2025, von hinten betrachtet: Schwankend zwischen Verlieren (Hey Guten Morgen, wie geht´s dir + Caroline Wahls Gesamtwerk inklusive Kiel-Interviews) und Wiederfinden (Hegemann, Kracht, das Ende von Die Holländerinnen, Kochen im falschen Jahrhundert) des Glaubens an die Gegenwartsliteratur, Simon Yates, Isaac del Toro + Richard Carapaz auf der letzten Etappe des Giro d´Italia, Ole Werner verlässt unter unrühmlich Umständen Werder und lässt uns mit Horst Steffen alleine, Borges beendet, Bernhard begonnen. Hohe Höhen und tiefe Tiefen mit Robert Altman. Konstant hingegen Nabokov, Volltext und Emily in Paris.
Zehn Romane:
Thomas Bernhard – Der Untergeher
Honore de Balzac – Glanz und Elend der Kurtisanen
Vladimir Nabokov – Lolita
Clarice Lispector – Nahe dem wilden Herzen
Stendhal – Rot und Schwarz
Johann Wolfgang von Goethe – Die Wahlverwandschaften
Muriel Spark – Töte mich!
Elfirede Jelinek – Die Kinder der Toten
Leo Tolstoi – Der Tod des Iwan Iljitsch
Roberto Bolano - Lumpenroman
Gutes außerhalb der Liste:
If I Had Legs, I´d Kick You – Mary Bronstein
Was Marielle weiß – Frederic Hambalek
Sentimental Value – Joachim Trier
little boy – James Benning
Kontinental 25 – Radu Jude
In the lost lands – Paul WS Anderson
Mother´s Baby – Johanna Moder
A Private Life – Rebecca Zlotkowski
Außer Konkurrenz:
Juror #2 – Clint Eastwood
Die Top Ten:
A House of Dynamite – Kathryn Bigelow
The Medium ist ja bekanntlich The Message und deswegen habe es sowohl Netflix- als auch Idris-Elba-Filme schwer am Jahresende ganz oben zu stehen – hätte A House of Dynamite jedoch das Niveau des ersten (Rebecca-Ferguson-)Drittels gehalten, wäre es mir schwergefallen, ihn aus den Top 5 rauszuhalten. Leider hängt der Film im letzten Drittel (vor dem grandiosen, konsequenten und politisch angemessen unverantwortlichem Finale) ein bisschen durch.
Miroirs No. 3 – Christian Petzold
Nicht jeder Petzold-Film kann so gut wie Roter Himmel, Barbara, Phoenix, Transit, Polizeiruf 110: Kreise, Polizeiruf 110: Wölfe, Die Innere Sicherheit, Yella, Jerichow sein, aber schöne Momente hat natürlich auch Miroirs No. 3 zu bieten, nicht zuletzt in Matthias Brandts wunderbar unglaubwürdigen Darstellung eines KFZ-Mechanikers. Teil 1 des Triptychons über die Grausamkeit des Landlebens im diesjährigen deutschsprachigen Film.
Baby Assassins: Everyday – Yugo Sakamoto
Stellvertretend für die gesamte Reihe, bringt der TV-Ableger der beiden postuniversitären Auftragskillerinnen doch die beiden großen Tragiken des Lebens (einen Job zu haben + keinen Job zu haben) auf den Punkt. Oder um es mit Armond White zu sagen: Baby Assassins > Stromberg – Wieder alles wie immer: Glanz und Elend der Serienmörder vs. Nostalgie-Influencing
Volvereis – Jonas Trueba
Was heißt hier Ende?
In die Sonne schauen – Mascha Schilling
Wieder Thomas Bernhard: "Die Leute, die auf das Land gehen, gehen auf dem Land ein und sie führen eine groteske Existenz, die sie zuerst in die Verdummung und dann in den lächerlichen Tod führt. Einem Großstadtmenschen empfehlen, auf das Land zu gehen, ist eine internistische Gemeinheit, dachte ich" (Der Untergeher). Dem etwas abgeschmackten Schlussbild zu Trotz ein notwendiges Korrektiv zur allgemeinen Juli-Zeh-Hegemonie.
Emanuelle – Audrey Diwan
Schönste Überraschung des Kinojahres: Anthony Wong taucht plötzlich auf. Die Vereinsamung der Hauptfigur kann ich nicht zuletzt deswegen nachvollziehen, weil ich der einzige deutsche Kinointeressierte bin, den es nicht zu Terza Visione oder Hofbauer-Kongress zieht.
Henry Fonda for President – Alexander Horwath
Normalerweise würde ich hier (wie bei solchen Filmen immer) cinephile Vorerkrankung diagnostizieren und sicherlich sind nicht alle der politischen Schlüsse, die Horwarth zieht wirklich so erkenntnisreich, wie es einem im Moment des Schauen vorkommt. Aber andererseits habe ich versucht, mir Rebecca Millers Mr. Scorsese "Dokumentation" anzugucken und bin nach King of Comedy entnervt ausgestiegen.
Nachmittage der Einsamkeit – Albert Serra
Ein großer Film über die Sinnlosigkeit. Am Ende der Nachmittage der Einsamkeit bleibt völlig im Ungewissen, was genau Publikum und Akteure am Stierkampf faszinierend. Die notwendige Körperbeherrschung ist etwa drei Minuten milde interessant zu betrachten, der Kampf zwischen Natur und Mensch ist keiner. Doch Serras Film findet eine Sprache für die Körperlichkeit der Langeweile.
Sehnsucht in Sangerhausen – Julian Radlmaier
Nachdem einige der bisherigen Radlmaier-Filme etwas über Gebühr auserzählte Witze waren, die mit zunnehmendem Verblassen der Erinnerung an die eigene Geisteswissenschaftsbachelorzeit immer weniger lustig wirkten, ist Sehnsucht in Sangerhausen ein Quantensprung. Nicht nur wegen der wie immer wunderbaren Henriette Confurius fühlte ich mich sehr an Dominik Grafs Meilenstein Die geliebten Schwestern erinnert, gerade in der Art wie auch in Sehnsucht in Sangerhausen die Figuren durch die Wellen der Geschichte schwimmen, was mich zum besten Film des Jahres bringt:
Caught By The Tides – Jia Zhang-ke
Ich habe gestern Abend zum ersten Mal Yi Yi von Edward Yang gesehen und die Kontinuitäten zu Caught By The Tides liegen auf der Hand. Zwei weitere Ansatzpunkte zur Entschlüsselung: Der große Gatsby (Roman, nicht Film) und der einigermaßen zahnlose One Battle After Another (sowohl Roman als auch Film). Jia Zhang-ke geht es nicht um die letzten großen Fragen der Menschheit, sondern um die Antworten darauf.
Und zum Abschluss zehn neue Lieblingsfilme 2025:
Yi Yi – Edward Yang
The Life and Death of Colonel Blimp – Michael Powell & Emeric Pressburger
La Flor – Mariano Llinas
California Split – Robert Altman
Princess Yang Kwei-fei – Kenji Mizoguchi
A Bride for Rip van Winkle – Shunji Iwai
Menus-Plaisirs, les Troisgros – Frederick Wiseman
Platform – Jia Zhangke
The Unknown – Tod Browning
Cure – Kiyoshi Kurosawa
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