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Samstag, 27. Februar 2016

Berlinale 2016

Ich konnte in diesem Jahr für ein Wochenende zu den 66. Internationalen Filmfestspielen Berlin reisen und möchte an dieser Stelle ein paar Gedanken zu den gesehenen Filmen formulieren:


Rio Corgo“(Maya Kosa)
„Werd' ich zum Augenblicke sagen:
Verweile doch! du bist so schön!
Dann magst du mich in Fesseln schlagen,
Dann will ich gern zugrunde gehn!“

(Faust I, Studierzimmer II)

Die schönste Szene in „Rio Corgo“ von Maya Kosa ist der Moment, in dem der alte Silva das Dorf, in dem der größte Teil des Films spielt, verlässt. Die Kamera fährt in einer langsamen Fahrt durch das ganze Dorf hindurch und verschwindet schließlich hinter der Kurve auf der Straße, durch die Silva zu Beginn gekommen ist. An dieser Stelle hätte der Film ein in sich schlüssiges Ende bekommen. Aber es geht weiter.

Die Geschichte von Silva, einem älteren Herrn, der in einem kleinen portugiesischen Dorf seinen Seelenfrieden sucht, dort aber nur von einem jungen Mädchen akzeptiert, bzw. beachtet wird, funktioniert nicht über klassische Erzählweisen, sondern versucht durch seine Bildsprache, eine unabhängige narrative Instanz zu schaffen. Wirkt dies am Anfang eher hölzern und ungeschickt, gelingt es dem Film im zweiten Drittel, sich komplett in sich selbst zu verlieren.

Die Freiheit der filmischen Bewegung wird hier für ca. 30 schöne Minuten zum obersten Prinzip. Die verschiedenen Perspektiven auf den filmischen Raum “Dorf“ werden interessant untersucht, man selbst verliert sich in diesem Ort. Die nicht sonderlich ausgeprägten schauspielerischen Fähigkeiten Silvas werden dadurch irrelevant. Er ist bloß eine puppenartige Figur in der ästhetischen Welt des Films. Seine freundschaftlich anmutende Beziehung zu dem jungen Mädchen ist nur temporär, alles zieht an ihm vorüber. Er kommt zu Beginn des Films aus dem Nichts, und (eigentlich) verschwindet er auch wieder im Nichts. Wäre da nicht der verzweifelte Wunsch des Films, doch noch irgendetwas zu schaffen, was man rational erklären kann. Stimmungslose und merkwürdig inszenierte Szenen, die einen religiösen Aspekt in den Film einbringen wollen, treten auf einmal auf.

Nach einem eher schleppenden Beginn entsteht für einen Moment eine geradezu magische Stimmung und mit der eingangs beschriebenen Kamerafahrt hätte diese Stimmung auch erhalten werden können. Doch Kosa entscheidet sich anders, Silva wacht in einem Krankenhaus auf und mit einem Mal bricht alles zusammen. Die Magie verschwindet - als hätte sich herausgestellt, dass der Zauberer in Wirklich bloß ein Scharlatan ist.

Es siegt die simple Erklärung über die Assoziation, eine genuin rationale Denkweise bleibt letztlich dann doch das beherrschende Prinzip, die Schönheit des Fabulierens wird im Film nur angedeutet. 



„Die Kommune“(Thomas Vinterberg)

Thomas Vinterberg hat in den letzten Jahren eine durchaus überraschende Entwicklung genommen. Als jüngster Absolvent der Danske Filmskole in Kopenhagen war er 1995 Mitbegründer der bis heute umstrittenen Dogma 95-Bewegung und erschuf mit „Das Fest“ den ersten Dogma-Film. Nach 2005 und der damit einhergehenden Lockerung der Dogma-Regeln, geriet Vinterberg ein wenig in Vergessenheit und seinen Filmen war kein großer Erfolg vergönnt. Endgültig ändern tat sich das 2012 mit „Die Jagd“ und 2015 mit „Am grünen Rand der Welt“, über den wir uns an anderer Stelle bereits ausgelassen haben. Er hat sich nun eine gute Stellung unter den europäischen Filmemachern erarbeitet und seine Filme sind bzw. waren weit weniger umstritten, als z.B: die eines Lars von Trier. Sein neuer Film „Die Kommune“ erzählt die Geschichte des Akademiker-Ehepaars Anna und Erik im Dänemark der 70er-Jahre. Anna langweilt ihre Ehe und die beiden beschließen gemeinsam mit einigen Freunden eine Kommune in ihrem großen Haus zu gründen.

Die Kommune, eigentlich ein klassisches Bild einer antibürgerlichen Lebensform, hat hierbei nur im Ansatz etwas mit seiner ursprünglichen Grundidee zu tun. Viel zu bürgerlich und “normal“ sind ihre Bewohner mittlerweile.

Möchte man diesen Film nun sehr einfach runterbrechen, dann geht es hierbei um eine simple Liebesgeschichte. Erik verliebt sich in eine seiner Studentinnen und diese zieht dann ebenfalls in die Kommune ein. Doch die Konflikte, die in diesem Film verhandelt werden, sind wesentlich tiefschürfender und weitreichender, als es so mancher Zuschauer im Kino wahrhaben wollte. Schon zu Beginn des Films wird eine seltsame Stimmung erzeugt. Auf den ersten Blick scheinen die beiden zusammen mit ihrer Tochter Freya eine einigermaßen glückliche Familie zu bilden. Schaut man genauer hin, erkennt man bereits in den ersten Szenen in dem großen Haus, das Erik geerbt hat, dass hier etwas Grundlegendes nicht stimmt. Wenige Minuten später wird diese Annahme bestätigt. Anna langweilt sich in ihrer Beziehung und strebt nach einem aufregenderen Leben. Widerwillig stimmt Erik zu, eine Kommune zu gründen. Die dadurch entstehende Enge und die viele Zeit, die die Bewohner miteinander verbringen, beschleunigt einige unausweichliche Vorgänge.

Im Laufe des Films verschiebt sich der Fokus von Erik auf Anna. Diese versucht verzweifelt ihre sehr idealistische Vorstellung vom Zusammenleben vor sich und der Welt zu verteidigen, indem sie vorschlägt, dass die neue Freundin von Erik in die Kommune einzieht. Natürlich muss dies scheitern, doch für Anna ist es ein langer Weg bis zu der finalen Erkenntnis, dass sie nicht damit leben kann. An dieser Stelle zeigt sich auch, auf welch wackligen Steinen, das soziale Gerüst der Wohngemeinschaft gebaut ist. Für negative Gefühle oder gar offen ausgetragene Konflikte ist kein Platz im Bild dieser Leute, ihre Konfliktfähigkeit reicht gerade einmal so weit, einen Streit um einen Kasten Bier auszutragen. Gerade dieses Aussprechen wird aber dringend benötigt. Die filmische Situation des am Anfang sehr großen wirkenden Hauses, wird durch sehr geschickt gefilmte Einstellungen auf eine sich langsam breitmachende Enge reduziert. Jeder, der bereits bei Regen einige Wochen mit Bekannten im Urlaub verbracht hat, kann sich genau diese Situation sehr gut vorstellen. Vinterberg vermeidet, ähnlich wie in „Die Jagd“ große ästhetische Experimente, er ist ganz bei seinen Figuren und ihren Handlungen. Nichtsdestotrotz kommen Erinnerungen an “Das Fest“ auf.


Die Bewohner dieser Kommune, größtenteils alte Freunde der beiden, eint, dass sie einer Zeit nachtrauern, die für sie schon längst vorbei ist. Sie betrinken sich zusammen und führen sich so auf, als könnten sie nicht akzeptieren, dass sie mittlerweile erwachsen sind. So muten auch die Sitzungen der Kommune geradezu grotesk an. Wenn jeder gefragt wird, wie er sich fühle, versichern sich alle gegenseitig, dass es ihnen gut geht, dass sie alle genau das richtige tun. Sie führen Abstimmungen durch, die einen basisdemokratischen Anschein haben, im entscheidenden Moment, als es darum geht eine wirklich wichtige Entscheidung zu treffen, enthalten sich alle. Die finale Entscheidung liegt auf den Schultern der Tochter.

Wie so oft sind es also die Kinder, die unter ihren Eltern leiden. Der herzkranke Sohn eines Bewohnerpärchens ist dabei ein sehr plakatives Symbol für den Lebensstil der Erwachsenen, der so gar nicht zu dem physischen Zustand des Jungen passt. Die tragischste Rolle hat jedoch die 14-jährige Tochter von Erik und Anna. Sie steckt mitten in einer Phase voller Unsicherheit und Sehnsüchte. Diese Unsicherheit wird durch das Verhalten ihrer Eltern verstärkt. Kommt ihr am Anfang die Idee der Kommune noch wie ein lustiges Kinderspiel vor, sieht man ihr mehr und mehr an, dass sie überhaupt nicht mit dem unpassenden Verhalten, sowie dem seltsamen Bild von Liebe der Erwachsenen zurechtkommt. Sie führt eine rein körperliche Beziehung, die aber dem Bild von Liebe entspricht, das ihr vermittelt wurde. Freya wird in einer sehr starken Szene von der gesamten Kommune dazu gezwungen, sich zu entscheiden, wer die Kommune verlässt, sie muss ihre Mutter vor dem Durchdrehen beschützen. Und all dies mit 14 Jahren. Sie ist die Figur, die am meisten Schmerz erleidet und auch am Ende keine Chance mehr hat, erlöst zu werden. Erlösung erfährt am Ende nur Anna. In dem Moment, in dem ihr klar wird, dass sie ihr idealistisches Weltbild nicht mehr länger aufrechterhalten kann und ihr Herz doch die Überhand gewinnt, kann man ein kleines Lächeln auf ihrem Gesicht erahnen. Sie geht in Würde und mit dem Blick nach vorn.

„Die Kommune“ erzählt im Grundsatz von einer Ehekrise und ihren Folgen. Die Kommune bildet dafür allerdings nicht nur den Rahmen, sondern beschleunigt Entwicklungen, die ohnehin eingetreten wären.



„Mahkdoumin“(Maher Abi Samra)

In einem kurzen Text zum letzten Joachim Trier Film „Louder than Bombs“ beendete der Filmkritker Siegfrid Bendix seine Ausführungen mit dem schönen Satz: „(…) ächzt unter dem Gewicht seiner eigenen Ambitionen-scheitert aber immerhin nicht uninteressant“.Unter diesem Motto steht auch der Film „Makdhoumin“ (in der englischen Übersetzung: „A Maid for each“).

„Mahkdoumin“ von Maher Abi Samra ist ein recht ambivalenter Film. Er setzt sich mit der Rolle von Haushälterinnen im Libanon auseinander, indem er den Prozess des „Erwerbs“ einer Haushaltskraft in einer Vermittleragentur filmt.

Einerseits sieht man hier das Ergebnis einer sehr akribischen Recherche eines Themas, das dem Regisseur wirklich am Herzen liegt. Jedoch wird schon relativ schnell deutlich, unter welchen menschenunwürdigen Bedingungen, diese Menschen arbeiten müssen. Die Verbindung zum Umgang mit Arbeitskräften in Ländern, wie z.B. dem Katar, sind unübersehbar. Aber mehr entwickelt sich leider nicht. Im Nachgespräch erzählte er, dass er „die Idee für den Film seit dem Jahr 2000 hatte“. Vielleicht liegt auch an dieser Stelle der Hund begraben. Er verliert sich zu sehr in seinem zweifelsohne sehr interessanten Thema und es gelingt ihm nicht mehr, diesem sehr politischen Film seine eigenen Lösungsideen mitzugeben. Er scheint sich einer Idee des Dokumentarfilms verschrieben zu haben, die die reine Beobachtung über die eigenen Ansichten stellt. Doch leider zieht er auch dieses Konzept nicht vollkommen durch und streut einzelne, von ihm vorgelesene Textfragmente ein, mit denen er dann doch versucht, dem Film eine explizite, politische Implikation zu geben. 

Die risikobehaftete Idee, nur die Vorgänge innerhalb der Agentur zu zeigen und beinahe vollständig auf die Frauen zu verzichten, geht ebenfalls nur bedingt auf. Der Fokus wird ganz auf die Nüchternheit des Systems gerichtet. Dabei wird vor allem der Chef der Agentur, ein absolut verachtenswerter Mann, überinszeniert. Selbstverständlich steckt hinter allem die Idee, dass sich der Zuschauer selbst eine Meinung bilden soll. Das ist jedoch eine etwas einfach Denkweise. Wirklich in Erinnerung bleibt vor allem die wirklich sehr beeindruckende Szene, in der der Chef der Agentur mit einem Filzstift an seinem Bürofenster erläutert, woher und wie die Damen ins Land kommen. Die Szene hat etwas von einer Logistik-Vorlesung. Der ganze Abscheu, den der Regisseur gegenüber dem System empfindet, wird hier deutlich.

Zuletzt wird dann aus der sehr nüchternen Erzählung plötzlich eine emotionale, als ein Freund des Regisseurs, über den Selbstmord seiner Haushälterin berichtet. Vielleicht fasst diese Wendung den Film ganz gut zusammen. Er ist unstet und unentschlossen, aber auf eine gewisse Art und Weise dann doch sehenswert.
(Anmerkung: "Mahkdoumin" hat am 21. Februar den Friedensfilmpreis der Heinrich-Böll Stiftung erhalten. An dieser Stelle ist die Laudatio zu finden)


„Les premiers, les derniers“(Bouli Lanners)


Ein netter, kleiner französischer Film, der eine etwas verworrene Geschichte, irgendwo zwischen „True Detective“ und „No Country for old men“, erzählt. Auch ästhetisch ist der Film sehr von diesen beiden Werken beeinflusst, ohne aber zu sehr in einen Abklatsch davon zu verfallen. Schön zu sehen, dass es auch französische Filmemacher (mal abgesehen von den Dardenne-Brüdern) gibt, die versuchen etwas Anderes als eine rassistische und schwachsinnige Komödie zu drehen. Einige nette filmische Einfälle, eine angenehm ruhige und rhythmische Erzählweise und solide bis gute Darstellerleistungen machen „Les Premiers, les derniers“ zu einem zu der späten Stunde, zu der ich ihn sehen durfte, sehr passenden Film.



Dem neuen Film von Dominik Graf und Johannes Sievert „Verfluchte Liebe Deutscher Film“, werde ich in den nächsten Tagen noch einen eigenen Text widmen. Nur so viel vorweg: „Es gibt in Deutschland eine unheimlich große Arroganz gegenüber kommerziellen Filmen“ (Dominik Graf im Nachgespräch der Premiere)

Dieser Text wurde von Luca Schepers(@ArafatssSohn) verfasst.

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