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Mittwoch, 28. September 2016

„Als würde das Leben in dieser Welt noch eine Rolle spielen“- Zu vier Filmen von Roland Klick


In SUPERMARKT gibt es eine sehr bezeichnende Szene für das Kino des Roland Klick. Sie spielt vor einem Nachtclub im Hamburger Kiez. Eine Prostituierte, gespielt von Eva Mattes, liegt völlig verzweifelt und sicherlich auch unter Drogeneinfluss auf dem Boden, neben ihr liegen Spaghetti auf dem Boden verstreut. Der Protagonist des Films steht in einer Menschenmenge, die sich das Schauspiel ansieht.

Hier ist alles anders als im Neuen Deutschen Film. Die Kamera ist unruhig, die Szenerie wirkt auf eine gewisse Art überzeichnet und doch realistisch. Es wird nicht über ein bestimmtes Thema nachgedacht, es geht um eine atmosphärische Darstellung. Diese funktioniert über die Präsenz der Darsteller, die physischen Erfahrungswerte. Es ist schmutzig, verrucht und kaputt, das Kino des Roland Klick. SUPERMARKT geht an die Substanz, er spielt in einem verruchten Milieu, welches Klick jedoch zu keiner Sekunde verhöhnt oder sich über dieses erhebt. Die Hauptfigur Willi lebt mit 18 Jahren auf der Straße und sein Leben ist eigentlich bereits vorbei. Er hängt einem finalen Traum des großen Geldes durch einen Banküberfall nach, dem Aufbruch in ein neues Leben. Klick zeigt hier eine für ihn klassische Dialektik. Die Kamera bewegt sich wackelig, die Bilder sind düster und wirken sehr real gezeichnet. Und doch wirkt der ganze Film surreal, man kann ihn nicht richtig greifen. Die Figuren quälen sich durch die unwirkliche Welt des Hamburger Kiez. Willi ist eigentlich nur ein Niemand. Doch zwischendurch wirkt er wie ein Rebell, jemand, der versucht aus der Welt auszubrechen.


Mit DEADLOCK legt Klick einen hochinteressanten und brillanten Western hin. Mario Adorf als Charles Dump liefert eine wahnsinnige Performance ab und trägt die ganze Physis dieses Films. Bereits von der ersten Szene an steht die Luft in diesem Film. Adorfs anfängliche Überlegenheit gegenüber zwei Gangstern verwandelt sich im Laufe des Films in einen psychotischen Albtraum, aus dem es kein Entkommen gibt. Die Musik der Band CAN trägt ihren Teil dazu bei. So fühlt sich ein Albtraum an. Es sind nicht nur die Menschen um einen herum, die so quälend sind. Es ist die ganze Landschaft, das gewohnte Bild, welches zu einer hässlichen Fratze wird, welches einem keine Ruhe lässt. Die Fahrzeuge spielen eine wichtige Rolle in diesem Film. Das Auto, welches ständig umhergefahren wird und sich ähnlich wie in Spielbergs „Duell“ zu einem Monster entwickelt, das ausschließlich für den Tod steht. Eine interessante Dichotomie, die Bewegung steht für einen bewegungslosen Zustand. Selbst das scheinbar einfach beherrschbare wird zur Gefahr.

Die Sonne scheint grell vom Himmel, die Hütten sind verlassen, zwei Männer treffen sich im absoluten Nirgendwo zum Duell. Ob sie es überleben oder nicht? Wen interessiert das schon. Als würde das Leben in dieser Welt noch eine Rolle spielen.


WHITE STAR ist gewissermaßen das Opus Magnum von Roland Klick. Hier stellt er die Quintessenz seines Schaffens aus: Immer auf der Suche nach der nächsten Eskalationsstufe. Dennis Hopper verkörpert dabei einen Musikmanager, der in einem aufstrebenden Musiker seine letzte Chance auf Erfolg sieht und sich dafür mit der Berliner Punkszene anlegt. Er scheut dabei vor nichts zurück, ebenso wenig wie Klick. Bereits der Vorspann deutet es an, hier sind Menschen auf der Suche nach den Sternen. Und dann taucht die Kamera in die neonlampengetränkten Welten der Berliner U-Bahn ein, in die Punkclubs der Stadt. Genau wie seine Figuren, droht auch der Film jederzeit vor geballter Energie zu zerspringen. Er erscheint ebenso fragil, wie eine Filmrolle, die Materialität des Films steht in unmittelbarem Zusammenhang mit der Zerbrechlichkeit seiner Figuren. An jeder Ecke wartet eine Schlägerei, ein Lebenskampf. Es geht immer weiter nach vorne, die Grenzen aller Dinge lösen sich auf. Die völlige Anarchie wird zum beherrschenden Prinzip. Und an dieser Stelle wird diese scheinbar so anarchische und wilde Welt zu einer Welt, die einer Ordnung folgt – einer Ordnung, die niemals Ordnung sein möchte.

Die Dreharbeiten sollen die Hölle gewesen sein, Dennis Hopper war schwer kokainabhängig und es war wohl kaum möglich, ruhige Szenen mit ihm zu drehen. Aber gerade dieses Durcheinander, dieser Hang zur Selbstzerstörung machen diesen Film so stark. Hier sind Menschen zu sehen, die keinerlei Träume mehr zu haben scheinen, die nur noch eine geisterhafte Existenz im Diesseits zu pflegen scheinen. Und doch scheint durch die Oberfläche dieses Films eine leise Sehnsucht, ein flüsternder Traum….


Mit SCHLUCKAUF, seinem letzten Film, stellte Klick seine Freude an bizarren Einrichtungen und Verkleidungen aus. Zwei grundverschiedenen Frauen lernen einander in schwierigen Lebensjahren kennen und schätzen. Dieser Film weist sicherlich einige Ähnlichkeiten der klassischen Coming-of-Age-Geschichte auf. Und doch weicht er von den Klischees des klassischen Coming-of-Age-Dramas ab. Er lässt seine Hauptfigur bereits in der ersten Szene aus dem Nichts auftauchen, sie betritt den Film durch eine Tür. Die Szene hat eine gewisse Ähnlichkeit mit Alice im Wunderland. Sie befindet sich nun in einer völlig anderen Welt, die vielleicht bloß ihrer dörflichen Fantasie entspricht. Das immer wiederkehrende Bild des einsamen Schiffs, das sich durch das Meer bewegt und von der sich rasch bewegenden Kamera in verschiedenen Positionen gefilmt wird. Es ist das Individuum, das sich durch das Meer des Lebens bewegt, mit dem Ziel einer einsamen Insel mit Palmen. Doch gibt es diese Insel wirklich? Es ist sein vielleicht amüsantester Film, der einem anders als andere Klick-Filme eine freundschaftliche Beziehung zeigt, die mit allen Höhen und Tiefen ein schönes Ende findet. Vielleicht war es genau das, was Klick sich für das vorläufige Ende seiner Filmkarriere gewünscht hat.

(Anmerkung: Die Filmgalerie 451 hat eine Box mit diesen vier Filmen, sowie einigen Kurzfilmen von Klick und der Dokumentation "Roland Klick-The Heart is a hungry hunter" rausgebracht.)

Dieser Text wurde von Luca Schepers(@ArafatsSohn) verfasst.

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