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Sonntag, 31. Dezember 2023

Die besten Filme 2023 – Wir wollen nicht länger warten


Ein Jahr der Kontinuitäten: Die furchtbarsten Filme sind beinahe schon traditionell ein cravenloses Scream-Sequel, ein blutleeres Horrorklassikerquasiremake, ein Film, der nur gefeiert wird, weil er aus Amerika kommt (Past Lives) und der neue Ridley-Scott-Film. Ein Jahr der Neuigkeiten: Nach all der Zeit mal wieder eine lustige Fernsehserie aus Deutschland (Irgendwas mit Medien), eine grandiose Ausgabe der Tour de France Femmes, ich fange an, Borges zu lesen. Ein Bild: Demi Vollering kommt aus dem Nebel, um auf dem Tourmalet die Tour zu gewinnen. Ein Moment: Marvin Ducksch zum dritten vor 20.000 Auswärtsfans in Berlin. Immer dieselben Podcasts: 11Freunde Themenfrühstück, Wollmilchcast, LexG Podcast – der PewCast, dieses Jahr nur mit Sternchen, Sam Levinson sei Dank.


Gutes außerhalb der Liste:

The White Storm 3: Heaven or Hell – Herman Yau

Jonja – Anika Mätzke

in water – Hong Sang-Soo

The Fabelmans – Steven Spielberg

Music – Angela Schanelec

#Manhole – Kazuyoshi Kumakiri

Mein Falke – Dominik Graf

Arturo a los 30 – Martin Shanly

Jawan – Atlee

You Are So Not Invited To My Bat Mitzvah – Sammi Cohen

Diese Sendung ist kein Spiel – Regina Schilling


  1. Killers of the Flower Moon – Martin Scorsese

Über den neuen Scorsese wurde wie erwartet bereits alles gesagt, was man sich vorstellen kann, deswegen vielleicht nur soviel: Beeindruckender als die ja doch lediglich als Ausdruck einer politischen Vorliebe bestehende Frage, aus wessen Perspektive was erzählt wird, ist die allumfassende Düsternis, die im Laufe des Film Lily Gladstone zu umgeben beginnt, sie zu verschlucken droht und doch von ihrer Ausstrahlung daran gehindert wird.


  1. Detective vs Sleuths – Wai Ka-Fai

Mein liebster Blockbuster aus diesem Jahr. Überwältigung durch Manie, Fatalismus, Brutalität und schwer durchschaubaren Humor. Selbst nach dem Ende der Goldenen Jahre wohnt dieser Art von Hongkong-Film zumindest für mich immer noch der sprichwörtliche Zauber inne, ein schwer greifbares Gefühl, was in schlechteren Momenten exotisierend wirkt, sich in den besten aber zu ungeahnten Höhen aufschwingt. Letztere erreicht Detective vs. Sleuths nur teilweise, bleibt aber trotzdem einer der Gewinnerfilme des Jahres.


  1. Mit Liebe und Entschlossenheit – Claire Denis

Claire-Denis-Best-of der besseren Sorte und nach dem rückblickend doch verhältnismäßig missglückten High Life eine wohltuende Rückkehr. Juliette Binoche und Vincent Lindon liefern zwei der beeindruckendsten Schauspielperformances der letzten Jahre ab, Binoche in der ganzen Zerrissenheit ihrer Figur und ihrer überwältigenden Körperlichkeit, Lindon insbesondere in der exakten Darstellung des immer wieder in deutschen Medien beobachtbaren Phänomens, dass Ex-Profisportler noch dümmer als aktive sind.


  1. Le Grand Chariot – Phillippe Garrel

Ein bewegender Film, ein Film der Bewegung. Garrel versammelt seine Kinder, um auf ein Leben in der Kunst zurückzublicken und fragt sich, was am Ende von einem Puppenspieler bleibt. Eine sehr hübsche neue Generation auf jeden Fall.


  1. Passagiere der Nacht – Mikhael Hers

Ein Film zum Auftauchen, um Luft zu holen.


  1. Mad Fate – Soi Cheang

Es gibt kaum etwas langweiligeres als von jemandem zu hören, unter welchen Umständen er oder sie einen Film das erste Mal gesehen hat, aber einem Film wie Mad Fate tut das Berlinale-Umfeld natürlich gut, zwischen vielen mitunter doch recht gleichförmigen Festivalfilmen sticht Soi Cheangs expressiver Exzess noch mehr heraus als ohnehin schon. Mad Fate übt für mich eine noch größere Faszination als der Vorgänger Limbo aus, vielleicht gerade weil er weniger definiert und sprunghafter ist.


  1. Das Tier im Dschungel – Patric Chiha

Eigentlich verzeihe ich derart geschmackvolle Musikauswahl nur noch Mia Hansen-Love und Olivier Assayas, aber für Patric Chihas wunderbare Verfilmung der mindestens genauso wunderbaren Henry-James-Novelle mache ich eine Ausnahme. Ein großzügiger Film, dem nur der Einbruch der Außenwelt manchmal gefährlich werden kann. Doch am Ende bleibt das Warten.


  1. Rapito – Marco Bellocchio

Auch stellvertretend für Und draußen die Nacht, die vielleicht beste Serie des Jahres, in der Marco Bellocchio erneut die Aldo-Moro-Ermordung als Anlass nimmt, über Italien nachzudenken. Um Kontinuitäten geht es auch in Rapito, um die Dauerhaftigkeit des katholischen Antisemitismus und seinen Auswirkungen bis in die Gegenwart. Die Gerichtssequenzen gehören zu den absoluten Highlights des Kinojahres und werfen die alte Frage auf: Was passiert, wenn Recht zu einem Unrecht wird?


  1. Trenque Lauquen – Laura Citarella

Wie bereits oben erwähnt war 2023 das Jahr, in dem ich angefangen habe, ernsthaft Jorge Luis Borges zu lesen. Der Verweis auf den argentinischen Schriftsteller ist bei der Besprechung von Filmen des El Pampero Cine Kollektivs sicherlich kein originieller, ist für Trenque Lauquen aber durchaus konstitutiv. Nicht unbedingt im borgesianischen Sinne, sondern vielmehr in der Offenheit und der großen Lust an Literatur (und Film), die Borges nicht nur in seinen literaturkritischen Texten stets auszeichnet. Trenque Lauquen vermittelt das Gefühl, dass ein anderes Kino möglich ist, nicht über dröge politische Botschaften, sondern über Laura Paredes, ihr Gesicht und ihr Verschwinden.


  1. Roter Himmel – Christian Petzold

Der einzige Film des Jahres bei dem ich meine Hand dafür ins Feuer legen würde, dass er ein Klassiker wird. Der Bruch in Petzolds Projekt (in wirklich zahllosen Interviews immer wieder auf einen fiebrigen Coronasommer mit Eric Rohmer und Anton Chechov zurückgeführt) ist nach dem leicht ausgelaugt wirkenden Undine ein willkommener. Die großartigen Details wie das schlumpfeisbestellende Mädchen, die Gut & Günstig Passierte Tomaten Tetrapaks, "Scheiß Eisverkäuferin". Die großen Szenen: Das Heine-Gedicht, die Pathologie, das Wegsehen vom leuchtenden Meer. Matthias Brandt schwebt durch den Film. Und wieder Werder Bremen, dieses Mal der größte aller Fußballfranzosen als Namenspate.


11 neue Freunde in 2023:

  1. Lärm und Wut – Jean-Claude Brisseau

  2. Il Posto – Ermanno Olmi

  3. The Midnight After – Fruit Chan

  4. Elvira Madigan – Bo Widerberg

  5. Crash – David Cronenberg

  6. Typhoon Club – Shinji Somai

  7. Él – Luis Bunuel

  8. Millennium Mambo – Hou Hsiao-Hsien

  9. An einem schönen Morgen – Mia Hansen-Love

  10. Taschengeld – Francois Truffaut

  11. Die schöne Hochzeit – Eric Rohmer

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