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Dienstag, 30. Dezember 2025

There's Some Fear in Letting Go. Die besten Filme des Jahres 2025

 

Was ist noch da? Das Ende von Demain on déménage (Chantal Akerman). Ein Wochenende mit den Filmen von Aysun Bamdesoy. Beatriz Colomonia lacht über Le Corbusier (Deutsches Architekturmuseum). Stürmische Nordseetage & die letzten Tage des Pinguinmuseums (Heide/Cuxhaven). Ein knapp verpasster Podiumsplatz bei der Hessischen Hochschulmeisterschaft (Friedberg). M. und Ich stehen lange vor den Beach Portraits von Rineke Dijkstra (Schirn). Die Filme von Jean-Pierre Melville & Joan Micklin Silver.  Das Jahr, in dem David Lynch stirbt und ich parallel noch einmal Twin Peaks schaue. Ein Winter mit Claire Daines und My So Called Life. Der Versuch, die Shortlist vom Deutschen Buchpreis komplett zu lesen, scheitert an der Frankfurter Stadtbibliothek; mit Dorothee Elmiger gewinnt eine absolute Lieblingsautorin. Die sensationellen Spiele der Werder-Frauen. Lange Sommerspaziergänge mit Eis & Cappucino am Main (Offenbach). Das Büro 1-3 (J.J. Voskuil). Denial is a river (Doechi). Willingly (Anna Berg). Immer wieder Bob Dylan. The Beths in der Kantine (Köln). Michael Zetterer steht weinend vor der Kurve in Bielefeld. Clear Eyes, Full Hearts, Can’t Lose.


10. Mond (Kurdwin Ayub)

Wie auch schon der Vorgängerfilm sehr toll darin, sein Publikum einzubeziehen, ganz ohne Spiegel. „Genrekino“ ist das zum Glück nicht, sondern eine Auseinandersetzung damit, was dort an Projektionen stattfindet. Wie wir uns selbst in diesen Filmen verorten, mit wem wir mitfiebern und was wir uns am Schluss erwarten. Brutale Ohnmacht kommt am Ende dabei raus, das Gefühl, nichts tun, nicht mal richtig verstehen zu können. Das beständige Gefühl, doch irgendwie zu verstehen, was hinter der Thriller-Fassade steckt, nur um dann zu begreifen, dass es genau um diese Haltung geht. Ein Film, der einen ertappt, ohne sich dabei besonders clever vorzukommen. Florentina Holzinger kämpft für sich, für (wessen?) Emanzipation, versteht aber nicht und scheitert schon an der ersten Ausfahrt. Sie bleibt ratlos, singt am Schluss aber Karaoke, Rihanna. Niemand kann zur Heldin werden.

9. Universal Language (Matthew Rankin)

Ein Schnee-Film. Eine iranische Stadt in Kanada, wobei: Damit geht es ja schon los mit den Zuschreibungen, die Rankin erstmal gar nicht interessieren. Sprache spielt überall eine Rolle, aber nicht nur als Medium der Verständigung, sondern als Sound, als Umwelt. So eine Atmosphäre habe ich im Kino dieses Jahr nicht noch einmal erlebt, eine Form von nie beruhigender Gemütlichkeit und Wärme. Kiarostami und das Haus meines Freundes wohnen um die Ecke, nicht als Referenz, sondern als Nachbarn. Identitäten bleiben unaufgelöst und definieren sich nicht über Sprache. Verschiedene Sprachen zu sprechen, vielleicht gar keine Sprache zu sprechen, heißt nicht, dass man orientierungslos ist. Migration wird nicht vom Diskurs, sondern von der Form aus gedacht. Spielerisch und an den Menschen (nicht Figuren) interessiert. Ein Film darüber, wie ein Truthahn einem die Brille klaut.

8. A House of Dynamite (Kathryn Bigelow)

Durch zu viele Erkältungen habe ich in diesem Jahr wieder eine Menge an amerikanischen Thrillern aus den 60er- und 90er-Jahren gesehen, die für Bigelow als Material durchaus relevant sind, aber eben nicht als Vorbilder, sondern als Vorgänger ihres Films. Die einen waren mitten im Kalten Krieg, für die anderen wurde er bereits zur Erinnerung. Was heißt es, 2025 so eine Art von Nuklear-Thriller zu machen? Nicht der völlige Gegensatz ist interessant (Trump kommt glücklicherweise nicht vor), sondern es werden verschiedene Folien übereinander geschoben, die eine unlösbare Situation lösen sollen. Nicht nur der Einzelne, sondern Knöpfe, Telefone und Bildschirme und auch demokratische Präsidenten müssen Entscheidungen treffen. Die institutionelle Fantasie einer Entscheidungsgrundlage existiert nicht, selbst wenn man dreimal wieder von vorne anfängt. Entscheidend ist, sich schnell zu entscheiden, sonst entscheidet jemand für einen. Was dabei rauskommt, bleibt ohnehin offen und, wenn man ehrlich ist, wirklich wissen möchte man es ohnehin nicht.

7. Die kleine Schwester (Hafsia Herzi)

Das vielzitierte Umschreiben von Coming of Age beschreibt den Film von Hafsia Herzi nicht ganz richtig, weil sie die Vorlagen zwar kennt, aber nicht an ihren Film heranlässt. Selbstbewusstsein ist bei ihr ohnehin genug vorhanden. Männer kommen am Rande vor, als soziales Umfeld, in dem sich Fatima bewegen und in gewisser Weise auch ausleben kann, das aber die Lücke nicht füllen kann. Dafür muss sie suchen und sich durch Räume hindurchbewegen, die ihr fremd sind. Eine der schönsten Szenen dieses Jahres: Fatimas sitzt im Auto mit einer älteren Frau, die ihr in aller Ruhe und Besonnenheit von lesbischem Sex erzählt. Schon in You Deserve A Lover war die Perspektive eine subjektive und eine Kamera, die sich einer Person und ihrer Umwelt hingibt und sich nicht für eine Haltung zu ihren Figuren interessiert. Konflikte existieren, sozial, religiös und persönlich, aber eben immer nur so lange, wie sie Fatima interessieren. Der soziale Aufstieg, das Verlassen des familiären Umfelds, laufen im Hintergrund, so wie auch der Vater fast immer nur in der Unschärfe durch den Film läuft. Wichtiger ist, was Fatima erlebt, wie sie sich fühlt und was sie mit sich macht. Am Schluss: Madeleines, ein Real-Trikot und ein noch zu schreibender Roman.

6. Caught by the Tides (Jia Zhangke)

Wie man selbst zum Teil der Geschichte wird. Jia räumt sein Archiv auf; nicht als „Chronist“ oder „Poet“, sondern als Beobachtung der eigenen Beobachtung. Wie habe ich China gesehen, wie sehe ich es jetzt? Where Did I Go Wrong? Alles umkreist die Drei-Schluchten-Talsperre. Eine infrastrukturelle Unfassbarkeit. Jia hängt nicht mehr am narrativen oder dokumentarischem Film als Medium der Geschichte, sondern an einer Montage von verschiedenen Bildtypen, die sich alle für das gleiche interessieren. Die Formate und Techniken ändern sich je nach Zeit und Situation. Geschichte läuft nicht in Spielfilmhandlungen ab, sondern in dem, was hinter ihnen zu sehen ist. Die Grabungen im eigenen Archiv sind wie eine Szene in einem Bus, in der Qiao Qiao aufstehen und gehen möchte und immer wieder zurückgeschubst wird. In der wahnsinnig tollen letzten halben Stunde wird alles noch einmal neu gerahmt, taucht eine Roboter-Zitateschleuder auf und doch hat alles kein Ende, sondern geht weiter.

5. Sehnsucht in Sangerhausen (Julian Radlmaier)

Vermutlich der interessanteste Versuch, so etwas wie Gegenwart fass- oder zumindest beobachtbar zu machen. Radlmaier setzt am Lokalen und Topographischen an. Deutsche Romantik ist in den Steinen, aber auch in den Cafés und auf den Straßen zu spüren. Wie soll man sich daran nicht verheben? Indem man erstmal alles affiziert, neugierig auf die Orte ist und aus verschiedenen Perspektiven schaut. Gegenwart ist im Sangerhausen-Film nichts, was sich zu stark konkretisiert, sondern eher mitläuft. Identität, Arbeit, Klassenzugehörigkeit werden über Orte, Körper und zuschauende Anwohner*innen verhandelt. Gleichzeitig ist Gewalt überall präsent, aber statt zu verzagen, sollte man etwas tun. In die Stadt oder ins Café gehen, jemanden kennenlernen oder ins Kino. Überall wartet etwas gruseliges, das man nur gemeinsam überstehen kann. Solidarität wird, wie auch in den vorherigen Filmen von Radlmaier, weder abstrakt noch pathetisch verstanden, sondern als Zusammenkommen und Auseinandergehen von Menschen, die einen Umgang miteinander finden. Die schönsten Rosen blüh'n in Sangerhausen. Ab in den Autobus, Friedrich Merz abschalten und mal schauen, was sich in den Höhlen und Wäldern so abspielt. Dann hören wir vielleicht auch mit dem Jammern auf.  

4. Spielerinnen (Aysun Bademsoy)

Stellvertretend für alle Filme der Langzeitbeobachtung über die erste Frauen-Fußballmannschaft außerhalb der Türkei, den BSC Agrispor, die gerade durch die Brüche und die damit verbundene Eigenständigkeit der Filme interessant werden. Fußball kommt in Spielerinnen nur noch am Rande vor, zumindest als Spiel. Als Ort der Gemeinschaft, an dem, wie in den anderen drei Filmen, Gesellschaft auf sehr konkrete und komplexe Art und Weise verhandelt wird, bleibt er Zentrum der Beobachtung. Toll an diesen Filmen ist, dass Bademsoy ihre Beobachtungen immer vom Sportplatz aus denkt, selbst, wenn eigentlich niemand mehr dort rumhängt. Dort wird schon alles verhandelt; der Rassismus der deutschen Mehrheitsgesellschaft, Geschlechterkämpfe und das Gefühl, zu einer Gemeinschaft dazuzugehören. Spielerinnen kann als bisher letzter Teil eine gewisse Wehmut nicht leugnen, gerade im Blick auf die neue Generation Spielerinnen, die nichts mit Fußball zu tun haben wollen, lässt sich aber davon nicht die Schärfe in der Beobachtung nehmen.

3. Magellan (Lav Diaz)

Man muss sich nicht an „Slow Cinema“ (Was ist das eigentlich?) oder Laufzeiten hochziehen, um in Lav Diaz‘ Magellan-Film hereinzukommen, sondern in die Größe und Breite des Rahmens hereinschauen. Vom ersten Moment an geht es um das Schauen, um Körper, die wir anschauen, die uns interessieren. Einen unschuldigen Blick gibt es nicht. Eine indigene Person schaut direkt in die Kamera. Magellan in Portugal, im Glauben, die Welt erobern zu können; der Wahnsinn und Horror lauert schon in seiner Position im Rahmen. Lapulapu als Geist, der Magellan ermordet, dessen toter Körper am Strand liegt. Ein Wissen über den Kolonialismus, das prekär bleibt. Wir wissen um das, was geschehen ist, aber warum schauen wir nicht genau hin? Die Geschichte von Magellan als Horrorgeschichte imperialer Eroberung, die kein Zurück mehr kennt und nicht nur ins Heute hineinragt, sondern die Orte und die Positionen konstituiert, von denen wir heute in die Welt schauen.

2. Träume (Dag Johan Haugerud)

Ein Film, der mich, so viel Sentimentalität sei erlaubt, an mein altes Lieblingscafé erinnert. Der aber eben nicht nur auf dieser Ebene funktioniert, sondern als Ineinanderschieben von Text, Ton und Perspektive. Johanne liebt ihre Lehrerin und muss darüber schreiben, um sich zu sortieren. Hier beginnen schon die Wirrungen des Films, die erfreulicherweise nicht bei dem Motiv der jugendlichen Liebe als chaotischer Gefühlswallung aufhören, sondern Johannes Stimme selbst stellt diese sogleich in Frage. Was wirklich geschehen ist kann sowieso niemand wissen, es geht um das Übereinander-Legen von Perspektiven und dass der eigene Blick auf eine andere Person immer schon eine Projektion ist. Auch im Schauen des Films wird man unweigerlich zur Leser*in, hält Johannes Perspektive für die schönste, folgt aber gleichzeitig den anderen beiden Frauen einer anderen Generation darin, sich selbst im Text zu suchen und zu wissen, dass man im Schreiben der eigenen Gefühle keinen Bericht, sondern ein offenes Buch vorlegt. Wenn wir durch Johannes Augen schauen, treffen wir eine Entscheidung, die uns niemand abnehmen kann. Eine Umarmung, eine Treppe, gemeinsames Stricken. Ein Ende, mit dem Johanne sich für das Uneindeutige und den nächsten Text entscheidet. Man möchte immer weiterblättern, zur nächsten Seite, zum nächsten Gespräch. Und vor die Tür, nach draußen.

1. The Mastermind (Kelly Reichhardt)

Im Gegensatz zu One Battle After Another, zu dem ich durchgehend ambivalente Gefühle hatte, ein Film, der nicht versucht, in eine Gegenwärtigkeit hereinzukommen, sondern eine Figur zu beobachten, der alles Gegenwärtige egal ist. Und das nicht aus ideologischen Gründen, sondern einer laziness, einem Desinteresse an der eigenen Umwelt und der Familie. Die Anordnung des Films ist schräg: Vietnam rückt in den Sound- und Fernsehhintergrund, Josh O‘ Connors Nichtstun in den Vordergrund. Der erste Teil, samt einer sehr lustigen Einbruchsszene, fungiert als Beobachtung der Konstruktion eines Selbstbildes von jemandem, der sich seiner Umwelt überlegen fühlt. Alana Haim kann nur mit dem Kopf schütteln. Im zweiten Teil eine Flucht, die nirgendwo hinführt. Ein Besuch bei Fred und Maude, die beide nicht nur exakt die richtigen Figurennamen haben, sondern auch genau die Klamotten tragen, die man sich zu ihren Figuren vorstellt. Auch hier ein famoses Ende: Man kann der Geschichte nicht entkommen, aber es ist kein zufälliges Hineinstolpern. Ohnehin ist das ein Film, der sich sehr genau zeitlich verorten lässt und gleichzeitig etwas außerhalb seiner Zeit diskutiert. Die Brücke ins Jetzt ist geschlagen, ohne beide Zeiten miteinander zu vermischen. Jede*r versucht, sich selbst zu retten, kann sich dem Kollektiv aber nicht entziehen.

 

10 neue Lieblingsfilme im Jahr 2025

1. Crossing Delancey (USA 1988, Joan Micklin Silver)

2. India Song (Frankreich 1975, Marguerite Duras)

3. Mädchen am Ball (Deutschland 1995, Aysun Bademsoy)

4. Broadcast News (USA 1987, James L. Brooks)

5. Demain on déménage (Belgien 2004, Chantal Akerman)

6. The Girls Are Alright (Spanien 2022, Itsaso Arana)

7. They All Laughed (USA 1981, Peter Bogdanovich)

8. Losing Ground (USA 1982, Kathleen Collins)

9. Le Cercle Rouge (Frankreich 1975, Jean-Pierre Melville)

10. Take Care Of My Cat (Südkorea 2001, Jeong Jae-eun)

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