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Mittwoch, 21. Oktober 2015

"Pure Vernunft darf niemals siegen – Wir brauchen dringend neue Lügen"




An einer Stelle in der zweiten Folge der vierten Staffel der ABC Family-Serie "Pretty Little Liars" sagt eine der vier titelgebenden Lügnerinnen lakonisch: "Just feels like we're back where we started" und bringt damit eines der zentralen narrativen Merkmale der Serie auf den Punkt, die sich spätestens zum Ende der dritten Staffel der Fabulation hingegeben hat wie kaum eine andere Serie der letzten Jahre. 

Die Wiederholung ist zum Prinzip geworden, beginnt doch Staffel 4 mit einer ganz ähnlichen Grundvoraussetzung wie die erste und versucht die Serie in eine andere Richtung neu oder auch weiter zu entwickeln. Innerhalb der konventionellen Zwänge des Network-TV-Wesens hat sich Pretty Little Liars zu einer Serie entwickelt, welche die Bewegung, das Fließen in alle Richtungen zur obersten Maxime erhoben hat. Es ist durchaus möglich der Serie diese Ziellosigkeit als Problem anzukreiden, allerdings zeugte dieser Vorwurf nur von einem grundlegenden Missverständnis: Pretty Little Liars geht es nicht darum, die Serie auf eine bestimmte "Lösung" hin zu entwickeln, selbst die erzählerisch wohl bedeutendste Storyline, die Jagd nach "A" ist mehr Mittel zum Zweck. Ganz im Sinne des großen Alfred Hitchcock ist "A" nur ein MacGuffin, kann in jeder Staffel mit neuem Inhalt gefüllt werden – wirkliche Bedeutung für die Serie hat die Figur ohnehin nicht. Ohnehin gleicht Pretty Little Liars immer mehr einer Teenagerfantasie, in seinen besten Moment verträumt-schwelgerisch, überbordend und niemals verhaftet in einem "bigger picture", immer auf der Suche nach neuer Emotionalität und ohne Angst vor erzählerische Inkohärenzen. Nebenfiguren kommen und gehen, keiner der männlichen Figuren (mit Ausnahme von Hanna Marins Langzeitliebe Caleb, der jedoch in der Mitte der vierten Staffel in sein eigenes Spin-Off verschwindet und zumindest in dieser Staffel nicht mehr auftaucht) besitzt tatsächliche Konturen, alle existieren sie nur in den Vorstellungen und Projektionen der vier titelgebenden Lügnerinnen. Konsequenterweise sind auch alle Schauspieler der männlichen Figuren mit bestenfalls unterdurchschnittlich talentierten Darstellern besetzt, sodass immerhin kein Eindruck der Unterforderung aufkommen mag. Ob dies der Serie nun als Schwäche oder als Metagag ausgelegt werden soll, bleibt dem Betrachter überlassen, ich tendiere zur zweiten Ansicht, denn insbesondere in der ersten Staffelhälfte scheint Pretty Little Liars sich daran zu versuchen, seine Figuren in beinahe selbstreflexiven Dialogen aufeinander treffen zu lassen und aus diesen Gesprächen heraus das Sendekonzept an den Zuschauer zu vermitteln. Das mag an einigen Stellen zwar etwas naseweise wirken, ist jedoch in seinen besten Momenten im allerhöchsten Maße vergnüglich. Ähnliches gilt für die Fülle an popkulturellen Referenzen, die nur in manchen Momenten nervtötend selbstclever wirken, etwa die Anspielungen auf aktuell laufende Serien wie "Game of Thrones", dem gegenüber stehen jedoch eine ganze Fülle an Referenzen an die Filmgeschichte, von Alfred Hitchcock (unter anderem heißt das Stammcafé der Mädchen "Rear Window" und ein kurzfristig recht wichtiger Vogel (!) hört auf den Namen Tippy) über Clueless! oder auch Howard Hawks. Schwierig zu beurteilen, ob diese Verweise bei der Zielgruppe überhaupt ankommen oder einfach nur den Eindruck verstärken sollen, dass im Kosmos von Pretty Little Liars alles möglich ist, außer Stillstand.

Immer wieder bietet die Serie im Verlauf der vierten Staffel neue Ansätze zur Interpretation der sehr manifesten Metaphorik an, sei es das zentrale Handlungselement des Maskenmachers, der den diversen "A"-Figuren die Möglichkeit bietet, als (vermeintlich) verstorbene Allison DiLaurentis durch die Gärten der (ebenso vermeintlich) idyllischen Kleinstadt Rosewood zu wandeln und die bereits im Titel der Serie beschworene Ambivalenz aller Figuren ("Everybody got secrets" heißt es nicht nur an einer Stelle, was nicht umsonst an eine weniger mysteriöse und jüngere Version des Twin-Peaks-Mottos "The Owls are not what they seem" erinnert) unterstreicht. Jeder hat Geheimnisse, jeder trägt eine Maske. Ein ähnlicher Moment ergibt sich, als die vier Lügnerinnen als kleinen Gruß von "A" ihre Marionetten-Ebenbilder finden – Allison wurde im Verlauf der Serie schließlich als Puppenspielerin etabliert (ein Charakterzug, der zum Staffelfinale hin immer weiter dekonstruiert wird und in der finalen Episode sogar vollständig ad absurdum geführt wird, als sich herausstellt, dass Allison auch nur eine Figur im von "A" und der zeitweilig als "A" fungierenden Mona geschaffenen Spiel ist). Sowohl die Masken als auch die Puppen verschwinden früher oder später wieder aus der Staffel, fraglich ob diese beiden tollen Ideen überhaupt noch einmal aufgegriffen werden, ganz im Sinne der beschriebenen Teenagerfantasie ist die Pubertät der vier Mädchen (und damit auch die Serie) ein Umherdriften von einer Idee zu anderen, von einer Liebe zur anderen und eben auch von einem Plotpoint zu anderen. Sprunghaft eben, nicht getrieben von logischer Charakterentwicklung (was mir ein recht häufig verwendetes Oxymoron zu sein scheint), wie Teenager ebenso sind, um es platt auszudrücken. Diese assoziative Emotionalitätskette, die zwar nicht im Terrence-Malick-Stil ausgestellt wird, sondern mehr unter den Texturen lauert, hält den Zuschauer bei der Stange, ganz nach dem Tocotronic-Motto "Pure Vernunft darf niemals siegen – Wir brauchen dringend neue Lügen".

Die Weichen für die bereits erwähnten Entwicklungen in der Serie werden bereits in der ersten, der eigentlichen Handlung vorangestellten, Episode der Staffel ("A Liar's Guide to Rosewood) gestellt, in der Mona, die bereits einmal als "A" entlarvt wurde, munter die Geschehnisse der ersten drei Staffeln zusammenfasst, dabei jedoch viele Lücken lässt und wiederum andere Dinge erzählt, von denen sie innerdiegetisch nichts wissen kann. Wie gesagt: Pretty Little Liars ist keine Serie für Logik- oder Plotfetischisten und erinnert in seinen dramaturgischen Entscheidungen in einigen Momenten eher an die ewige Wiederholung (kein Negativmerkmal!) von Sitcoms denn an die Plotgetriebenheit vieler moderner Dramaserien. So kann man Pretty Little Liars auch die ohne Zweifel vorhandenen Schwächen, wie die sehr unterschiedlichen darstellerischen Leistungen der Hauptdarstellerinnen verzeihen. Die schwanken von sehr gut (Ashley Benson) über schwankend (Troian Bellisario) hin zu durchschnittlich (Shay Mitchell) oder gar schwach (Lucy Hale). Nicht nur deswegen scheint die von Lucy Hale porträtierte Aria Montgomery die uninteressanteste der vier Hauptfiguren zu sein, ist sie doch in sehr klischeebehafteten Beziehungen, sowohl familiärer als auch amouröser Natur gefangen und findet erst gegen Ende der Staffel, als sich ihr Freund und Englischlehrer Ezra Fitz für eine kurze Zeit als mögliche neue "A"-Persona zu entpuppen droht, wieder zurück zu einem interessanten Handlungsstrang. An dieser Stelle kommt jedoch wieder ihr kaum vorhandendes darstellerisches Talent zum Tragen, denn in (einer) der zentralen Szene der Staffel, welche die Ezra/Aria-Beziehung hoffentlich endgültig beendet, nimmt Lucy Hales verzweifelter Versuch, Emotionalität auszudrücken der Enthüllung, die ohnehin nicht besonders einfallsreich ist, einen Großteil ihrer Wirkung.

Trotz aller erzählerischen Freiheit rekurriert auch Pretty Little Liars immer wieder auf einige bekannte Ideen des Genre-Kinos, in dieser Staffel besonders manifest ablesbar an der sehr langgezogenen Geschichte rund um die Verhaftung von Ashley Marin, Hannas Mutter, und die Auswirkung derselben auf ihre Tochter oder auch an den diversen Verstrickungen der Familien DiLaurentis und Hastings, die in der finalen Episode im eindrucksvoll-symbolträchtigen Bild der Mutter, die ihrem eigenen Kind das vermeintlich ewige Grab schaufelt, gipfeln – nicht nur in diversen Horrorfilmen, auch in Pretty Little Liars sind es die Kinder, die unter den Sünden und Verfehlungen der Elterngeneration leiden müssen. Da passt es gut ins Bild, dass "A" als eine Art Manifestation der schlimmsten Teenagerängste lesbar ist, wie auch die gesamte Serie. Dazu gehört das wechselseitige Misstrauen in der Eltern/Kind-Beziehung genauso wie wechselhafte Liebesbeziehungen, Freundschaften und Äußerlichkeiten. Äußerlichkeiten sind ohnehin in Pretty Little Liars ein wichtiges Thema, schließlich hat die Serie unheimlich viel Spaß daran, seine Figuren in immer neuen Klamotten (üblicherweise etwas overdressed für den Schulalltag, der in Staffel 4 aber ohnehin beinahe vollständig verschwindet) zu zeigen, ebenso spielen Kostümierungen eine große Rolle. Nicht nur, aber auch deswegen ist die Folge "Shadow Play", die beinahe vollständig im drogeninduzierten Geist von Spencer Hastings stattfindet, eine der besten Episoden der Serie bisher. Sie ist fast vollständig in einem an Film Noir angelegten Stil gehalten, der sogar Sorgfalt darauf verwendet, das Filmkorn ins Digitale Bild zurückkehren zu lassen. Ohnehin widmet sich Staffel 4 von Pretty Little Liars vermehrt formalästhetischen Spielereien, was insbesondere in vielen, mitunter sehr schönen und emotionalen, Montagen zum Ausdruck kommt oder in der Inszenierung des Nachbarort Ravenswood, der in wesentlich dunkleren Tönen gehalten und von einer geradezu poeartigen Düsternis durchdrungen ist und natürlich in der an viktorianische Spannungsromane angelehnten diesstaffeligen Halloween-Folge, die wie jede der mittlerweile doch recht vielen Whodunnit-Party-Episoden großen Spaß macht, trotz einer gewissen Redundanz.
Und nicht nur der MacGuffin-Aspekt der "A"-Persona erinnert in seinen besten Momenten an Hitchcock, auch der Aufbau von Ezra als potentiellem Bösewicht lässt darauf schließen, dass zumindest die Drehbuchautoren der Serie Francois Truffauts "Mr. Hitchcock, wie haben sie das gemacht?" gelesen hat, denn wie vom britischen Meister in eben jenem Buch beschworen, setzt auch Pretty Little Liars auf den Wissenvorsprung des Zuschauers, um nahezu jede Szene mit Ezra Fitz, der bis hierhin etwa zweieinhalb Staffeln lang schlicht nervte, mit Suspense aufzuladen und die Serie so zu bereichern. Pretty Little Liars ist reich an Spannung, Witz und Bewegung, schwelgerisch in seinen Gefühlen und immer daran interessiert, den Zuschauer zu überraschen, ohne sich dabei an lahmen Twistkonventionen abzuarbeiten. Wahrscheinlich passt deswegen das Bild einer an einem langweiligen Nachmittag geschriebenen Teenager-Story so gut, Affekt scheint es nur noch in vermeintlich ungünstigen Senderbedingungen möglich zu sein.

Dieser Text wurde von David Schepers(@fantazeromane) verfasst.

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