheidung zu treffen, enthalten sich alle. Die finale Entscheidung liegt auf den Schultern der Tochter.
Wie so oft sind es
also die Kinder, die unter ihren Eltern leiden. Der herzkranke Sohn eines
Bewohnerpärchens ist dabei ein sehr plakatives Symbol für den Lebensstil der
Erwachsenen, der so gar nicht zu dem physischen Zustand des Jungen passt. Die
tragischste Rolle hat jedoch die 14-jährige Tochter von Erik und Anna. Sie
steckt mitten in einer Phase voller Unsicherheit und Sehnsüchte. Diese
Unsicherheit wird durch das Verhalten ihrer Eltern verstärkt. Kommt ihr am
Anfang die Idee der Kommune noch wie ein lustiges Kinderspiel vor, sieht man
ihr mehr und mehr an, dass sie überhaupt nicht mit dem unpassenden Verhalten,
sowie dem seltsamen Bild von Liebe der Erwachsenen zurechtkommt. Sie führt eine
rein körperliche Beziehung, die aber dem Bild von Liebe entspricht, das ihr vermittelt
wurde. Freya wird in einer sehr starken Szene von der gesamten Kommune dazu
gezwungen, sich zu entscheiden, wer die Kommune verlässt, sie muss ihre Mutter
vor dem Durchdrehen beschützen. Und all dies mit 14 Jahren. Sie ist die Figur,
die am meisten Schmerz erleidet und auch am Ende keine Chance mehr hat, erlöst
zu werden. Erlösung erfährt am Ende nur Anna. In dem Moment, in dem ihr klar
wird, dass sie ihr idealistisches Weltbild nicht mehr länger aufrechterhalten
kann und ihr Herz doch die Überhand gewinnt, kann man ein kleines Lächeln auf
ihrem Gesicht erahnen. Sie geht in Würde und mit dem Blick nach vorn.
„Die Kommune“
erzählt im Grundsatz von einer Ehekrise und ihren Folgen. Die Kommune bildet
dafür allerdings nicht nur den Rahmen, sondern beschleunigt Entwicklungen, die
ohnehin eingetreten wären.
„Mahkdoumin“(Maher Abi Samra)
In einem kurzen Text zum letzten Joachim Trier Film „Louder than Bombs“
beendete der Filmkritker Siegfrid Bendix seine Ausführungen mit dem schönen Satz:
„(…) ächzt unter dem Gewicht seiner eigenen Ambitionen-scheitert aber immerhin
nicht uninteressant“.Unter diesem Motto steht auch der Film „Makdhoumin“ (in
der englischen Übersetzung: „A Maid for each“).
„Mahkdoumin“ von Maher Abi Samra ist ein recht
ambivalenter Film. Er setzt sich mit der Rolle von Haushälterinnen im Libanon
auseinander, indem er den Prozess des „Erwerbs“ einer Haushaltskraft in einer
Vermittleragentur filmt.
Einerseits sieht man hier das
Ergebnis einer sehr akribischen Recherche eines Themas, das dem Regisseur
wirklich am Herzen liegt. Jedoch wird schon relativ schnell deutlich, unter
welchen menschenunwürdigen Bedingungen, diese Menschen arbeiten müssen. Die
Verbindung zum Umgang mit Arbeitskräften in Ländern, wie z.B. dem Katar, sind
unübersehbar. Aber mehr entwickelt sich leider nicht. Im Nachgespräch erzählte
er, dass er „die Idee für den Film seit dem Jahr 2000 hatte“. Vielleicht liegt
auch an dieser Stelle der Hund begraben. Er verliert sich zu sehr in seinem
zweifelsohne sehr interessanten Thema und es gelingt ihm nicht mehr, diesem
sehr politischen Film seine eigenen Lösungsideen mitzugeben. Er scheint sich
einer Idee des Dokumentarfilms verschrieben zu haben, die die reine Beobachtung
über die eigenen Ansichten stellt. Doch leider zieht er auch dieses Konzept
nicht vollkommen durch und streut einzelne, von ihm vorgelesene Textfragmente
ein, mit denen er dann doch versucht, dem Film eine explizite, politische
Implikation zu geben.
Die risikobehaftete Idee, nur die
Vorgänge innerhalb der Agentur zu zeigen und beinahe vollständig auf die Frauen
zu verzichten, geht ebenfalls nur bedingt auf. Der Fokus wird ganz auf die
Nüchternheit des Systems gerichtet. Dabei wird vor allem der Chef der Agentur,
ein absolut verachtenswerter Mann, überinszeniert. Selbstverständlich steckt
hinter allem die Idee, dass sich der Zuschauer selbst eine Meinung bilden soll.
Das ist jedoch eine etwas einfach Denkweise. Wirklich in Erinnerung bleibt vor
allem die wirklich sehr beeindruckende Szene, in der der Chef der Agentur mit
einem Filzstift an seinem Bürofenster erläutert, woher und wie die Damen ins
Land kommen. Die Szene hat etwas von einer Logistik-Vorlesung. Der ganze
Abscheu, den der Regisseur gegenüber dem System empfindet, wird hier deutlich.
Zuletzt wird dann aus der sehr
nüchternen Erzählung plötzlich eine emotionale, als ein Freund des Regisseurs,
über den Selbstmord seiner Haushälterin berichtet. Vielleicht fasst diese
Wendung den Film ganz gut zusammen. Er ist unstet und unentschlossen, aber auf
eine gewisse Art und Weise dann doch sehenswert.
(Anmerkung: "Mahkdoumin" hat am 21. Februar den Friedensfilmpreis der Heinrich-Böll Stiftung erhalten. An dieser Stelle ist die Laudatio zu finden)
(Anmerkung: "Mahkdoumin" hat am 21. Februar den Friedensfilmpreis der Heinrich-Böll Stiftung erhalten. An dieser Stelle ist die Laudatio zu finden)
„Les premiers, les derniers“(Bouli Lanners)
Ein netter, kleiner französischer
Film, der eine etwas verworrene Geschichte, irgendwo zwischen „True Detective“
und „No Country for old men“, erzählt. Auch ästhetisch ist der Film sehr von
diesen beiden Werken beeinflusst, ohne aber zu sehr in einen Abklatsch davon zu
verfallen. Schön zu sehen, dass es auch französische Filmemacher (mal abgesehen
von den Dardenne-Brüdern) gibt, die versuchen etwas Anderes als eine
rassistische und schwachsinnige Komödie zu drehen. Einige nette filmische
Einfälle, eine angenehm ruhige und rhythmische Erzählweise und solide bis gute
Darstellerleistungen machen „Les Premiers, les derniers“ zu einem zu der späten
Stunde, zu der ich ihn sehen durfte, sehr passenden Film.
Dem neuen Film von Dominik Graf und
Johannes Sievert „Verfluchte Liebe Deutscher Film“, werde ich in den nächsten
Tagen noch einen eigenen Text widmen. Nur so viel vorweg: „Es gibt in Deutschland
eine unheimlich große Arroganz gegenüber kommerziellen Filmen“ (Dominik Graf im
Nachgespräch der Premiere)
Dieser Text wurde von Luca Schepers(@ArafatssSohn) verfasst.
Dieser Text wurde von Luca Schepers(@ArafatssSohn) verfasst.
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