Hayao Miyazaki hat im letzten
Jahr mit „Wie der Wind sich hebt“ seine Karriere beendet. Bereits eines seiner
früheren Werke, die Verfilmung eines japanischen Kinderbuches „Kikis kleiner
Lieferservice“ zeigt, warum die Filme des Studio-Ghibli-Gründers uns allen sehr
fehlen werden.
Die Handlung des Films ist
simpel und dennoch wunderschön: Die junge Hexe Kiki zieht gemäß eines alten
Brauchs mit 13 für ein Jahr in eine fremde Stadt, um sich als Hexe zu beweisen.
Nach einigen Startschwierigkeiten beginnt sie einen kleinen Lieferservice in
einer großen Stadt am Meer zu betreiben. Doch sie hat immer mehr mit
Selbstzweifeln und ihrer Einsamkeit in der Großstadt zu kämpfen.
Die Bilder sind wunderbar
gezeichnet und beeindruckend animiert, wenn man bedenkt, dass der Film 1989
gemacht wurde. Gerade die Szenen in denen Kiki auf ihrem Besen fliegt sind
fantastisch gezeichnet und inszeniert. In jedem Dialog, in jeder Figur des
Films kommt eine Liebe für das Kino zum Ausdruck, wie man sie sonst selten
sieht.
Tradition
trifft auf die fortschreitende Technologisierung
Das Thema Technologisierung
wird hier durchaus interessant verhandelt. Kiki ist eine Hexe, die auf ihrem
Besen fliegt, während der, um sie bemühte, Tombo, sich sehr für Flugmaschinen
und das Fliegen an sich begeistert. Welches Bild kann den Konflikt zwischen
Moderne und Tradition besser darstellen, als der Moment in dem Kiki aus ihrem
kleinen Dorf mit einem Besen in eine große Stadt am Meer fliegt und dort
zwischen lauter modernen, mechanischen Geräten Probleme hat, sich an den
schnellen Verkehr zu gewöhnen? Oder die beiden älteren Damen auf dem Land, die,
nachdem ihr elektronischer Ofen nicht funktioniert, ihre Fischpastete nur
dadurch rechtzeitig fertigstellen können, dass Kiki mit ihnen einen alten,
traditionellen Steinofen wieder in Betrieb nimmt. Man könnte nun noch weitere
Szenen nennen, in denen deutlich wird, welchen Ansatz der Film mit seiner
Darstellung verfolgt. Der Film ist neuen Technologien gegenüber nicht
unaufgeschlossen und zeigt auch deren große Möglichkeiten, ist jedoch auch ein
Plädoyer für traditionelle Handarbeit - denn mit genau dieser Handarbeit
schafft er diese herrlichen Bilder.
Haltung
des Films zum Fremdenhass
Des Weiteren entwickelt der
Film eine klare Haltung gegenüber Fremdenhass. Die Menschen sind anfangs eher
verschreckt und die jungen Leute in der Stadt machen sich über Kiki lustig.
Miyazaki begeht hierbei nicht den Fehler Kiki als klassische junge Hexe darzustellen.
Die Selbstzweifel, die Kiki in eine Phase der tiefen Trauer verfallen lassen,
und sie sogar der Kraft des Fliegens berauben, zählen zu den traurigsten
Momenten des Films. Den ganzen Film über, versucht sie von den Menschen
akzeptiert zu werden. Das junge Mädchen steht unter großem Druck, bis sie sogar
von ihrem kleinen, schwarzen Kater verlassen wird, da dieser lieber mit dem
Kätzchen von nebenan anbändelt. Eine
Figur, wie z.B: Bibi Blocksberg, hätte sich die Zuneigung der Menschen durch
ihre Hexenkräfte erhalten. Kiki jedoch wird von den Menschen eher dadurch
akzeptiert, dass sie hilfsbereit und liebenswürdig ist und sich das Vertrauen
der Menschen erarbeitet. Dies liegt aber auch daran, dass Kiki als sehr fleißig
und strebsam charakterisiert wird. Diese Tugenden sind es auch, die ihren
Lieferservice so erfolgreich machen, da sie Wind und Wetter trotzend alle
Lieferungen ans Ziel bringen möchte. Sie beweist damit, dass sie sich trotz
ihres jungen Alters ihrer Verantwortung bewusst ist.
Über
die Resilienz von Kiki
Eine spannende Frage im
Zusammenhang mit diesem Film ist, ob Kiki sich, wie andere literarische
Figuren, wie z.B: Pippi Langstrumpf oder Ronja Räubertochter, auch zur
Resilienzförderung bei Kindern nutzen lässt. Dies ausführlich zu analysieren,
würde eine eigene Seminararbeit erfordern(und außerdem mehr Fachwissen über
dieses Thema),aber ein paar Sätze kann man dazu noch sagen. In der
Resilienforschung werden drei verschiedene Schutzfaktoren benannt: Die
familiäre Ebene, die personale Ebene und die soziale Ebene. Auf der familiären
Ebene kann man über Kiki sagen, dass ihre Eltern zwar nur am Anfang und am Ende
des Films zu sehen sind, sie ihre Tochter jedoch in dem unterstützen, was sie
tut. Die enge Bindung zu ihren Eltern erkennt man den ganzen Film über,
vorwiegend dadurch dass Kiki selbst in ihren schlimmsten Momenten immer wieder
das Radio ihres Vaters anschaltet. Ihr Umfeld ist gesichert und es fällt ihr
durchaus schwer, ihr Zuhause zu verlassen. Allerdings findet sie in der
Großstadt am Meer sehr schnell eine Art Ersatzfamilie in der Bäckerei und mit
ihrem schwarzen Kater Jiji ist immer ein Stück Zuhause bei ihr. Dass ihr dies
enorm wichtig ist, wird in dem Moment deutlich, als sie feststellt, dass sie
nicht mehr mit ihm sprechen kann. Damit ist sie nun ganz auf sich allein
gestellt. Auf der personalen Ebene kann Kiki mit einer fast durchgehend
positiven Lebenseinstellung punkten, sowie einer hohen sozialen Kompetenz. Ihr
gelingt es sehr schnell Kontakte zu knüpfen und sie ist den Menschen gegenüber
sehr offen . Dies wird unter anderem dadurch belohnt, dass sie ein Zimmer in
der Bäckerei bekommt und dort ihren Lieferservice einrichten darf. Sie verfolgt
ihr Ziel, nämlich anerkannt zu werden, bei allen Rückschlägen sehr konsequent.
Dass sie ihrem späteren Freund Tombo anfangs ablehnend gegenübertritt, kann man
guten Gewissens mit dem normalen Verhalten einer pubertierenden 13-jährigen
gegenüber einem gleichaltrigen Jungen begründen. Der letzte Faktor, nämlich die
soziale Ebene, ist bei Kiki ebenfalls gut ausgeprägt, da sie in Kontakt mit
vielen verschiedenen Menschen steht. Dass sie auch eine gute Beziehung zu
Leuten außerhalb ihres direkten Umfelds, nämlich der Bäckerei, aufbauen kann,
wird vor allem durch ihre Freundschaft mit der Künstlerin Urusula deutlich, zu
der sie, ohne sie lange zu kennen, eine sehr enge Bindung auf. Man kann also
nach dieser kurzen Analyse sagen, dass man Kiki als resiliente und starke Figur
bezeichnen könnte.
Man könnte nun noch auf die
Darstellung der Großstadt, die Behandlung der Fantasiefigur „Hexe“ oder die
Rolle der Tiere eingehen und evtl. werde ich das an anderer Stelle auch noch
einmal tun.
„Kikis kleiner Lieferservice“
ist eine unglaublich vielseitige, großartige Abhandlung und zwar nicht nur über
den Reifeprozess eines Kindes. Er erzählt auch etwas über gesellschaftliche und
technische Entwicklungen und zeigt all dies in seiner wundervollen Bildsprache.
Miyazakis Filme fehlen mir jetzt schon und dabei ist seit seinem letzten Film
erst knapp ein Jahr vergangen.
Dieser Text wurde von Luca Schepers(@ArafatsSohn) verfasst.
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