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Sonntag, 30. Dezember 2018

Sogar der Tacho hat kein' Bock - Die besten Filme 2018

Ein gutes Kinojahr, zumindest für mich. Der Umzug in eine größere Stadt, in der vage so etwas wie eine cinephile Szene zu erkennen ist. Sehr geärgert darüber dass der neue Jia Zhangke nicht beim Filmfest Hamburg lief (Burning zwar auch nicht, aber leichte Skepsis spätestens seit Obama den gut findet).



Und wie jedes Jahr die Frage, was eigentlich zu 2018 gehört. Zwei Filme, die es mit Sicherheit auf diese Liste geschafft hätten, gehören alleine aufgrund der Sehumstände nicht so richtig zu diesem Jahr. Hong Sang Soos On The Beach at Night Alone und Claire Denis' Meine schöne innere Sonne ergäben auch ein schönes Double Feature, denn wann fühlt sich schonmal ein Hong-Film brutaler an als einer der französischen Großmeisterin (und vermutlich besten lebenden Regisseurin, give or take Hou Hsiao-Hsien)?

"Man muss das deutsche Fernsehen auch mal loben" ist mitterweile genauso sehr zum Klischee verkommen wie die ewig gleichen Klagen über eben jenes Fernsehen, nichtsdestoweniger verdienen Regina Schillings Dokumentation Kulenkampffs Schuhe und der schöne Schluss von Christian Petzolds Polizeiruf-Trilogie sehr viel Begeisterung. Kulenkampffs Schuhe hat so sehr für innerfamliären und intergenerationellen Dialog gesorgt, wie es sonst nur Matthias Brandt Lieblingsverein schafft.

Mein Filmjahr, für uns Nicht-Berliner und Nicht-Hamburger immer vom Kinojahr zu trennen, wurde sehr von Clint Eastwood und Jonathan Demme geprägt. Zu Jonathan Demme hatte ich ein sehr schönes und interessantes Seminar an der Universität, bei Clint Eastwood überkam mich nach zufälligem Sehen einiger seiner späteren Filme (American Sniper, Changeling und besonders der wunderbare A Perfect World) die Neugier und Lust, mich seinen anderen Filmen mal chronologisch zu widmen. Gebrochen habe ich diesen Vorsatz zur Chronologie nur für The 15:17 to Paris, einen der merkwürdigsten Filme des Jahres, dessen Widersprüche ich immer noch nicht in für mich befriedigender Art auflösen konnte – was ihn umso faszinierender macht.

Lobende Erwähnungen soll es außerdem für Private Life von Tamara Jenkins, Agnes Vardas Photographiereise Faces Places, Christopher McQuarries Mission: Impossible – Fallout, Greta Gerwigs Lady Bird, Jaime Collett-Serras certified banger The Commuter, Corneliu Poromboius Infinite Football, Jean-Luc Godards The Image Book, Frederick Wisemans Ex Libris – The New York Public Library und dem sehr lustigen Under the Silver Lake von David Robert Mitchell geben.

  1. A Star Is Born – Bradley Cooper
Bradley Coopers Version von A Star is Born war für mich die erste Begegnung mit dem Stoff, das tragische Ende traf mich deswegen etwas unvorbereitet, hatte ich doch schon lange nicht mehr so sehr mit zwei Liebenden mitgelitten. Ein paar Monate nachdem ich A Star is Born sah führte mich meine Eastwood-Reise zum ebenfalls ganz wundervollen Honkytonk Man und Coopers Film erschien in einem neuen Licht, nämlich als direkter Anschluss an eine Hollywood-Americana-Tradition, die kein Heil mehr sucht, es aber trotzdem findet. Maybe it's time to let the old ways die.

  1. Three Faces – Jafar Panahi
Panahi begibt sich auf das Terrain des großen Meisters Abbas Kiarostami und entwirft ein unheimlich klug gebautes Spiel aus Medienrealitäten und Fragen nach Persönlichkeitsrealismus. Three Faces beginnt mit dem Video eines (vermeintlichen) Selbstmords einer Schülerin mit Schauspielerambitionen, unklar bleibt nur, wie dieses Video in die Welt kam und vor allen Dingen: Was hat Jafar Panahi damit zu tun?
  1. Ready Player One – Steven Spielberg
Spielbergs bester Film seit dem mittlerweile gar nicht mehr so unterschätzten Meisterwerk Krieg der Welten wirft mehr Fragen auf als irgendein anderer US-Blockbuster in diesem Jahr. Überwältigungskino kann eben keiner so gut wie Spielberg und doch stellt sich der Film ständig selbst in Frage, es scheint so als ob Spielberg die Geister die er Mitte der 70er-Jahre gerufen hat, nicht mehr los wird. Am Ende steht dann nicht mal eine Hinwendung, kein Aufbruch, sondern nur ein Achselzucken und die Erkenntnis, dass es zu spät ist.

  1. Waldheims Walzer – Ruth Beckermann
In einem politisch wahrlich nicht besonders erbaulichen Jahr ein toller Film über Geschichtsbewusstsein, Faschismus und die Lüge von seinem Ende. Die Entwicklungslinie, die vom Nationalsozialismus ins Heute geführt hat, aufbereitet am Beispiel der Affäre Waldheim und am persönlichen Aktivismus der Regisseurin, pointiert, unaufgeregt und doch eindringlich. Es bleiben HC Strache, Sebastian Kurz und die Hoffnung, dass jemand sich Ruth Beckermanns Filme ansieht.
  1. Monrovia, Indiana – Frederick Wiseman
Frederick Wiseman besucht Heartland America und kommt zu ähnlichen Schlüssen wie Clint Eastwood in The 15:17 to Paris. Eine der Szenen des Jahres: Eine Freimaurerorganisation verleiht einem Mitglied eine hohe Ehre, in einem tristen Behördenkonferenzimmer, vor einem Publikum, in dem Wiseman und Eastwood das Durchschnittsalter zumindest etwas senken würden. Das Damoklesschwert ist natürlich der amerikainsche Präsident, Wiseman verfällt jedoch nie in den "Welcome to Trumps America"-Modus, sondern seziert mit üblicher Präzision Strukturen, ob nun finanzieller oder gesellschaftspolitischer Natur.

  1. An Elephant Sitting Still – Hu Bo
Die Fluidität der langen Takes sucht die Beweglichkeit in der Hoffnungslosigkeit der chinesischen Großstadt. Vielleicht reicht ein Funke.

  1. Zama – Lucrecia Martel
Eine Weltordnung siecht dahin, traumwandlerisch geht der Kolonialismus zu Grunde. Ein möglicher Vergleichspunkt wäre der Tod des Absolutismus in Albert Serras Ludwig-Film von vor ein paar Jahren, Zama wirkt ähnlich entflohen und doch genau. Und nicht zuletzt ein Film über das Warten, Warten auf etwas, was sowieso nicht kommen darf.

  1. The Week Of – Robert Smigel
Ein Höhepunkt in der seit nun schon mindestens zehn Jahre andauerenden Sandler-Hochphase, die nur von gelegentlichen Ausrutschern wie Blended oder The Ridiculous Six unterbrochen wird. Gleichzeitig einer der schönsten und lustigsten Filme des Jahres, bringt er sowohl das immer leicht utopische Zusammengehörigkeitsgefühl (die Küchenszenen!) als auch Steve Buscemi mit einer übergroßen Toblerone in der Hand zusammen. Gab es in diesem Jahr überhaupt einen schöneren Schluss als Adam Sandler und Chris Rock die nach einer langen Nacht im Morgengrauen auf der Veranda sitzen und sich gegenseitig immer noch auf den Arm nehmen, jetzt mit einem breiten Grinsen auf den Lippen?

  1. I Do Not Care If We Go Down In History As Barbarians – Radu Jude
Radu Judes neuer Film schafft es leider erst im nächsten Jahr in die deutschen Kinos (aber immerhin!), gehört also für alle die noch nicht das Glück hatten, ihn auf einem Festival zu sehen zum Pflichtprogramm. Historisches Trauma verhandelt als Reenactment von Verbrechen, gesellschaftliche Konstellationen als Ausprägungen dieser Traumata und vor allen Dingen ein Film, dem noch an der Gegenwart gelegen ist. Judes Film endet nicht mit der Diagnose.

  1. Transit – Christian Petzold
Transit und I Do Not Care If We Go Down In History As Barbarians gehören zusammen. Sie sind beide antifaschistische Filme, die sich nicht auf Posen beschränken oder versuchen plumpe Parallelen zwischen Vergangenheit und Gegenwart zu ziehen, sondern sie spüren Strukturen nach und versuchen die Art und Weise, wie Geschichte und ihre Traumata das Jetzt prägen nachzuvollziehen. Petzold war schon immer (und wird es vermutlich auch immer bleiben) ein Regisseur von großen Kinogesten, in Transit mehr denn je. Das explizit ahistorische des Films dient als Fläche für solche Gesten. Die Dekonstruktion der Idee des beendeten Faschismus. Migration ist humangeschichtliche Normalität. Film als Fluchtbewegung. Ein Meisterwerk.

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