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Freitag, 11. März 2016

The Question Is What Is The Question




Wie so viele Ehedramen oder auch Komödien auf dem Hass basieren, der beide Partner noch zusammenhält (also quasi eine Analyse des Endstadiums sind, dem Punkt, an dem alles eskaliert, an dem alles aus dem Ruder läuft, kurzum: an dem es plakativ, laut und unterhaltsam wird) schlägt der Film "Szenen einer Ehe" einen anderen Weg ein.

 Ingmar Bergman zeigt zwei "normale Menschen" in "normalen Situationen". Er entwirft ein Panorama einer Beziehung und räumt mehreren Phasen (Der Film ist in mehreren Zeitsprüngen erzählt), nicht nur der der Auseinandersetzung und Konfrontation, gleiches Gewicht ein. Und damit fordert er den Zuschauer viel mehr, der am Ende da sitzt und sich mulmig fragt, warum trotz der versöhnlichen Momente zum Ende des Films hin (Tatsächlich beinhaltet "Szenen einer Ehe" nur eine Szene, die man wirklich als Streit bezeichnen kann), eine gewisse Bitterkeit und Endgültigkeit bleibt. Dass nicht der Hass aufeinander, sondern stattdessen die Vernunft, das Zugehen und die Kompromissbereitschaft das Kernelement von Johans und Mariannes Verhältnis sind, gibt dem Film eine Dimension in dem die Erschrockenheit über das Unvermögen der beiden, eine Lösung zu finden, viel größer wird, als wenn sie sich einfach permanent anschreien würden. Der Konflikt wird nach einiger Zeit klar: Johan sucht sein eigentliches Glück in der Bestätigung seiner selbst. Für ihn ist die Ehe mit Marianne eine finanzielle Zweck-WG. Er flüchtet in eine Affäre mit einer jüngeren Frau, die nur eigentliches Mittel zum Zweck ist aus der bekannten Ordnung auszubrechen und ihn bald langweilt, Marianne dagegen sucht nicht nur ihre Bestätigung in Johan, sondern ihren Lebensinhalt. Dass diese emotionale Konstellation zum Scheitern verurteilt ist, reflektiert Marianne in einer umwerfenden Sequenz aus Voice- Over und einer Montage aus Bildern eines Fotoalbums, in der sie ehrlich auf ihre Ehe zurückblickt, ihre Erziehung dekonstruiert und ihre Sehnsucht nach autonomen Leben offenbart. Dass Johan bei ihrer Erzählung einschläft, fasst das komplette Verhältnis der beiden zusammen. Marianne ist großzügig, hilfsbereit, ehrlich. Nur ist sie eben für Johan (der heimliche Künstler, der Arbeitskolleginnen Gedichte präsentiert) nicht interessant. Die Frage, wie es zu dieser Verbindung überhaupt kommen konnte und welche Basis die gegenseitige Zuneigung, außer das Vertrauen zueinander, einmal hatte, stellt sich nicht nur einmal. Bergman zeigt hier zwei Menschen, deren Wege beide nicht funktionieren können, weil sie damit bei der entsprechenden Person ins Leere laufen und macht etwas eigentlich ganz banales deutlich: In einer Beziehung gibt es nicht DIE eine Liebe und keine gleichen Bedürfnisse. Es gibt sie zweimal und sie können so unterschiedlich verlaufen, neu entstehen und sich verändern, während sie sich beide begegnen. Marianne und Johan haben Verständnis füreinander, aber nicht miteinander und das lässt sie an allem scheitern. Dass das Verständnis füreinander auch etwas tolles und "ehrenhaftes" ist, vergisst Bergman nicht und inszeniert Mariannes Verzweifeln, darüber dass sie ihrem Mann nur Gutes will, ihm aber dennoch nicht näher kommt, sehr eindringlich und würdevoll. In dem Moment, in dem sie einvernehmlich erkennen, dass die Lösung (wenn es für sie beide denn eine gibt), außerhalb ihrer Ehe, außerhalb der öffentlichen Wahrnehmung und der Pflichten die diese mit sich bringt liegt und das dieser Rahmen eigentlich auch der ist, nach dem sie sich beide sehnen, nimmt der Film eine Wendung. Nach der Scheidung fangen sie an, sich neu zu begegnen. Marianne und Johan sind nach all den Jahren nicht andere Menschen geworden, sie tragen immer noch alle ihre Eigenheiten in sich, aber über all dem scheint die milde Sonne der Erfahrung und das fängt das herausragende Schauspiel von Liv Ullmann und Erland Josephson gekonnt ein. Dass dieser dokumentarisch, aber nie steril oder teilnahmslos inszenierte Film mehr Fragen stellen als beantworten wird, wird schon beim Lesen des Wikipedia-Artikels des Regisseurs klar, für den das Konzept Ehe selbst ein einziges Fragezeichen darstellt. Trotzdem formuliert Bergman hier mehr als einen zynischen, nihilistischen Abgesang auf die gesellschaftlichen Institutionen der Kirche. Für ihn ist die Liebesbeziehung selbst eine Utopie, deren Erhalt eigentlich unmöglich ist, egal wie gut die Kommunikation zwischen zwei Menschen sein mag. Warum und wann ist Ehrlichkeit und Gutmütigkeit nicht genug? Ist es richtig, immer alles richtig machen zu wollen? Wann muss man sich eingestehen, dass etwas nicht mehr zu retten ist, egal wie sehr man sich bemüht? Was kommt, nachdem man die Hoffnung aufgegeben hat? Wie lässt sich Abhängigkeit vermeiden, wenn man, ja, nur aufeinander hängt? Bergmans simple und gleichzeitig wichtige Fragestellungen faszinieren und werden nicht nur zeitlos sein bis das Konzept Ehe überholt wird, sie werden solange zeitlos sein, bis es keine zwischenmenschlichen Beziehungen mehr gibt.

Dieser Text wurde von Julien Pagels(@JulienPagels) verfasst.


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