Das 29. Internationalen Filmfest in
Braunschweig ist Geschichte. Viele Picknickkörbe sind im Kino geleert worden,
an unpassenden Stellen wurde gelacht und wir haben uns trotzdem einige Filme
angesehen und wollen selbstverständlich darüber berichten. Außerdem haben wir
dieses Mal einen Gastautor gewinnen können.
Dearest – Peter
Chan
David: Sehr souverän inszeniertes Entführungsdrama aus Hongkong,
dass sich emotional packend (auch wenn das natürlich ein eher abschreckendes
Attribut für einen Film ist) mit der scheinbar sehr akuten Problematik von
Kindesentführungen und -verkäufen in Hongkong und China auseinandersetzt.
Ziemlich spannend erzählt und mit einem sehr schönen Ende, ein wahrlich runder
Film, wenn auch vielleicht etwas zu lang und an einigen Stellen nicht gänzlich
befreit von sehr plakativen Emotionalisierungsversuchen, jedoch als Familien-
und Beziehungsdrama gut geglückt.
Anomalisa-Charlie Kaufmann
Luca: Der neue Film von Charlie Kaufmann hat genau diese
Schwierigkeiten auch, nur wird hier alles noch schlimmer durch die Tatsache,
dass die Figuren bloß animierte Puppen sind. (Wesentlich schöner und
interessanter ist übrigens das Puppentheater-Projekt von Giselle
Vienne, welches sie in diesem wunderbaren Interview mit Deutschlandradiokultur
vorstellt: http://www.deutschlandradiokultur.de/choreografin-gisele-vienne-warum-spielen-sie-gerne-mit.970.de.html?dram:article_id=332907) Erwähnen sollte man noch,
dass alle Frauen in diesem Film die gleiche Stimme haben. Was theoretisch als
halbwegs passende Metapher für die Entfremdung von seiner Umwelt durchgehen
könnte, entwickelt sich in diesem Film zu einer mittelschweren Katastrophe, da
sich die Stimmen trotz allem ein wenig unterscheiden und diese Tatsache beinahe
überhaupt nicht thematisiert wird. Es wirkt beinahe so, als ob hier jemand
Kafkas „Das Schloss“ gelesen hat. Denn genauso wirkt der Film. Er zeigt viele
recht surreale Szenen, ein Individuum, das sich in der Welt nicht mehr
zurechtfindet. Doch in den Momenten, in denen der Film dies nicht nur andeutet,
sondern auf den Punkt bringen möchte, zerbricht er daran. „Anomalisa“ mag
technisch recht beeindruckend sein, aber im Endeffekt hat er extrem wenig zu
bieten. Er nutzt seine visuellen Möglichkeiten in keiner Weise adäquat. Die
großartige Sendung „Shaun das Schaaf“ nutzt die Möglichkeiten des Stop-Motion
wesentlich effektiver. Der Film gefällt sich viel zu sehr darin, dass er
angeblich die große Frage nach dem Sinn des Lebens behandelt. „Anomalisa“
scheitert jedoch grandios an diesem Vorhaben.
David: Im Vorfeld von mir
eigentlich als eines der größten Highlights meines Festivalprogramms erwartet,
enttäuschte der neue Kaufman-Film außerordentlich. Die (ästhetischen?) Vorteile
der Stop-Motion-Puppen aus dem 3D-Drucker im Vergleich zu herkömmlichen
Stop-Motion-Figuren erschlossen sich bis zum Ende nicht, inhaltlich bewegt sich
ANOMALISA weitesgehend auf Teenagerprosa-Niveau – die Einsamkeit des Menschen
angesichts der modernen Gesellschaft, soziale Entfremdung und die Suche nach
dem Menschen für den Rest des Lebens wurden schon weit weniger klischeebehaftet
und anrührender verhandelt als in diesem Film, der scheinbar jeden außer meiner
Wenigkeit bis ins Innersten berührt zu haben scheint. Aber das war bei HER ja
auch schon so – konnte ich auch nicht verstehen. (ANOMALISA basiert allerdings
auf einem Theaterstück und zumindest dieses stelle ich mir durchaus reizvoll
vor).
Oblivion Season –
Abbas Rafei
David: Auch so ein Film, der mich relativ ratlos zurückließ. Die
Geschichte rund um eine muslimische Frau, die nach einem Unfall ihres Mannes
für ihren Lebensunterhalt aufkommen muss, bietet einiges an politischer Brisanz
und die Beziehung zwischen dem gewalttätigen Mann und seiner aufopfernden Frau,
die von seiner Familie nicht akzeptiert wird, ist tatsächlich sensibel
aufbereitet. Jedoch nimmt der Film gegen Ende eine etwas merkwürdige Wendung,
die sich durchaus als Bestätigung der Ordnung zwischen Mann und Frau lesen
lässt, sowie den Frauen ein Interesse an der Aufrechterhaltung des
Zwangsverhältnisses zuschreibt. Zwiespältig.
Footnote – Joseph
Cedar
David: Gut geschriebene Familienkomödie aus Israel, die für ihr
Drehbuch auch bei den Filmfestspielen in Cannes ausgezeichnet wurde. Angenehmerweise
bemüht sich Joseph Cedar nach Kräften, seine Komödie, quasi als Antithese zu
vielen Hollywood- und European-Arthouse-Komödie der letzten Jahre, auch
wirklich nach einem Kinofilm aussehen zu lassen, gönnt sich allerlei visuelle
Spielereien und hat einige wirklich gute Witze zu bieten. "Footnote"
ist definitiv interessanter, lustiger und schlicht besser als das Gros der
(größtenteils grauenhaften) Arthouse-Familienkomödien der letzte Jahre.
Tsili-Amos Gitai
Luca: Einen Film über den Holocaust und seine Folgen zu
machen, dürfte eine der schwierigsten Aufgaben sein, die es gibt. Noch
schwieriger ist es allerdings, einen guten Film über den Holocaust zu machen.
Genau das ist dem großen israelischen Regisseur Amos Gitai gelungen. Er zeigt
den Großteil des Films seine beiden Hauptdarsteller mitten im Wald, wie sie
sich auf der Flucht vor den Nazis im Unterholz verstecken. Die Inszenierung des
Films ist extrem minimalistisch und bis kurz vor Ende des Films bleiben beide
in einer Mulde im Unterholz versteckt. Diese Inszenierung ist jedoch keinem
Selbstzweck geschuldet, sondern erzeugt eine extrem unangenehme und intensive
Atmosphäre. Es zeigt in eindrücklichen Bildern und ohne viele Worte, wie
unvorstellbar ein solches Leben sein muss. Tsili muss tagelang ohne Essen und
Trinken auskommen, wird von einem fremden Mann vergewaltigt und im Hintergrund
hört man immer wieder die leisen Geräusche des Krieges. Durch die sehr
physische Inszenierung, gelingt Gitai ein sehr besonderes Gefühl beim Zuschauer
zu erzeugen. Es schaudert einen, wenn man dabei zusehen muss, wie sehr diese Menschen
leiden. Allerdings ergötzt er sich auch nicht am Leiden der Menschen, sondern
macht deutlich, dass man sich hierbei schlecht fühlen soll. Tsili steht dabei
für eines von vielen Opfern des größten Verbrechens der Menschheitsgeschichte.
Und Filme, wie dieser, sorgen dafür, dass man auch 70 Jahre danach, immer noch
darüber sprechen muss.
Pepi, Luci, Bom und der Rest der Bande
– Pedro Almodovar
David: DVD-Projektionen in Kinosälen gehören gesetzlich
verboten, nichtsdestotrotz ist der Debütfilm des spanischen Filmemachers eine
unterhaltsame Farce, die sich in radikaler Art und Weise mit den Überbleibseln
des Faschismus franquistischer Prägung und den Problemen der noch jungen
spanischen Demokratie auseinander setzt. Die neu gewonnene, grenzenlose (?)
Freiheiten leben die titelgebenden Frauen in erster Linie (was sich sicherlich
als einer der roten Fäden in Almodovars späteren Filmen wiederfindet) in
sexueller Hinsicht aus. Natürlich noch sehr roh und einige der Episoden wirken
sehr unausgereift. Auf 16mm-Material gedreht, veranlasste die Körnigkeit des
Bildes eine Besucherin hinter mir zu einem Kommentar, dass "sich die Leute
in Hollywood mit ihren Filmen mehr Mühe geben würden".
Journey to the shore-Kiyoshi
Kurosawa
Luca: Die Idee, ein Paar nach dem Tod des Mannes, durch ihr
gemeinsames Leben reisen zu lassen, ist schon sehr spannend. Wenn man es dann
auch noch so umsetzt, wie Kiyoshi Kurosawa, dann ist alles bereitet, für ein
großes Kinoerlebnis. Was soll man zu “Journey to the shore” nun schreiben? Er
ist einer der besten Filme dieses Jahres, wenn nicht sogar der letzten fünf
Jahre. Die Darsteller sind allesamt fantastisch, die Geschichte ist wunderschön
und eine brillante Auseinandersetzung mit dem Thema Tod. Der Film hat einen
angenehmen Rhythmus, er nimmt sich viel Zeit, um seine kleinen und großen
Geschichten zu erzählen. Jede einzelne Aufnahme ist ein eigenes Phänomen und
fügt sich dennoch in ein großes Gesamtbild ein. Die Kamera begleitet die beiden
Protagonisten auf ihrer Reise durch die Vergangenheit und lässt den Zuschauer
an dieser sehr intimen Erfahrung teilnehmen, ohne ihn zu manipulieren. Die
angenehm zurückgefahrene Darstellung von Tadanobu Asano und Eri Fukatsu trägt
ihr übriges zu einem sehr guten filmischen Gesamtbild bei. Die Klavier-Szene
ist besonders hervorzuheben und war neben dem letzten Roy-Andersson-Film mein
schönster Kinomoment in den letzten Jahren.
Sicherlich ist der Film an einigen
Stellen etwas pathetisch. Aber wie sagte schon der große Christian Kracht: “Interessant ist lediglich Übertreibung und das Pathos – alles andere
ist langweilig, leider.”
David: In Sachen aktueller japanischer Film bin ich unbedarfter als ich es gern
wäre, nichtsdestotrotz gefiel mir Kiyoshi Kurosawas neuer Film "Journey to
the Shore" ganz ausgezeichnet. Oberflächlich als Geschichte über Geister
angelegt, eine Frau wird von ihrem längst tot geglaubten Ehemann mitgenommen,
auf die titelgebende Reise, welche von vielen Begegnungen mit anderen
Verstorbenen oder auch noch lebendigen Geistern der Vergangenheit geprägt ist.
Kurosawa gelingt es, die eigentlich sehr schweren und großen Themen des Films
mit einer Leichtigkeit zu verhandeln, die beispielsweise Anomalisa völlig
abzugehen scheint. "Journey to the Shore" ist ein Film über das
Abschiednehmen, über Liebe und nicht zuletzt auch ein ungemein positiver Film,
wird Mizuki doch die Möglichkeit gegeben, ihren Frieden mit ihrem Ehemann zu
machen und nun einen neuen Lebensabschnitt zu beginnen – ohne jedoch penetrant
auf ein Happy-End hininszeniert zu sein. Visuell ist "Journey to the
Shore" von einer geradezu betörenden Schönheit, die sich jedoch mehr in
Details wie der von Blättern bedeckten Wand in der Wohnung eines (ebenfalls
bereits verstorbenen) Postbeamten äußert, denn in tatsächlicher
Ausgestelltheit. Als einziger von mir bei diesem Festival gesehene Film (mit
Abstrichen gilt das vielleicht auch noch für "Dearest", der aber
seine Emotionalität viel offensiver verkauft als es "Journey to the
Shore" tut) scheint "Journey to the Shore" wirklich von großen
Dingen zu erzählen und dabei trotzdem Schönheit und Liebe im Detail zu finden. Mindestens
in den Top 5 des Jahres, denke ich.
The Heroes of Evil-Zoe
Berriatúa
Luca: Der Untertitel von Heinrich Bölls berühmtem Roman “Die
verlorene Ehre der Katharina Blum” lautet: „Wie Gewalt entstehen und wohin sie führen
kann“. Liebend gern hätte
Zoe Berriatúa in seinem Debutfilm „The Heroes of Evil“ genau das erklären
wollen. (Böll untersucht das allerdings in einem anderen Zusammenhang) Er
scheitert jedoch vornehmlich an sich selbst.
Die Geschichte des Films wird gut
erzählt und es gibt auch einige schöne Einstellungen und Ideen, gerade der
Rausch der drei Protagonisten nach dem Konsumieren von Drogen wird sehr schön
inszeniert. Der Film zeichnet sich stets durch recht unausgewogene Szenerien
aus, die sich teilweise allerdings gut in das Gesamtbild des Films einfügen.
Das Hauptthema des Films ist die Inszenierung und Darstellung von Gewalt und
ihrer Aura, die die drei Jugendlichen umgibt. Damit hat der Film allerdings
erhebliche Probleme. Die Darstellung ist weder vollkommen übertrieben und
ästhetisiert, noch ist sie schmerzvoll und intensiv. Es geschieht einfach. Man
mag das nun anfangs noch kaum als Kritikpunkt benennen können, da es
schließlich darum gehen soll, was die Ausgrenzung von Menschen für Folgen haben
kann. Allerdings reflektiert der Film zu keiner Sekunde, was die Jugendlichen
dort tun, er ergötzt sich vielmehr an der vollkommen sinnlosen und letztlich
auch in nichts begründeten Gewalt. Es wird kaum mal darauf eingegangen, warum
die Jugendlichen dies eigentlich machen (die Begründung, das sie in der Schule
gehänselt werden, ist etwas dünn.) Er verliert sich lieber in der
auswuchernden, ästhetisch nicht gerade ansprechenden Inszenierung von Gewalt,
die mit klassischer Musik hinterlegt wird. Dies lässt den Verdacht nahelegen,
dass hier jemand „Clockwork Orange“ gesehen, aber nicht im mindesten verstanden
hat. Gegen Ende des Films und erst als jemand gestorben ist, kommen zwei
Figuren dann doch noch darauf, dass Gewalt vielleicht keine optimale Lösung
ist. Doch die einzige Möglichkeit den Strudel der Gewalt und der Ausgrenzung zu
beenden, sehen sie nicht darin z.B.: die Polizei einzuschalten oder ihr aller
Verhalten zu reflektieren und daraus eine moralisch und sozial verträgliche
Lösung zu ziehen. Nein, hier wird Gewalt mit Gewalt bekämpft. Wenn die Gewalt
schon nicht aufhört, dann muss man halt denjenigen umbringen, der sie ausübt.
Mit Fortschreiten der Handlung verliert sich der Film außerdem inszenatorisch
immer mehr in konventionellen und unbedeutenden Einstellungen und verhält sich
damit diametral zum Geschehen im Film. Es ist sehr schade, dass Berriatúa seine filmerisch guten
Ansätze nicht weiterentwickeln kann und auch thematisch leider sehr
danebengreift. Dennoch bleibt seine weitere Entwicklung spannend, da bereits in
diesem Debutfilm die Ansätze für gutes Kino zu erkennen waren.
After Spring Comes Fall – Daniel
Carsenty
David: Prinzipiell nicht uninteressanter Debütfilm über eine
geflüchtete Syrerin, die über ein paar unglückliche Zufälle vom syrischen
Auslandsgeheimdienst gezwungen wird, Oppositionelle im deutschen Exil zu
bespitzeln. Trotz des "erschreckend aktuellen" Themas kein besonders
relevanter Film, jedoch für einen Debütfilm mit einigen interessanten
Regieeinfällen gesegnet. "After Spring Comes Fall" wirkt an einigen
Stellen noch sehr roh und unfertig, wie ein Erstling von jemandem, der
vielleicht noch zwei oder drei Filme (und ein besseres Drehbuch) braucht, um
mal etwas wirklich richtig tolles zu machen. Nichts was man sehen müsste, aber
zumindest streckenweise recht interessant.
Ma Folie-Andrina Mracnikar
Jean: Es ist
Liebe auf den ersten Blick für Hanna (Alice Dwyer) und Yann (Sabin Tambrea),
als sie sich in Paris in einer Bar kennenlernen. Hanna kommt aus Wien und Yann
ist so verschossen, dass er ihr kurz darauf in ihre Heimat folgt, wo beide ihre
Liebe ausleben. Recht schnell entpuppt er sich aber als krankhaft eifersüchtig
und mit psychopathischen Charakterzügen ausgestattet und so zerbricht die
Beziehung auch wieder so schnell wie sie angefangen hat. Doch Yann verschwindet
nicht einfach, vielmehr beginnt er Hanna zu stalken und ihr brutale Drohvideos
zu schicken. Und diese sind wirklich nichts für zart Gesottene, da gibt es
Blut, zerschnittene Augen und Horrorelemente nehmen Einzug in "Ma
Folie". Nun könnte man Regisseurin Andrina Mracnikar in ihrem Debutfilm
Effekthascherei unterstellen, allerdings nehmen diese zwei Szenen wirklich nur
einen kleinen Teil des Filmes ein und erfüllen zudem auch einen inhaltlichen
Zweck, indem sie die seelischen Abgründe Yanns bildlich aufzeigen. In der Folge entwickelt sich ein intelligentes Verwirrspiel mit Thrillerelementen, aber ohne die diesem Genre oft so immanenten, unlogischen Wendungen. Vielmehr wird es immer schwerer zu unterscheiden, wann Yann Hanna eigentlich wirklich stalkt und in welchen Fällen Hanna vielmehr paranoid geworden ist und Dinge überinterpretiert - was Stalkingopfern ja oft wirklich widerfährt. So ist Yann zwar ein ziemlich unsympathischer Psychopath, doch auch Hanna wird immer mehr zur ambivalenten Figur und steht nicht als reiner Engel da. Das ist spannend, interessant, glaubwürdig und gut gespielt. Ein starker Erstling, der den diesjährigen "First Steps Award" gewann, bisher aber leider noch keinen Kinostart in Deutschland vorweisen kann.
The Fire-Juan Schnittmann
Luca: „Ich denke,
wir leben in einer Gesellschaft am Rande des Kollaps, aber wir sind uns nicht
im Klaren über ihre Fragilität und fügen immer weitere Spannung hinzu, weil wir
fest glauben, dass sie nie zerbrechen wird“, so wird Juan
Schnitman auf der Homepage des Internationales Filmfests Braunschweig zitiert.
Vielleicht keine besonders neue, aber durchaus eine verwertbare Erkenntnis. Was
als solide Bestandsaufnahme einer Beziehung beginnt, endet in einer
mittelschweren Katastrophe. Das Problem
von “The Fire” ist nicht sein Stil oder seine Geschichte. Vielmehr verkommen
filmische Mittel hier zum reinen Selbstzweck. Eine wacklige Kamera, teilweise
recht experimentelle Szenen sind völlig irrelevant aneinandergereiht. Die
Montage wirkt unangenehm Es werden Dinge angedeutet, die dann aber wieder
verschwinden. Als hätte Schnittmann sich mitten im Film überlegt, doch noch
etwas gänzlich anderes zu machen. Er kann sich nicht entscheiden, ob ihm der
Plot als völlig irrelevant erscheint oder er ein eher konventionelles Drama
drehen möchte. „The Fire“ kritisiere „die Schnelllebigkeit und Auswirkungen des
modernen Kapitalismus“. So drückte es die Ansagerin vor Beginn des Kinos aus.
Und selbst diese zwar simple, aber durchaus verwendbare Kapitalismuskritik geht
vollkommen unter. Es wird anfangs angedeutet, dass es bei allen Streitereien
des Paares schlussendlich nur um Geld geht. Dies wäre eine durchaus
interessante Betrachtungsweise, da sich hier auch Möglichkeiten der
Auseinandersetzung mit Rollenbildern innerhalb einer Beziehung ergeben würden.
Doch auch dieser Ansatz wird verworfen. Die größte Problematik des Films
scheint mir eine öfter aufkommende bei Debutfilmen zu sein: Der Film möchte
viel zu viel erzählen, anstatt sich auf gewisse Aspekte zu fokussieren. Dadurch
entsteht ein nicht zu überblickendes Durcheinander, ein Gemisch aus unpassender
visueller Gestaltung, einer nicht gerade stimmigen Montage, zwei Darstellern,
die kaum etwas gegen den Rest des Films ausrichten können und einer simplen
Kapitalismuskritik.
Paulo
Coehlo's Best Story – Daniel Augusto
David: Die ohnehin schon nicht sonderlich interessante
Quintessenz von Coelhos literarischem Schaffen, angereichert mit
Biopic-Konventionen und einem langweiligen Abklatsch von dem vor- und
drittletzten Assayas-Film, auf die Leinwand gebracht. Schnarchöde inszeniert,
weiß PAULO COEHLO'S BEST STORY nicht einmal schauspielerisch zu überzeugen,
sondern flüchtet sich, natürlich in einer vermeintlich unkonventionellen Erzählstruktur,
in Plattheiten über Liebe, Freiheit und Rock 'n' Roll. Vergessenswert.
Margarita, with a Straw – Shonali Bose
David: Hätte fürchterlich schiefgehen können, diese
Coming-of-Age-Geschichte über ein an Cerebralparese erkranktes Mädchen, welches
ihren Weg aus einer eher konservativen indischen Familie an die New York
University macht. Dank des guten Drehbuchs, welches die Geschichte seiner
Protagonistin (ergänzt um erste lesbische Erfahrungen und eine krebskranke
Mutter) zu keinem Zeitpunkt zu problematisieren sucht, ist MARGARITA, WITH A
STRAW jedoch derart warmherzig und liebenswert, dass die offenkundigen
Schwächen (behäbige Regie, stellenweise fast campige Charaktere) kaum ins
Gewicht fallen.
Two
Nights til morning-Mikko Kuparinen
Luca: Bereits zu Beginn
des Festivals habe ich mir einen Film angesehen, der fast komplett in einem
Hotel spielt. Wie oben zu lesen war, konnte mich dieser Film nicht unbedingt
überzeugen. „Two Nights til morning“ konnte mich dann aber wieder einigermaßen
mit dem filmischen Raum Hotel versöhnen. Kuparinen
erzählt eine nette, kurzweilige Liebesgeschichte zwischen zwei Wanderern, die
sich fern außerhalb ihrer Heimat kennen und schätzen lernen. Er umgeht
teilweise recht geschickt genretypische Konventionen, verfällt am Ende aber
leider in recht klischeehafte und öde Auflösungen. Filmisch geschieht hier
nicht viel Spannendes, es werden kaum interessante Kameraperspektiven oder
Bilder inszeniert, alles ist recht konservativ gefilmt. Interessant ist in
diesem Film ist allerdings die Auseinandersetzung mit dem Ort „Hotel“. Jaako
spricht in einer Szene davon, dass das Hotel ein spezieller Ort sei, da man
nach dem Verlassen der Gäste, bereits nach wenigen Stunden nichts mehr davon
sehen könne, dass diese Menschen dort gewesen seien. An dieser Stelle wird es
interessant, denn der Film macht dies recht deutlich. Dabei lässt der Film
einen Raum für den Zuschauer, der seine eigenen Erfahrungen mit dem Hotel
reflektieren kann. Der Film wirft trotz der zarten Liebesgeschichte zwischen
den beiden Hauptfiguren, die Frage auf, ob ein noch so schönes Hotel, wirklich
ein angenehmer Ort ist. Gerade Jaako, der als DJ oft auf Reisen ist und viel
Zeit in Hotels verbringt, scheint das durchaus zu bezweifeln. Und damit kann
man diesen Film auch in gewisser Weise als Reflexion über das Reisen und das
kurzzeitige Verweilen an fremden Orten betrachten. Ein durchaus interessanter
Aspekt, der diesen recht konventionellen Film aufwerten kann.
Jean: Die französische Businessfrau Caroline (Marie-Josee
Croze) ist Anfang 40, sexy, selbstbewusst, aber auch etwas arrogant und hat
geschäftlich in Vilnius zu tun. An ihrem letzten Abend im Hotel wird sie vom
etwas jüngeren finnischen DJ Jaakko angesprochen. Auch wenn Caroline vorgibt,
kein Englisch zu sprechen, verbringen sie den Abend und schließlich auch die
Nacht miteinander. Während Jaakko sich wirklich angezogen von ihr fühlt, ist er
für sie nur ein Abenteuer. Früh morgens haut sie ab um heimzufliegen, doch die
Geschichte spielt im April 2010 und gerade ist der Vulkan Eyjafjallajökull
ausgebrochen und damit der gesamte Flugverkehr in Europa zusammengebrochen.
Caroline ist gestrandet, das Hotel ausgebucht - die Rettung: Jaakko, der ihr
anbietet doch in seiner Suite zu wohnen...
Ein bisschen erinnert
der finnische Film in (primär) englischer Sprache vom Grundkonzept her etwas an
"Lost in Translation". Doch Mikko Kuparinens melancholische Romanze
"Two Nights Till Morning" ist definitiv keine Kopie und auch keine platte
Romanze, sondern vielmehr ein eigenständiges und gelungenes Portrait zweier
Charaktere, die sich nach und nach kennenlernen und dabei auch Vorurteile
abbauen. Insbesondere Caroline fasziniert dabei als interessante,
vielschichtige Frau, die letztlich Probleme mit engen Bindungen hat und
entsprechend ambivalente Gefühle auslöst: Mal ist sie wirklich unsympathisch,
dann wieder anziehend und dann hat man irgendwo auch wieder Mitleid mit ihr.
Das sehr kluge Drehbuch spielt mit den Erwartungen, bietet gelungene kleine
Wendungen auf und stellt mehrfach Querverbindungen im Film her. Wenn zum
Beispiel Jaakko darüber philosophiert, wie die Anwesenheit in Hotels keine
Spuren hinterlässt und nach der Abreise dort alles so ist, wie es vorher war,
sieht man das ein paar Minuten später auch in einer schönen Bildercollage.
Generell ist Kuparinens Film auch atmosphärisch gelungen, mit dem Einfangen
verschiedener Orte, Tageszeiten und mit einer unaufdringlichen, aber passenden
Hintergrundmusik ausgestattet. Für mich eine kleine Perle des europäischen
Kinos und trotz nur 84 Minuten Laufzeit mit mehr inhaltlichem Gewicht und
Nachwirkungseffekt als viele größere Produktionen.
Unter dem Sand-Martin Zandvliet
Jean: Irgendein
vermeintlicher Experte in der Deutschen Wehrmacht kam während des Zweiten
Weltkrieges auf die glorreiche Idee, die kompletten dänischen Strände zu
verminen, davon ausgehend, dass die Allierten ihre Landung dort durchführen
würden. Aber natürlich kam alles anders: der D-Day fand in der Normandie statt,
das Dritte Reich verlor den Krieg - aber die hunderttausenden Minen in Dänemark
blieben. Was also tun, fragt sich das dänische Militär nach Kriegsende.
Irgendwie müssen diese verdammten Minen ja weg. Auf Anraten der britischen
Verbündeten entscheidet man sich schnell dafür, dass die dänischen Soldaten
schon genug Leid erlitten haben. Die Minen sollen mal schön diejenigen
wegschaffen, die sie da auch hingebracht haben: Die verhassten Deutschen, von
denen man ja passenderweise eine ordentliche Menge an Kriegsgefangenen zur
Verfügung hatte. Und so deckt Martin Zandvliet in seinem beeindruckenden Drama
auf, wie Dänemark gegen die Genfer Konvention verstieß und junge deutsche
Soldaten des Volkssturms nach Kriegsende bei der Minensäuberung der dänischen
Strände verheizt wurden.
Zandvliet hatte nur
wenig Budget zur Verfügung, machte daraus aber das Bestmögliche. Der Film,
dessen Originaltitel "Land of Mine" ein so gelungenes wie makabres
Wortspiel vornimmt, spielt quasi nur an einem einzigen Strandabschnitt, wo
Helmut, Ludwig, die Brüder Lessner, Wilhelm, Manfred, August und Co. unter dem
Befehl des strengen und gnadenlosen Oberleutnants Carl (Großartig: Roland
Möller) ihr Leben riskieren. Bei der Figurenzeichnung der Deutschen hätte man
sich durchaus etwas mehr Hintergründe und Tiefe gewünscht, dafür ist
"Unter dem Sand" spannend und zieht den Zuschauer sehr schnell in den
Bann der Geschichte. Bald weiß jeder, wie man so eine Mine in der Theorie
eigentlich entschärft und wo die Tücken und Gefahren des Ganzen liegen. Darüberhinaus
zeigt Zandvliet die Eigendynamik menschlicher Bindungen, die auch vor dem
kriegsgeschädigten Deutschenhasser Carl nicht haltmachen, der sich immer mehr
zu einer ambivalenten Figur entwickelt. Ein faszinierender Film, der einen
schaudernd daran denken lässt, wie viele Gebiete auch heute weltweit noch
vermint sind.
David: Zugebenermaßen war
ich während "Unter dem Sand" schon von den ersten Anzeichen meiner
anschließenden Krankheit geplagt und vielleicht deswegen auch nicht mehr so
freudig-frisch wie zu Beginn des Festivals, nichtsdestotrotz bin ich ziemlich
sicher, dass mir "Unter dem Sand" auch bei bester Gesundheit nicht
besonders viel Freude gemacht hätte. Weltkriegsfilme, in denen der einzige
Charakter, der daraufhinweist, dass die (natürlich schrecklichen) Dinge, welche
die Siegermächte oder ehemals besetzten Länder mit den Deutschen gemacht haben,
nicht von ungefähr kamen, sondern auch eine Vorgeschichte haben, die einzige
Figur ist, die als wirklicher Bösewicht gezeichnet ist, sind nicht mein Ding.
Aus der prinzipiell spannenden Idee einer filmischen Umsetzung der
Landminenentschärfung holt der Regisseur leider inszenatorisch viel zu wenig
raus, sodass der Film auch mehr ohne wirkliche Highlights oder Überraschungen
vor sich hin läuft, um die Leerphasen zwischen den Explosionen zu füllen, was
bei einem Actionfilm sicherlich vertretbar wäre, bei Kriegsdrama jedoch
schlicht öde ist (was übrigens für das erschreckend spannungsarme Drehbuch
ebenso gilt. Schlechter Film.
Neon Bull – Gabriel Mascaro
David: Hat mich nicht erreicht. Schöne Texturen sicherlich, sehr
gut geführte Kamera und durchaus glaubwürdige Schauspieler, doch das Geschehen
rund um eine merkwürdige, vermutlich landestypische, Art des Rodeo entwickelte
als solches für mich keinen Weg oder Zugang zu einer tieferen Beschäftigung.
Irgendwo unter den Texturen lauert hier bestimmt ein tieferer Sinn, mir
erschloss er sich jedoch bis zum Schluss nicht. Aber die eingeschobenen
erotischen Tänze im pulsierenden Neonlicht waren hübsch inszeniert und ein
angenehmer Stilbruch. Sicherlich auf einer gewissen Ebene interessant, aber
schlussendlich nicht mein Bier.
Diese Texte wurden von Jean Mikhail(@JeanMunk), David Schepers(@fantazeromane) und Luca Schepers(@ArafatsSohn) verfasst.
Jeans Blog: https://filmandfootball.wordpress.com/
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